Beitrag

Anfechtung einer Kostenscheidung durch den Nebenkläger; Verfahrensgebühr im Berufungsverfahren

1. Die §§ 464 Abs. 3 Satz 1, 2. Hs. 400 Abs. 1 StPO stehen der Anfechtung einer Kostenscheidung durch den Nebenkläger nicht entgegen. § 400 Abs. 1 StPO beseitigt nicht die Statthaftigkeit eines Rechtsmittels, sondern versagt dem Nebenkläger nur für einen bestimmten Fall die Beschwer.

2. Die Verfahrensgebühr nach Nr. 4124 VV RVG entsteht schon bei der erstmaligen Tätigkeit im Berufungsverfahren, wofür keine nach außen erkennbare Tätigkeit erforderlich ist, sondern auch eine (interne) Beratung des Mandanten über den Gang des Verfahrens ausreichen kann.

3. Ein Nebenkläger hat bei einer Berufung des Angeklagten Beratungsbedarf, da dessen Berufung nicht begründungspflichtig ist. (Leitsätze des Verfassers)

OLG Braunschweig, Beschl. v. 19.1.20231 Ws 309/22

I. Sachverhalt

Berufung der Angeklagten zurückgenommen

Die beiden Angeklagten sind durch Urteil des AG wegen einer gefährlichen Körperverletzung, begangen zum Nachteil des Nebenklägers, zu Geldstrafen verurteilt worden. Die notwendigen Kosten des Nebenklägers wurden den Angeklagten auferlegt. Gegen dieses Urteil haben beide Angeklagte zunächst Berufung eingelegt, diese aber mit anwaltlichen Schreiben wieder zurückgenommen. Das LG hat den beiden Angeklagten gemäß § 473 Abs. 1 StPO die Kosten der Berufung und ihre Auslagen auferlegt. Eine Entscheidung über die Auferlegung der notwendigen Auslagen des Nebenklägers ist unterblieben. Der Nebenkläger wendet sich mit seiner sofortigen Beschwerde gegen die unterlassene Entscheidung über seine eigenen notwendigen Auslagen.

Ergänzung der Kostenentscheidung zugunsten des Nebenklägers

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, auf die sofortige Beschwerde des Nebenklägers die Kosten- und Auslagenentscheidung des LG dahingehend zu ergänzen, dass die Angeklagten die dem Nebenkläger im Berufungsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen haben. Die Angeklagten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Einer der Angeklagte hat vorgetragen, die sofortige Beschwerde sei gemäß § 464 Abs. 3 S. 1, 2. Halbsatz i.V.m. § 400 StPO nicht zulässig. Der Nebenklägervertreter habe im Berufungsverfahren zudem keinerlei Tätigkeiten entfaltet, sodass die Beschwerde auch unbegründet sei. Das Rechtsmittel hatte beim OLG Erfolg.

