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LKW-Verwiegung mittels Radlastwaage Haenni WL 103

1. Einer nur einfachen Verwiegung eines LKW-Gespannes mittels Radlastwaage fehlt regelmäßig die Belastbarkeit im gerichtlichen Beweisverfahren, so dass es einer zweiten Verwiegung zur Kontrolle des Wiegeergebnisses bedarf.

2. Bei einer Verwiegung mittels Radlastwage entspricht es dem aktuellen Stand der Technik und ist es daher unverzichtbar, dass eine Verwiegung konkret nicht nur nach Vorwärtsfahrt auf die Waage, sondern zusätzlich erneut auch nach Rückwärtsfahrt auf die Waage durchgeführt wird.

3. Veränderungen im Ablauf von ordnungsbehördlichen Verwiegemaßnahmen bedürfen nach §§ 6, 46 MessEG der vorherigen Prüfung und Bestätigung des Regelermittlungsausschusses der PtB. (Leitsätze des Verfassers)

AG Schleiden, Urt. v. 9.9.202213 OWi 178/21

I. Sachverhalt

Verwiegung eines Langholzgespanns

Dem Betroffenen wurde vorgeworfen, als angestellter Berufskraftfahrer am 3.3.2021 eine mit Langholz beladene LKW-Kombination aus Zugmaschine und teleskopierbarem Nachläufer unter Überschreitung des zulässigen Gesamtgewichts von 40.000 kg um 20,75 %, also mit namentlich mit 48.300 kg Gesamtgewicht geführt zu haben, wobei die Transportstrecke bis zur polizeilichen Kontrolle ca. 150 km betrug. Neben den entsprechenden Bußgeldbescheid gegen den Betroffenen trat daher ein Einziehungsverfahren nach § 29a OWiG gegen die Arbeitgeberin, eine im Holzspeditionsgeschäft tätige GmbH.

Das AG hat die Verfahren verbunden und die Arbeitgeberin als Einziehungsbeteiligte im Verfahren gegen den Betroffenen geführt.

Der perfekte Wiegevorgang

Das vorgeworfene Gewicht ermittelte die Polizei gemeinsam mit einem Vertreter der BAG mittels zweier Radlastwagen des Typs Haenni WL 103, die nach den Feststellungen des Gerichts gültig geeicht waren. Die genauen Umstände der Wägung stellt das AG in aller Breite fest: Der Wiegeplatz wurde gesäubert und auf eine Neigung innerhalb der Toleranzgrenzen geprüft. Die Wiegeplatten nebst erforderlichen Ausgleichsmatten wurden ausgelegt, Eichmarken geprüft, Kabel ordnungsgemäß verbunden, Nullstellung beachtet, Funkverkehr eingestellt – kurzum: Das AG stellt eine perfekte Wiegeplatzeinrichtung fest. Dann aber geschah die eigentliche Wägung wie folgt:

„Die Messung der Fahrzeugkombination erfolgte dergestalt, dass jede Achse einfach verwogen wurde, in dem der Fahrer das Fahrzeug nach den Anweisungen der Beamten ausschließlich vorwärts über die Waagen bewegte. Dies steht im Gegensatz zu der bis dahin ausgeübten Praxis, bei der jede Achse zweifach verwogen wurde. Ursprünglich war es so, dass jede Achse eines gemessenen Fahrzeugs wie beschrieben verwogen wurde, in dem der Fahrer dieses zunächst vorwärts auf die Waagen fuhr. Nach der Messung wurde das Fahrzeug nur ein kurzes Stück nach vorne gefahren, bis die Waagen wieder „0“ anzeigten, um sodann nochmals in Rückwärtsfahrt auf die Waagen gestellt und ein zweites Mal gemessen zu werden.“

Der Betroffene und die Einziehungsbeteiligte widersprachen der Verwertung der Verwiegung und rügten gerügt, dass die Messung nur einfach und daher nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden sei.

