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Übliches Sachverständigenhonorar als Schadensersatzforderung

1. Trifft ein Sachverständigenbüro bei der Begutachtung eines Kfz nach einem Verkehrsunfall mit dem Geschädigten als Auftraggeber keine gesonderte Vergütungsvereinbarung, wird lediglich die übliche Vergütung als Honorar geschuldet.

2. Klagt das Sachverständigenbüro eine Honorarforderung für die Erstellung dieses Gutachtens, die nicht bezahlt ist, gegenüber dem Haftpflichtversicherer des Unfallgegners ein, bildet die übliche Vergütung den allein zu erstattenden Maßstab.

3. Die übliche Vergütung ist in diesem Fall anhand eines Mittelwertes zwischen einerseits der BVSK-Befragung 2020 und andererseits einer Abrechnung des Honorars nach Stundensätzen in Orientierung nach den Sätzen des JVEG auf Basis eines angemessenen Zeitaufwandes nebst Nebenkosten vorzunehmen.

AG Günzburg, Urt. v. 15.11.20221 C 444/22

I. Sachverhalt

Differenzen bei der Berechnung der üblichen Vergütung

Die Klägerin hatte als Sachverständigenbüro im Auftrag des Geschädigten dessen Kfz nach einem Verkehrsunfall begutachtet, für den die beklagte Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung im vollen Umfang eintrittspflichtig gewesen ist. Nach den Feststellungen des Tatrichters konnte keine konkrete Vergütungsvereinbarung zugunsten der Klägerin angenommen werden. Von der Beklagtenseite war die übliche Vergütung eines Sachverständigen anhand eines Stundensatzes von 140 EUR in Orientierung der Sätze nach dem JVEG bei einem Zeitaufwand von ihm gut 5 Stunden nebst Nebenkosten nach den Werten des JVEG bestimmt worden. Hieraus ergab sich ein Betrag von 820 EUR netto = 985 EUR brutto. Die Klägerseite hatte dagegen einen pauschalen Wert für das Grundhonorar nebst Nebenkosten nach dem JVEG angesetzt und kann zu einem Betrag von 1.639 EUR Brutto. Sodann hat die Klägerseite aus abgetretenem Recht das noch offene Sachverständigenhonorar gegenüber der Beklagtenseite eingeklagt.

II. Entscheidung

Keine Indizwirkung bei unbezahlter Rechnung

Seitens des Amtsgerichtes wurde darauf hingewiesen, dass bei dieser Konstellation lediglich die übliche Vergütung vom Geschädigten gegenüber der Klägerin geschuldet wird, da keine konkrete Honorarvereinbarung getroffen wurde. Die übliche Vergütung bildet zugleich auch unter dem Gesichtspunkt des Schadenersatzrechtes die Obergrenze des zu erstattenden Betrags, da der Geschädigte schon werkvertraglich gegenüber dem von ihm beauftragten Unternehmer mit der Klägerin nicht verpflichtet ist, einen höheren Betrag zu zahlen und ohnehin der von der Klägerin selbst erstellten Rechnung keine Indizwirkung zukommen würde, da diese nicht bezahlt worden ist.

Berechnungsgröße: Zeitaufwand oder entstandener Schaden

Das Gericht wäre daher gehalten, selbst eine Schätzung der üblichen Vergütung vorzunehmen. Insoweit greift der Tatrichter zum einen auf die in der Rechtsprechung bereits bekannte Umfrage des BVSK aus dem Jahr 2020 als Schätzungsgrundlage zurück. Zum anderen wird aber auch eine Berechnung auf Basis eines Stundensatzes nach Zeit als zweite Schätzungsgrundlage bedacht. Dies deshalb, da das Gericht die Vergütung gegenüber einem vom Gericht beauftragten Sachverständigen nach Zeit mit einem Stundensatz auch für angemessen erachtet, der sich aus dem JVEG ergibt. Eine solche Abrechnung kommt aus Sicht des Gerichtes in der Praxis auch bei größeren Prüforganisation wie beispielsweise der Dekra vor und ist daher ebenfalls in Betracht zu ziehen.

Bestimmung der üblichen Vergütung nach Mittelwert

Da beide Berechnungsmethoden üblich wären wurde auf Basis beider Schätzungsgrundlagen dann ein Mittelwert gebildet und die übliche Vergütung zuzüglich der vom Gericht für angemessen erachteten Nebenkosten bestimmt, die sich im Wesentlichen an den Werten aus dem JVEG orientieren.

Überprüfungsmöglichkeit durch den Tatrichter

Bedeutung für die Praxis: Für die hier vorliegende Konstellation, dass ein Sachverständigenhonorar noch nicht bezahlt worden ist, hat der BGH in ständiger Rechtsprechung anerkannt, dass alle Einwendungen in der Sache zur Höhe der geforderten Vergütung erbracht werden können – und zwar auch gegenüber dem Sachverständigen, wenn dieser aus abgetretenem Recht vorgeht (Grundlegend bereits: BGH, Urt. v. 26.4.2016 – VI ZR 50/15 = VRR 2016, Nr. 7, 3). In dieser Entscheidung hat der BGH auch darauf hingewiesen, dass der Tatrichter die Nebenkosten nach den Werten aus dem JVEG ermitteln und schätzen kann.

BVSK Befragung ist als Schätzungsgrundlage kritisch zu sehen

Bzgl. des Grundhonorars hat der BGH dagegen vor 15 Jahren noch eine Bestimmung der üblichen Vergütung anhand eines Bezugs zur Höhe des ermittelten Schadens wie in der BVSK Umfrage für grundsätzlich zulässig erachtet (BGH, Urt. v. 23.1.2007 – VI ZR 67/06 = VRR 2007, 224. Die Umfrage des BVSK ist aber über die deutlich überzogenen Nebenkosten in der darauffolgenden Zeit vom BGH mehrfach kritisiert worden (beispielhaft: BGH, Urt. v. 24.10.2017 – VI ZR 61/17) und dies hat zu dem Ergebnis geführt, dass in der aktuellen Umfrage des BVSK gar keine Nebenkosten mehr abgefragt werden.

Bei einer Abrechnung des Grundhonorars nach den Werten der BVSK Befragung fällt in der Praxis auf, dass die Vergütung unter Bezugnahme auf den eingetretenen Schaden dem Sachverständigen bei einem bereits moderaten Schaden bei einem sehr geringen Zeitaufwand eine auffallend hohe Vergütung erlaubt, die anderen Dienstleistern, die lediglich nach Zeit abrechnen, nicht möglich ist. Die Praxis, wie beispielsweise die Abrechnung der Dekra als einem großen, anerkannten Sachverständigenverband, zeigt allerdings, dass auch andere Arten der Berechnung der Vergütung am Markt bestehen. Ohnehin steht die Umfrage des BVSK auch deshalb in der Kritik, da die Sachverständigen in Kenntnis ihrer Bedeutung für die Bestimmung der üblichen Vergütung dazu tendiert haben, derart hohe Abrechnungen beispielsweise bei den Nebenwerten vorzunehmen, dass hier auch der BGH in den dargelegten Entscheidungen eingreifen musste. Festzuhalten ist daher, dass die „eigene Befragung eines Verbandes“ zur Bestimmung der als üblich anzusehenden Vergütung naturgemäß mit Vorsicht zu genießen ist – die Entscheidung des Amtsgerichts zeigt einen weiteren Weg zur Bestimmung der üblichen Vergütung auf, bei dem abzuwarten ist, ob und welche Bedeutung er in der Praxis erlangen kann.

RA Dr. Michael Nugel, FA für VerkehrsR und VersR, Essen

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