II. Entscheidung

§ 464 Abs. 3 S. 1, 2. Hs. StPO

Die sofortige Beschwerde ist – so das OLG – zulässig. Sie sei insbesondere auch nach § 464 Abs. 3 StPO statthaft. Der Statthaftigkeit stehe § 464 Abs. 3 S. 1, 2. Hs. StPO nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift sei eine sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung unzulässig, wenn ein Rechtsmittel in der Hauptsache nicht statthaft sei. Das sei trotz § 400 Abs. 1 StPO und der durch die Berufungsrücknahmen rechtskräftigen erstinstanzlichen Verurteilungen der Angeklagten wegen der Tat, für die der Nebenkläger anschlussberechtigt gewesen sei, nicht der Fall. Der Senat hat sich bereits in der Vergangenheit (vgl. Beschl. v. 10.2.2021 – 1 Ws 289/20) der Ansicht angeschlossen, dass die §§ 464 Abs. 3 S. 1, 2. Hs., 400 Abs. 1 StPO der Anfechtung der Kostenscheidung durch den Nebenkläger nicht entgegenstehen. § 400 Abs. 1 StPO beseitige nicht die Statthaftigkeit eines Rechtsmittels, sondern versage dem Nebenkläger nur für einen bestimmten Fall die Beschwer (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19.10.1998 – 3 Ws 464 – 466/98, Rn 4; OLG Jena, Beschl. v. 22.1.2010 – 1 Ws 525/09; OLG Naumburg, Beschl. v. 21.9.2001 – 1 Ws 329/01; OLG Stuttgart, Beschl. v. 2.8.2002 – 5 Ws 54/02; Beschl. v. 2.10.2012, – 4b Ws 25/12, Justiz 2013, 256). Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 464 Abs. 3 S. 1, 2. Hs StPO komme es jedoch nur auf die Statthaftigkeit an, sodass sonstige Zulässigkeitshindernisse außer Betracht bleiben. Zwar betraf die Entscheidung des Senats vom 10.2.2021 konkret lediglich den Fall, dass die Berufung des Angeklagten nach § 329 Abs. 1 StPO verworfen worden sei und nicht die hier vorliegende Fallgestaltung, bei der die Berufungen der Angeklagten zurückgenommen wurden. Auch in diesem Fall wäre aber ein ohne die Berufungsrücknahmen ergangenes Urteil der Berufungskammer für den Nebenkläger grundsätzlich gemäß § 401 StPO mit der Revision anfechtbar, sodass ein Rechtsmittel gegen die Hauptentscheidung und damit auch gegen die Kostenentscheidung statthaft gewesen wäre. Bei der aufgrund der Berufungsrücknahme ergangenen Kostenentscheidung könne nichts anderes gelten (KG, Beschl. v. 26.5.2000 – 3 Ws 112/00; OLG Hamburg, Beschl. v. 9.6.2015 – 1 Ws 69/15, OLG Hamburg StRR 2015, 307 = RVGreport 2015, 320; OLG Hamm, Beschl. v. 12.7.2001 – 2 Ws 141/01).

Der Wert des Beschwerdegegenstandes, der sich nach dem voraussichtlichen (KK-Gieg, StPO, 9. Aufl. 2023, § 304 Rn 32 m.w.N.) Kosten- und Auslagenbetrag bestimme, dürfte den Wert von 200,– EUR (§ 304 Abs. 3 StPO) selbst dann übersteigen, wenn die Verfahrensgebühr des Nebenklägervertreters für das Berufungsverfahren gemäß Nr. 4124 VV RVG zuzüglich Auslagenpauschale und Umsatzsteuer wegen des bis zur Rücknahme eher geringen Umfangs der vom Nebenklägervertreter entfalteten Tätigkeit maßvoll bemessen werde.

Beratungsbedarf

Die Verfahrensgebühr Nr. 4124 VV RVG sei auch schon entstanden. Zwar entstehe die Verfahrensgebühr nach der Vorbem. 4 Abs. 2 VV RVG für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information, woraus teilweise gefolgert werde, dass die Gebühr zumindest dann noch nicht entstehe, wenn die Staatsanwaltschaft ihre Berufung vor deren Begründung zurücknimmt. Diese Ansicht beruhe aber auf der Erwägung, dass die Staatsanwaltschaft gemäß § 156 Abs. 1 RiStBV jedes von ihr eingelegte Rechtsmittel begründen müsse, weshalb ein Verteidiger grundsätzlich davon ausgehen könne, dass eine Berufung der Staatsanwaltschaft innerhalb der Frist des § 317 StPO begründet werde und eine sinnvolle Verteidigung erst möglich sei, wenn die Berufungsbegründung den Umfang und die Zielsetzung des Rechtsmittels aufzeige (u.a. OLG Köln, Beschl. v. 3.7.2015 – 2 Ws 400/15; Mayer/Kroiß, RVG, 8. Aufl. 2021, VV 4124 Rn 3). Diese Annahme sei auf den Beratungsbedarf eines Nebenklägers bei einer, nicht begründungspflichtigen, Berufung des Angeklagten aber nicht übertragbar.

