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Auslieferung wegen einer Trunkenheitsfahrt

Bei einem Auslieferungsersuchen zur Vollstreckung wegen einer allein auf der Grundlage der gemessenen Atemalkoholkonzentration abgeurteilten Trunkenheitsfahrt fehlt es an der nach § 3 Abs. 1 IRG erforderlichen beiderseitigen Strafbarkeit, da die Tat nicht nach deutschem Recht strafbar wäre. Eine Strafbarkeit nach § 316 StGB würde tatbestandlich in objektiver Hinsicht eine absolute Fahruntüchtigkeit voraussetzen, also eine für den Tatzeitpunkt festgestellte Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,1 ‰. Die gemessene Atemalkoholkonzentration allein bietet für eine solche Feststellung keine ausreichende Grundlage. (Leitsatz des Gerichts)

OLG Celle, Beschl. v. 22.2.20232 AR (Ausl) 45/22

I. Sachverhalt

Auslieferung zur Strafvollstreckung

Die polnischen Justizbehörden betreiben auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls des Bezirksgerichts Poznan die Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafvollstreckung. Das AG Grodzisk Wielkopolski hat den Verfolgten am 19.6.2013 zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Verfolgte war in der Hauptverhandlung nicht anwesend. Inzwischen ist die gewährte Strafaussetzung zur Bewährung durch Beschluss des AG Nowy Tomysl vom 13.11.2018 widerrufen. Die Freiheitsstrafe ist von dem Verfolgten noch vollständig zu verbüßen.

Verurteilung wegen einer Trunkenheitsfahrt

Nach den Angaben in dem Europäischen Haftbefehl führte der Verfolgte bei der ihm zur Last gelegten Straftat am 25.3.2013 gegen 17.25 Uhr in der S. K. in der Ortschaft N. T. in der W. W. ein Kraftfahrzeug und stand hierbei ausweislich der bei ihm durchgeführten Atemalkoholkontrolle und der festgestellten Atemalkoholkonzentration von 0,56 mg/l unter Alkoholeinfluss. Auf Nachfrage der GStA haben die polnischen Justizbehörden mit Schreiben im Auslieferungsverfahren mitgeteilt, dass sich aus den der Verurteilung des Verfolgten zugrundeliegenden Aktenvorgängen keine Anhaltspunkte für einen Fahrfehler des Verfolgten zum Tatzeitpunkt ergeben hätten.

Verfahrensgang

Die GStA hat beantragt, über die Zulässigkeit der Auslieferung zu entscheiden. Sie erachtet die Auslieferung für unzulässig, da es bei der dem Europäischen Haftbefehl zugrunde liegenden abgeurteilten Tat des Verfolgten an der nach § 3 Abs. 1 IRG erforderlichen beiderseitigen Strafbarkeit fehle. Das OLG hat die Entscheidung über den Antrag der GStA im Hinblick auf das beim BGH anhängige Vorlageverfahren 4 ARs 13/21 zunächst zurückgestellt. Es hat jetzt dann festgestellt, dass die Auslieferung des Verfolgten unzulässig ist.

II. Entscheidung

Beiderseitige Strafbarkeit

Die Zulässigkeit der Auslieferung zur Verfolgung oder zur Vollstreckung setze nach § 3 Abs. 1 IRG voraus, dass die dem Auslieferungsersuchen zugrundeliegende Tat des Verfolgten auch nach deutschem Recht eine rechtswidrige Tat ist, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht, oder bei sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts auch nach deutschem Recht eine solche Tat wäre. Dies gelte auch, wenn dem Ersuchen ein Europäischer Haftbefehl zugrunde liegt (vgl. § 81 Nr. 1 IRG; Art. 4 Nr. 1 des Rahmenbeschlusses Europäischer Haftbefehl). Das Erfordernis der Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit entfalle nur dann, wenn es sich um eine sog. Katalogtat i.S.v. Art. 1 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses handelt.

