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VRRKompakt 2023_06

Berufungsverwerfung: Ordnungsgemäße Ladung

Ein in einer früheren Ladung zu einem dann verlegten Hauptverhandlungstermin erteilter Hinweis auf die Folgen unentschuldigten Ausbleibens ist für eine ordnungsgemäße Ladung i.S. des 323 Abs. 1 Satz 2 StPO nicht ausreichend und rechtfertigt eine Verwerfung nach § 329 Abs. 1 StPO nicht.

OLG Hamm, Beschl. v. 18.4.2023 – 3 RVs 14/23

Unfallmanipulation: Indizienkette

Grundsätzlich trägt der Schädiger die Beweislast, dass der vermeintlich Geschädigte in die Beschädigung seines Fahrzeuges eingewilligt hat. Die ungewöhnliche Häufung von Beweisanzeichen für eine Manipulation kann für die Überzeugungsbildung des Tatrichters genügen. Beweisanzeichen können sich z.B. ergeben aus dem Unfallhergang, der Art der Schäden, der Art der beteiligten Fahrzeuge, dem Anlass der Fahrt, fehlender Kompatibilität, den persönlichen Beziehungen oder wirtschaftlichen Verhältnissen. Ausschlaggebend ist dabei eine Gesamtwürdigung, bei der aus einer Indizienkette auf die planmäßige Vorbereitung und Herbeiführung des vermeintlichen Unfalls geschlossen werden kann. Selbst wenn es für jede einzelne verdächtige Feststellung bei separater Betrachtung eine unverfängliche Erklärung geben mag, kann deren durch Zufall nicht mehr lebensnah erklärbare Häufung die Schlussfolgerung auf ein gemeinsames betrügerisches Vorgehen zu Lasten des gegnerischen Haftpflichtversicherers begründen. Maßgeblicher objektiver Umstand für ein manipuliertes Ereignis ist die fehlende Kompatibilität, wenn sich das Schadensbild am Klägerfahrzeug nicht mit dem behaupteten und von dem vermeintlichen Unfallverursacher bekundeten „Unfallhergang“ (hier rückwärtigen Ausparkvorgang) technisch in Einklang bringen lässt. Weitere für eine Manipulation sprechende Umstände sind: hochwertiges Geschädigtenfahrzeug der Oberklasse (hier Mercedes-Benz E 250) und Vollkasko versichertes, älteres Fahrzeug auf Beklagtenseite; lukrativer Streifschaden, der meist wesentlich kostengünstiger in Privat-/Niedrigpreiswerkstätten oder in Eigenregie repariert werden kann; Kollision auf einem Parkplatz, wo wegen geringer Geschwindigkeiten Blechschäden – ohne besonderes Risiko für Personenschäden – dosiert beigebracht werden können. Wenn der vermeintliche Unfallverursacher als Zeuge zum Unfallhergang bereits vom Gericht ausführlich gehört worden ist und danach ein überzeugendes Sachverständigengutachten eingeholt wurde, das – im Widerspruch zur Zeugenaussage – keine entsprechende technische Kompatibilität des Schadenshergangs festgestellt hat, ist in der Regel eine erneute Zeugenvernehmung nicht mehr erforderlich. Ein Gehörsverstoß liegt nicht vor. Der behauptete Unfallhergang wäre nämlich nur mit einer an das Sachverständigengutachten entsprechend angepassten Zeugenaussage plausibel erklärbar. Solche Bekundungen wären aber wenig überzeugend und wegen Widerspruchs zur vorherigen Aussage auch unglaubhaft.

OLG Schleswig, Urt. v. 20.2.2023 – 7 U 170/22

Businsassenunfall: Haftungsverteilung

Bei Businsassenunfällen verdrängt grundsätzlich das Eigenverschulden des Fahrgastes, der sich nicht ordnungsgemäß festgehalten hat, vollständig die Gefährdungshaftung aus einfacher Betriebsgefahr. Bei Vorliegen besonderer Umstände kann sich das Eigenverschulden des Fahrgastes jedoch verringern. Eine Schadensteilung 50 : 50 kommt in Betracht, wenn der Busfahrer schuldhaft eine Notbremsung vorgenommen hat. Jeder Fahrgast ist grundsätzlich selbst dafür verantwortlich, dass er durch typische oder zu erwartende Bewegungen eines Busses nicht zu Fall kommt. Im Stadtverkehr muss ein Fahrgast jederzeit mit plötzlichen Bremsmanövern rechnen und das bei der Wahl der Sicherheitsvorkehrungen berücksichtigen. Dazu gehört u.a. auch, bei ausgelöstem Haltesignal solange sitzen zu bleiben, bis der Bus die Haltestelle erreicht hat. Bei stehendem Transport sollten sich Fährgäste im fortgeschrittenen Alter mit beiden Händen an der Haltestange festhalten.