Kostentragungspflicht der Angeklagten

Nach Auffassung des OLG war die sofortige Beschwerde des Nebenklägers auch begründet. Gemäß § 473 Abs. 1 S. 2 StPO haben die Angeklagten, die ein Rechtsmittel erfolglos eingelegt haben, auch die notwendigen Auslagen des Nebenklägers zu tragen. Im vorliegenden Fall führe dieser Grundsatz dazu, dass in der Kostenentscheidung des LG die notwendigen Auslagen des Nebenklägers für die Berufungsinstanz den Angeklagten aufzuerlegen sind. Soweit teilweise unter Rückgriff auf die Regelung in § 472 Abs. 1 S. 3 StPO hiervon eine Ausnahme gemacht werde, wenn der Angeklagte durch sein Verhalten keinen vernünftigen Grund für den Anschluss als Nebenkläger gegeben habe oder den Verletzten ein Mitverschulden treffe (OLG Hamm, Beschl. v. 4.3.2003, 1 Ws 63/03), liege eine solche Fallgestaltung hier nicht vor.

Keine nach außen erkennbare Tätigkeit erforderlich

Soweit von dem einen Angeklagten vorgetragen werde, der Nebenklägervertreter habe keinerlei Tätigkeiten im Berufungsverfahren ausgeübt, werde verkannt, dass die Gebühr nach Nr. 4124 VV RVG schon bei der erstmaligen Tätigkeit im Berufungsverfahren entstehe, wofür keine nach außen erkennbare Tätigkeit erforderlich sei, sondern auch eine (interne) Beratung des Mandanten über den Gang des Verfahrens ausreichen könne (Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 25. Aufl. 2021, VV 4124 Rn 5). Ob eine solche Tätigkeit tatsächlich stattgefunden habe, welchen Umfang sie gehabt hat und ggf. in welcher Höhe die Verfahrensgebühr festzusetzen ist, sei ggf. im Kostenfestsetzungsverfahren zu klären und nicht im Rahmen der Kostengrundentscheidung.

III. Bedeutung für die Praxis

Häufiger Fall

Die vom OLG entschiedene Fallgestaltung dürfte in der Praxis häufiger vorkommen, denn nicht selten wird übersehen, dass im Rechtsmittelverfahren auch noch über die notwendigen Auslagen des Nebenklägers zu entscheiden ist (§ 473 Abs. 1 S. 2 StPO). So auch hier.

Zutreffend gelöst

Das OLG löst die sich stellenden Fragen zutreffend. Die Ausführungen zur Statthaftigkeit des Rechtsmittels – also zu den Auswirkungen des § 400 StPO – entsprechen der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. die o.a. Zitate unter II). Dem ist nichts hinzuzufügen. Zutreffend ist es auch, wenn das OLG darauf hinweist, dass eine Verfahrensgebühr nicht voraussetzt, dass die für den Mandanten erbrachte Tätigkeit des Rechtsanwalts/Verteidigers nach außen sichtbar geworden ist. Nach Vorbem. 4 Abs. 2 VV RVG entsteht die Verfahrensgebühr für jede Tätigkeit, die der Rechtsanwalt/Verteidiger für den Mandanten erbringt, also auch für eine „interne“ Tätigkeit, wie z.B. eine Beratung (zur Verfahrensgebühr Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021 Vorbem. 4 VV Rn 35 ff.; s. auch BGH NJW 2005, 2233 = AGS 2005, 413 = RVGreport 2005, 275; BGH, Beschl. v. 25.10.2012 – IX ZB 61/10; OLG Naumburg, Beschl. v. 18. 1. 2012 – 10 W 67/11, JurBüro 2012, 312 = MDR 2012, 553 = RVGprofessionell 2012, 97). Auch die Ausführungen des OLG zum Beratungsbedarf des Nebenklägers in den Rücknahmefällen sind richtig. Soweit das OLG anderer Auffassung zu sein scheint, wenn es um die Rücknahme der Berufung der Staatsanwaltschaft vor deren Begründung, spielt diese (Streit)Frage hier keine Rolle.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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