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Kürzung des Erwerbsschadens

1. Von einem Geschädigten, der vom Arbeitsamt aufgrund seines Gesundheitszustandes für nicht mehr vermittlungsfähig gehalten wird, kann grundsätzlich keine weitere Eigeninitiative hinsichtlich der Aufnahme von Erwerbstätigkeit erwartet werden.

2. Unter diesen Umständen besteht grundsätzlich auch keine weitere Darlegungslast dazu, was der Geschädigte unternommen hat, um einen angemessenen Arbeitsplatz zu erhalten.

3. Verstößt der Geschädigte aber gegen die ihm obliegende Schadensminderungspflicht, weil er es unterlässt, einer ihm zumutbaren Erwerbstätigkeit nachzugehen, sind die erzielbaren fiktiven Einkünfte auf den Schaden anzurechnen.

4. Eine quotenmäßige Anspruchskürzung kommt dagegen grundsätzlich nicht in Betracht. (Leitsätze des Verfassers)

BGH, Urt. v. 24.1.2023VI ZR 152/21

I. Sachverhalt

Schwere Verletzung nach VU führt zu Arbeitsplatzverlust

Der klagende Rentenversicherungsträger hat von der beklagten Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung aus übergegangenem Recht die Erstattung von Leistungen verlangt, die er an den Geschädigten als seine versicherte Person aufgrund eines Verkehrsunfalls erbracht hat. Die bei dem Verkehrsunfall schwer verletzte Geschädigte verlor unfallbedingt ihren Arbeitsplatz als Bürokauffrau.

Trotz Teilarbeitsfähigjeit sieht Arbeitsamt des Verletzten nicht als vermittelbar an

Nach dem Unfall holten beide Parteien einvernehmlich ein Gutachten zum Gesundheitszustand der Geschädigten ein, wonach für die nächsten 4 Folgejahre von einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit auszugehen wäre. Ab dem Jahr 2006 konnte jedoch eine sitzende Tätigkeit – so die Prognose des Gutachters – wieder vollschichtig aufgenommen werden und es würden allenfalls geringfügige Beeinträchtigungen verbleiben. Dessen ungeachtet nahm im Dezember 2006 das Arbeitsamt die Geschädigte aus der Vermittlung heraus, da das Amt nach Begutachten durch einen Arzt diese für nicht mehr vermittlungsfähig gehalten hat. Sodann erfolgte eine stationäre Reha-Maßnahme.

II. Entscheidung

Verletzung des Schadensminderungspflicht bei unterlassener Arbeitsaufnahme möglich

Während noch das OLG Celle als Berufungsgericht eine Verletzung der Schadensminderungspflicht durch eine unterlassene Aufnahme einer weiteren beruflichen Tätigkeit der Geschädigten im Zusammenspiel mit einer Verletzung der sekundären Darlegungslast zu möglichen eigenen Bewerbungen bejahte, hat der BGH diese Entscheidung sodann aufgehoben und zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Zwar habe das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend erkannt, dass sich auch ein Sozialversicherungsträger bei einem Verstoß des Geschädigten gegen seine Schadenminderungspflicht aus § 254 Abs. 2 BGB dies entgegenhalten lassen muss und grundsätzlich den Geschädigten auch insoweit eine sekundäre Darlegungslast im Hinblick auf die Frage der verbleibenden Möglichkeit des Einsatzes einer Arbeitskraft und damit einhergehender Bewertung treffen würde.

In diesem Einzelfall keine Eigeninitiative geschuldet = kein Mitverschulden

Das Berufungsgericht habe jedoch die Reichweite dieser Obliegenheit nicht richtig erfasst und einen zu strengen Maßstab an den Tag gelegt. Denn für einen Geschädigten, der vom Arbeitsamt aufgrund seines Gesundheitszustandes für nicht mehr vermittlungsfähig gehalten wird, kann nach Ansicht des BGH grundsätzlich keine weitere Eigeninitiative hinsichtlich der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit erwartet werden. Er dürfe vielmehr darauf vertrauen, dass von einer fachkundigen Stelle weitere Bemühungen der Tätigkeit als aussichtslos erscheinend eingestuft worden sind. In diesem Fall würde auch keine weitere Darlegungslast bei dem Geschädigten bestehen. Eine Ausnahme hiervon könnte nur dann gemacht werden, wenn Umstände ersichtlich wären, wonach die Bewertung einer Vermittlungsunfähigkeit zu beanstanden wäre – derartige Umstände wären dann vorliegend aber weder ersichtlich noch vorgetragen.

Ansonsten: Anrechnung erzielbaren Verdienstes statt quotaler Kürzung

Und darüber hinaus wäre dem Berufungsgericht nicht zuzustimmen, dass ein Anspruch dem Geschädigten vollständig versagt werden würde, wenn er seiner sekundären Darlegungslast nicht nachkommen würde. Denn Folge einer solchen Verletzung der sekundären Darlegungslast wäre alleine, dass das Vorbringen der Gegenseite als zugestanden gelten würde. Dementsprechend wäre in diesem Fall von einer Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit auszugehen und es müssten dann aber konkret die erzielbaren Einkünfte gegengerechnet und abgezogen werden. Keinesfalls wäre es zulässig, eine entsprechende Quote zur Anspruchskürzung heranzuziehen.

III. Bedeutung für die Praxis

Schadensminderungspflicht bei Teilarbeitsfähigkeit

In dieser bedeutsamen Entscheidung legt der BGH ausführlich die Grundsätze dar, unter denen ein Geschädigter verpflichtet sein kann, sich bei einer verbleibenden restlichen Arbeitskraft zu bemühen, diese auf dem Arbeitsmarkt entsprechend einzusetzen und eine neue Stelle zu finden. Dazu gehört es auch, dass er im Rahmen des Zumutbaren an Umschulungsmaßnahmen teilnehmen muss (vgl. BGH, Urt. v. 9.10.1990 – VI ZR 291/89). Insoweit trifft den Geschädigten auch eine sekundäre Darlegungslast und er hat darüber hinaus auch die Schädigerseite über für ihn zumutbare Arbeitsmöglichkeiten und seine Bemühungen, einen angemessenen Arbeitsplatz zu erhalten, entsprechend zu unterrichten (vgl. BGH, Urt. v. 21.9.2021 – VI ZR 91/19).

In diesem Sonderfall keine Schadensminderungspflicht verletzt

Bei dem hier vorliegenden Ausnahmefall, wonach die Geschädigte vom Arbeitsamt als fachkundige Stelle aus der Vermittlung herausgenommen worden ist, dürfte diese darauf vertrauen, dass sie am Arbeitsplatz nicht mehr zu vermitteln wäre, solange keine anderen Umstände eintreten (BGH, Urt. v. 9.10.1990 – VI ZR 291/98. Und selbst wenn ein ausreichender Vortrag nicht vorliegt, um der sekundären Darlegungslast zu genügen, gilt dann als Folge lediglich der Sachvortrag der Gegenseite als zugestanden (vgl. nur BGH, Urt. v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19). Dies führt dazu, dass konkret ein erzielbares Gehalt zugrunde gelegt und von dem begehrten Verdienstausfall unter Berücksichtigung der verbleibenden Arbeitsfähigkeit abgezogen werden kann, dessen Feststellung wiederum im Einzelfall der tatrichterlichen Würdigungen unterliegen (BGH, Urt. v. 21.9.2021 – VI ZR 91/19).

RA Dr. Michael Nugel, FA für Verkehrsrecht und Versicherungsrecht, Essen

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