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Vortragslast bei einem Vorschaden in der Kasko-Versicherung

1. Wenn ein Vorschaden den Wiederbeschaffungswert eines Fahrzeuges mit beeinflusst, muss der Versicherungsnehmer der Kasko-Versicherung im ersten Schritt die Vorschäden im Einzelnen, im zweiten Schritt die für die Beseitigung erforderlichen Reparaturmaßnahmen und schließlich im dritten Schritt die tatsächlich vorgenommene Reparatur darlegen, damit in die Beweisaufnahme zur Bestimmung des Wiederbeschaffungswertes eingetreten werden kann.

2. Ein dafür ausreichender Vortrag ist nicht gegeben, wenn bei Vorschäden in der Besitzzeit des Versicherungsnehmers lediglich pauschal behauptet wird, dass diese durch den Sohn fachgerecht beseitigt worden sein sollen. (Leitsatz des Verfassers)

OLG Bremen, Beschl. v. 20.9.20223 U 20/22

I. Sachverhalt

Vorschäden aus der Vergangenheit bestimmen den WBW

Der Kläger begehrt eine Leistung aus seiner Kaskoversicherung, nachdem sein Fahrzeug einen Brandschaden im Jahr 2019 erlitten hat. Das Fahrzeug hat im Jahr 2017 allerdings zwei Vorschäden als Totalschäden erfahren. Bei dem ersten Schaden wurde der Wiederbeschaffungswert auf 25.000,00 EUR und der Restwert auf 7.900,00 EUR und bei dem weiteren Vorschaden der Wiederbeschaffungswert auf 7.900,00 EUR und der Restwert auf 3.500,00 EUR geschätzt. Derselbe Gutachter ermittelte dann für den Kläger zwei Jahre später im Jahr 2019 wiederum einen annährend gleichen Wiederbeschaffungswert in Höhe von 23.700,00 EUR bei einem minimalen Restwert von 350,00 EUR und gab in seinem Gutachten lediglich pauschal an, die Vorschäden aus 2017 seien instandgesetzt worden. Auf den Hinweis des Landgerichts in der I. Instanz hat der Kläger lediglich ein knapp gehaltenes Schreiben eines Reparaturbetriebes vorgelegt, in welchem ausgeführt wurde, dass der Sohn des Kläger als dort tätiger Mitarbeiter das Fahrzeug in Eigenregie fachgerecht repariert hätte, ohne dass hierzu weitere Informationen erteilt wurden. Erst zu einem späteren Zeitpunkt wurden noch weitere Angaben zu einer Reparatur nachgereicht, die aber außerhalb der vom Gericht gesetzten Frist erfolgt waren.

II. Entscheidung

Nur pauschale Angabe einer Reparatur ohne Details

Genau wie zuvor das LG hatte der 3. Zivilsenat des OLG Bremen, der für diesen Kaskofall zuständig war, den Sachvortrag der Klägerseite nicht ausreichen lassen, um in die Beweisaufnahme zur Bestimmung des Wiederbeschaffungswertes einzutreten. Zu entscheiden war dabei wegen der Präklusion eines verspäteten Vortrags alleine über den klägerischen Sachvortrag mit der pauschalen Behauptung einer vollständigen und fachgerechten Reparatur zu den beiden in seiner Besitzzeit eingetretenen Vorschäden und dem vorgelegten „Bestätigungsschreiben“ eines Werkstattbetriebes, dem aber keine detaillierten Informationen zu entnehmen gewesen sind.

Diesen Sachvortrag hat der Senat nicht ausreichen lassen, um in die Beweisaufnahme zur Bestimmung des Wiederbeschaffungswertes des Fahrzeuges einzutreten. Da es sich um Vorschäden gehandelt hätte, die in der Besitzzeit des Klägers aufgetreten wären, konnte von diesem aus Sicht des Senats verlangt werden, dass er sowohl den Umfang des Vorschadens als auch die nach dem Gutachten zu treffenden Reparaturmaßnahmen im Einzelnen anführt und sodann darlegt und notfalls nachweist, auf welche Art und Weise und mit welchen Maßnahmen der Vorschaden tatsächlich beseitigt worden sein soll. Hierfür hätte es erst ein Mindestmaß an Tatsachenvortrag geben müssen, den der Kläger innerhalb der gesetzten Fristen nicht erbracht hat.