Verwiegung ohne Rückwärtsfahrt

Diesen Wechsel im Verfahren, den der vorliegende Fall offenbarte, veranlasste das Gericht zu dezidiertem Nachfragen, zunächst gegenüber den eingesetzten Beamten als Zeugen. Diese nahmen nach den Feststellungen Bezug auf einen Erlass des Innenministeriums NRW von 2020, mit dem angeordnet sei, dass „zukünftig […] bei der Überprüfung zulässiger Massen und Lasten nach dem „Polizeilichen Leitfaden für die Wägung von Fahrzeugen im Straßenverkehr zur Überwachung der zulässigen Massen und Lasten“ der Arbeitsgemeinschaft Verkehrspolizeiliche Angelegenheiten zu verfahren“ sei. Dieser polizeiliche Leitfaden vom 11.11.2019 sehe wiederum vor, dass „das Fahrzeug/Fahrzeugkombination […] vorwärts in Fahrtrichtung auf die Waage [fährt]. Eine zusätzliche Wägung nach Rückwärtsauffahrt ist nicht erforderlich.“

Freispruch und Aufhebung des Einziehungsbescheides

Das AG hat den Betroffenen und die Einziehungsbeteiligte aus rechtlichen wie tatsächlichen Gründen freigesprochen und den Einziehungsbescheid aufgehoben.

II. Entscheidung

Vorwurf

Das AG nimmt an der geänderten Verwiegepraxis in zweierlei Hinsicht Anstoß: Zum Einen bemängelt es recht simpel konträr zu der Einschätzung aus dem Leitfaden von 2019 eine mangelnde Belastbarkeit des nur einfach erhobenen Wiegeergebnisses. Zum anderen aber – dies kommt immer wieder zum Ausdruck – missbilligt es die aus seiner Sicht nicht von sachlichen Motiven jenseits einer Verkürzung des Wiegevorgangs getragene Simplifizierung desselben durch Einsparung der bis dahin stets praktizierten zusätzlichen Rückwärtsfahrt auf die Waage.

Unter Betonung des Umstandes, dass weder die Belastbarkeit, noch die Einweisung und Erfahrung der polizeilichen Zeugen in Frage stünden, arbeitet sich das AG für seine Entscheidung mit einer gewissen Akribie durch verschiedenste Rechtsnormen und Begleittexte. Es wertet nicht nur die ursprünglich auf 2015 zurückgehende Anweisungslag der Polizei aus, sondern zugleich Herstellerhinweise und die mit diesen verknüpfte „BTE-Wägebroschüre 2021“, die in Zusammenarbeit von Eichbehörden, Polizei und PtB zustande gekommen sei.

Änderung am Wiegeverfahren gesetzeswidrig

Das AG erklärt schließlich auf Grundlage dieser Auswertung das polizeiliche Vorgehen nach der ministeriellen Vorgabe von 2020 für unvereinbar mit dem Gesetz, da es nicht den anerkannten Regeln der Technik entspreche. Der geänderten Vorgehensweise in der Anwendung der Waagen fehle es schon an einer formalen Legitimation durch den nach §§ 6, 46 MessEG vorgesehenen Regelermittlungsausschuss der PtB, dessen Prüfung und Bestätigung zuvor hätte eingeholt werden müssen, da die weitergeltende Freigabe der Waage durch den Ausschuss auf einer Prüfanweisung für nichtselbstständige Waagen von 2012 und damit auf dem dort niedergelegten Stand der Technik beruhe. Auch sei weiter die Kontrollfrage durch sachverständige Begutachtung des Wiegevorgangs gescheitert, so dass der rein formale Vorbehalt nicht überwindbar erscheine: Es habe sich sachverständig nicht bestätigen lassen, dass sich der Stand der Verwiegetechnik zwischenzeitlich geändert habe. Entsprechende Behauptungen der BTE-Wägebroschüre seien schon deswegen nicht verifizierbar, weil dem Sachverständigen von Behördenseite trotz entsprechender Aufforderung die angeblich zugrunde gelegten Versuchsmessreihen nicht offengelegt worden seien.