Urteilstat ist keine Katalogtat

Die vorliegend in dem Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts Poznan näher beschriebene Tat des Verfolgten, welche seiner Verurteilung durch das AG Grodzisk Wielkopolski zugrunde gelegen habe, stelle keine Katalogtat im vorgenannten Sinne dar. Daher wäre die Auslieferung des Verfolgten nur zulässig, wenn die Tat auch nach deutschem Recht strafbar wäre. Auf der Grundlage des in dem Europäischen Haftbefehl mitgeteilten Tatgeschehens käme insoweit lediglich eine Strafbarkeit wegen Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 StGB in Betracht. Voraussetzung hierfür wäre in objektiver Hinsicht, dass sich der Verfolgte zur Tatzeit im Zustand alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit befunden hat. Diese wäre tatbestandlich nur dann gegeben, wenn bei dem Verfolgten eine relative oder absolute Fahruntüchtigkeit vorgelegen hätte. Ob dies der Fall gewesen sei, sei anhand des in dem Europäischen Haftbefehl mitgeteilten Tatgeschehens, das zu der dem Auslieferungsersuchen zugrundeliegenden Verurteilung geführt habe, zu prüfen. Aus dem mitgeteilten Sachverhalt ergäben sich aber insoweit über die auf der Grundlage der gemessenen Atemalkoholkonzentration von 0,56 mg/l festgestellte Alkoholisierung des Verfolgten hinaus keine Anhaltspunkte für einen alkoholbedingten Fahrfehler. Die Annahme einer relativen Fahruntüchtigkeit komme deshalb nicht in Betracht. Daher müsste tatbestandlich eine absolute Fahruntüchtigkeit bei dem Verfolgten vorgelegen haben. Dies wäre nur bei einer festgestellten Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,1 ‰ zu bejahen. Nach den Angaben in dem Europäischen Haftbefehl sei dem Verfolgten jedoch weder eine Blutprobe zwecks Ermittlung der Blutalkoholkonzentration entnommen noch seien Feststellungen zu Art und Menge des von ihm vor der Tat konsumierten Alkohols getroffen worden. Seine Verurteilung beruhe allein auf der zum Tatzeitpunkt gemessenen Atemalkoholkonzentration von 0,56 mg/l. Indes reiche nach ständiger Rechtsprechung des BGH und der OLG der Messwert der Atemalkoholkonzentration allein für die Feststellung der Blutalkoholkonzentration nicht aus. Denn er biete nach derzeitigem Stand der medizinischen Wissenschaft und Forschung nicht die in einem Strafverfahren erforderliche Sicherheit für die Bestimmung des Wertes der Blutalkoholzentration (vgl. BGH NStZ 1995, 539; KG DAR 2008, 273; OLG Stuttgart, Beschl. v. 17.4.2009 – 2 Ss 159/09; OLG Naumburg, Beschl. v. 5.12.2000 – 1 Ws 496/00; Kudlich in BecKOK StGB, 55. Edition, Stand 1.11.2022, § 315c Rd. 27 m.w.N.). Eine hohe Atemalkoholkonzentration stelle allenfalls ein starkes Indiz für eine Fahruntüchtigkeit dar, lasset aber die Annahme einer absoluten Fahruntüchtigkeit nicht zu (vgl. OLG Stuttgart, a.a.O.). Für eine Verurteilung wegen Trunkenheit im Verkehr nach § 316 StGB bedürfe es deshalb zumindest eines weiteren, tragfähigen Indizes für die Fahruntüchtigkeit des Täters. Da im vorliegenden Fall des Verfolgten jedoch neben dem Wert der Atemalkoholkonzentration keine weiteren ihn belastenden Indizien festgestellt worden seien, scheide eine Strafbarkeit der ihm in dem Europäischen Haftbefehl zur Last gelegten Tat nach § 316 StGB aus. Nach alledem stehe der Auslieferung des Verfolgten an die polnischen Justizbehörden das Zulässigkeitshindernis der fehlenden beiderseitigen Strafbarkeit nach § 3 Abs. 1 IRG entgegen.

III. Bedeutung für die Praxis

Zutreffend

Die Entscheidung ist zutreffend. Wegen weiterer Einzelheiten zum Europäischen Haftbefehl und zum Auslieferungsverfahren wird verwiesen auf Burhoff in. Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl., 2022, Rn 784 ff., 2390 ff.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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