III. Bedeutung für die Praxis

Vortrag der wesentlichen Parameter erforderlich

Die Entscheidung zeigt, dass es durchaus auf den Einzelfall ankommt, welcher Tatsachenvortrag von dem jeweiligen Tatgericht im Zusammenhang mit einem Vorschaden gefordert wird und der Prozessbevollmächtigte des Anspruchsstellers gut gehalten ist, sowohl zum Umfang des Vorschadens als auch seiner Reparatur so konkret wie möglich vorzutragen. So hat erst jüngst der das OLG Bremen mit seinem Urt. v. 30.6.2021 (1 U 90/19 = VRR 11/2021, 13) dargelegt, dass selbst im Reparaturfall bei einem überlagernden Schaden der Geschädigte seiner Darlegungs- und Beweislast nachkommt, wenn er die fachgerechte Reparatur behauptet und die dafür wesentlichen Parameter der Reparatur vorträgt und unter Beweis stellt. Die Frage des Vorhandenseins von Rechnungen und die Ausführung der einzelnen Schritte der Reparatur soll sodann nach Ansicht dieses Senats am besten der Beweisaufnahme als solcher und der Beweiswürdigung vorbehalten bleiben. Auf diese Entscheidung nimmt auch der 3. Senat des OLG Bremen Bezug und weist zugleich darauf hin, dass in dem hier vorliegenden Einzelfall allerdings selbst der danach notwendige Tatsachenvortrag mit den wesentlichen Parametern der Reparatur als Grundlage für einen Eintritt in die Beweisaufnahme nicht einmal im Ansatz erbracht worden wäre und bei dem in der Tat knapp gehaltenen Vortrag des Versicherungsnehmers überzeugt dies auch. Welche Anforderungen zu stellen sind kann dabei aber im Einzelfall auch kontrovers erörtert werden.

Erleichterter Maßstab bei der Bestimmung des WBW

Die Anforderungen hierfür dürften allerdings bei der Bestimmung eines Wiederbeschaffungswertes nicht zu hoch angesetzt werden, da es hier gar nicht um einen überlagernden Schadensbereich und die Prüfung geht, ob überhaupt neue Teile als Grundlage einer Schadensvertiefung eingebaut worden sind. Häufig ergibt es auch aus dem Vorschadengutachten einen Restwert, der zumindest als Schätzungsgrundlage herangezogen werden kann. Zudem wird der Wiederbeschaffungswert eines Fahrzeuges bei einem Wiederaufbau aus einem früheren Totalschaden ggf. auch bei einfacheren Instandsetzungsmaßnahmen durchaus gesteigert, selbst wenn die Reparaturen nicht vollständig und fachgerecht, aber immerhin mit einer bestimmten Qualität durchgeführt werden. Hier hängt es also von den Umständen des Einzelfalls ab, welche konkreten Anforderungen an den weiteren Sachvortrag zustellen sind und ob und in welchem Umfang in die Beweisaufnahme eingetreten wird (vgl. Böhm/Nugel, VRR 9/2022, 4 ff.). Handelt es sich dabei sogar um einen Vorschaden aus der Vorbesitzzeit, über den der neue Besitzer getäuscht worden ist, wird im Regelfall in die Beweisaufnahme einzutreten sein (BGH VRR 12/2019, 2; OLG Celle 8/2002, 13). Auch in der Kaskoversicherung sind aber die Anforderungen an die entsprechende Vortragslast bei einem Vorschaden zu berücksichtigen (vgl. OLG Koblenz VRR 8/2022, 16) und der Geschädigte setzt mit seinem Vortrag den Maßstab für die Beweisaufnahme – manchmal ist dann „weniger“ durchaus „mehr“, wenn statt dem Einbau von Neuteilen tatsächlich nur eine Instandsetzung der Altteile durchgeführt worden ist und dies auch eingeräumt werden sollte.

RA Dr. Michael Nugel, FA für VerkehrsR und VersR, Essen

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