OLG Schleswig, Urt. v. 25.4.2023 – 7 U OLG 125/22

Rotlichtverstoß: Betriebsgefahr

Der Verkehrsregelung durch eine Lichtzeichenanlage an einer Kreuzung oder Einmündung kommt eine so erhebliche Bedeutung zu, dass die Betriebsgefahr sowie im Einzelfall auch ein geringfügiges Verschulden des bei Grünlicht in den geschützten Kreuzungs-/Einmündungsbereich Einfahrenden hinter den Rotlichtverstoß des Unfallgegners zurücktritt.

OLG Saarbrücken, Urt. v. 21.4.2023 – 3 U 11/23

Benutzung eines elektronischen Gerätes: Umlagerung

Der Führer eines Kraftfahrzeugs verstößt auch dann nicht gegen § 23 Abs. 1a StVO, wenn er während der Fahrt ein Smartphone, mit dem er gerade ein Gespräch über eine Bluetooth-Freisprecheinrichtung des Fahrzeugs führt, ausschließlich zu dem Zweck aufnimmt, um es – etwa zum Schutz vor Beschädigungen – umzulagern.

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 18.4.2023 – 1 ORbs 33 Ss 151/23

Handyverstoß: Erhöhung des Regelsatzes der Geldbuße

Das Abtun eines Handyverstoßes als „Kleinigkeit“, eine ausgesprochene Drohung gegenüber Polizeibeamten sowie das Schlagen mit der flachen Hand auf die Motorhaube des Streifenwagens rechtfertigen bei der Bußgeldbemessung die Verdoppelung des Regelsatzes.

AG Ellwangen, Urt. v. 14.4.2023 – 7 OWi 36 Js 5096/23

Besorgnis der Befangenheit: Verteilung von Süßigkeiten im Strafverfahren

Die Verteilung von Süßigkeiten in einem Strafverfahren durch Schöffen erscheint grundsätzlich unangemessen, kann aber ggf., wenn der Schöffe durch sein Gesamtverhalten und – spätestens durch die Klarstellung im Rahmen seiner dienstlichen Äußerung – nachvollziehbar kein Verhalten zum Ausdruck gebracht hat, dass darauf schließen lässt, dass er der Seite des Angeklagten, insbesondere dem Verteidiger, weniger gewogen ist als der Staatsanwaltschaft.

LG Oldenburg, Beschl. v. 24.3.2023 – 12 Ns 380 Js 80809/21 (299/22)

Verjährungsunterbrechung: Bezeichnung der Tat

Maßgeblich für die verjährungsunterbrechende Wirkung von Maßnahmen der Verwaltungsbehörde ist, dass die Tat – auch hinsichtlich des Begehungsorts – so genau bezeichnet wird, dass sie sich als unverwechselbar mit anderen denkbaren Taten desselben Täters darstellt und ein Bewusstsein des Täters für den ihm vorgeworfenen Verstoß bilden kann. Gerade bei Verkehrsverstößen, die sich in relativ kurzen Zeiträumen relativ häufig zu wiederholen vermögen, sind insoweit problematisch und müssen von der Bußgeldbehörde präzise konkretisiert werden. Ausreichend ist im Einzelfall auch die Angabe eines markanten Punktes (Parkplatz, Hausnummer, Gebäude etc.).

AG Rockhausen, Beschl. v. 6.3.2023 – 2a OWi 6070 Js 1673/23

Entziehung der Fahrerlaubnis: Bindungswirkung des FAER

Den Eintragungen im Fahreignungsregister kommt für die Entscheidung über eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG keine Tatbestandswirkung in dem Sinne zu, dass Behörden und Gerichte an diese Eintragungen gebunden wären. Wird die Richtigkeit der Registereintragung bestritten, ist die Fahrerlaubnisbehörde verpflichtet, diesen Zweifeln nachzugehen. Bei der Frage, welcher Ermittlungsumfang für die Fahrerlaubnisbehörden vor einer Entziehung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG geboten ist, muss deren präventiv-polizeilicher Zweck berücksichtigt werden. Mit der Effektivität der Gefahrenabwehr ist eine Verpflichtung der Fahrerlaubnisbehörde, den Sachverhalt zu den ihr vom Kraftfahrt-Bundesamt nach § 4 Abs. 8 Satz 1 StVG übermittelten Eintragungen anlassunabhängig weiter aufzuklären, nicht zu vereinbaren.

VGH Hessen, Beschl. v. 7.2.2023 – 2 B 1699/22

Berechnung der Vergütung: Ausscheiden aus der Anwaltschaft

Ein Rechtsanwalt ist auch nach seinem Ausscheiden aus der Anwaltschaft berechtigt und verpflichtet, zur Einforderung seiner Vergütung außerhalb eines Kostenfestsetzungsverfahrens entsprechende Berechnungen zu unterzeichnen und den Auftraggebern mitzuteilen, wenn ein Abwickler nicht bestellt oder der bestellte Abwickler insoweit nicht tätig geworden ist (Fortführung von BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 85/03, WM 2004, 2222, 2223).

BGH, Urt. v. 16.2.2023 – IX ZR 189/21

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