Schließlich geht das AG mit der Argumentation der Behörden ins Gericht und rügt etwa die offenbar seitens der Behörde eingebrachte Begründung, eine Verwiegung nach Rückwärtsfahrt sei nicht erforderlich und Wägewerte aus einer Rückwärtsfährt auch nicht verwertbar, „weil die bestimmungsgemäße Verwendung des Fahrzeugs die Vorwärtsfahrt sei“. Überzeugende sachliche Gründe für eine Verkürzung des Wiegevorgangs seien nicht erkennbar.

III. Bedeutung für die Praxis

Bereinigter Sachverhalt

1. Das sehr spezielle Feld der Verwiegung von Transportfahrzeugen – insbesondere LKW-Gespannen – mittels Radlastwagen wird wiederholt von technischen Diskussionen um konkrete Durchführung und Belastbarkeit der Wiegevorgänge im Einzelfall dominiert. Das gesamte technische Verfahren ist sehr fehleranfällig und verlangt den eingesetzten Beamten einiges an Erfahrung und Können – und in der Situation des Zeugen in der mündlichen Hauptverhandlung sodann auch Redegewandtheit – ab. Umso interessanter ist es, dass das AG hier offenbar bewusst all diese klassischen Streitfelder vom Tisch wischt, indem es den Zeugen Erfahrung, Ausbildung und Können attestiert und die Vorbereitung der Verwiegung als geradezu vorbildlich darstellt.

AG übt Grundsatzkritik – Quantität vor Qualität?

2. Dieses Vorgehen wirft ein spezielles Licht auf die sodann tragenden Gründe des – im Übrigen ohne Rechtsmittel rechtskräftig gewordenen – Urteils: Dass sich das Gericht eine Zweitverwiegung als Plausibilisierung und Absicherung gewünscht hätte, tritt eher in den Hintergrund. Was die Entscheidung erkennbar dominiert, ist dagegen eine Empörung über die aus Sicht des Gerichts weder formalrechtlich durchdachten noch von fundierter wissenschaftlich-technischer Erkenntnis getragene Veränderung der Arbeitsstandards der Behörden bei der Feststellung von Ordnungswidrigkeiten. Mehr oder weniger offen bemängelt das Gericht, dass Arbeitsschritte bewährter Verfahren – mutmaßlich zur Beschleunigung und damit Zeit- und Arbeitskraftersparnis – zu Lasten der Prüfbarkeit der Feststellungen im gerichtlichen Verfahren eingespart werden, also die Effizienz der polizeilichen Arbeit den Vorrang vor Rechtssicherheit genießt oder einfacher formuliert Quantität in der polizeilichen Arbeit die Qualität abzulösen scheint.

Ambitioniert und pointiert

3. Selbst, wenn man die durchaus ambitionierte rechtliche Herleitung eines Verstoßes eines konkreten Wiegevorganges gegen das MessEG nicht mitgeht, legt das AG Schleiden eine allemal lesenswerte Entscheidung vor, die an einem speziellen Rechtsbereich mit Fleiß in der Materialrecherche eine leider allgemein und stets zu befürchtende Entwicklung nachzeichnet und die darüber hinaus auch pointiert die teils offenkundige Abwegigkeit vermeintlicher Sachargumente für die Verringerung von behördlichen Arbeitsstandards aufdeckt, etwa wenn das Gericht ebenso trocken wie logisch richtig statuiert:

„Die Behauptung, dass die bestimmungsgemäße Verwendung eines Fahrzeugs allein die Vorwärtsfahrt ist, hält das Gericht für kaum tragbar. Denn ein Fahrzeug sollte – Verzwingungskräfte berücksichtigt – sowohl in Vorwärts- wie auch in Rückwärtsfahrt zumindest näherungsweise dasselbe Gewicht aufweisen.“

Verteidiger

Bezogen auf die Verteidigung in Ordnungswidrigkeiten zeigt sich hier einmal mehr, dass der Blick ins Detail des Sachverhalts immer wieder lohnt. Selbst vermeintlich kleine Veränderungen und Abweichungen in gewohnten und vertrauten Arbeitsmustern der Polizei können den Anlass für grundlegende gerichtliche Neuabwägungen in eigentlich aus Verteidigersicht längst verloren geglaubten Bereichen bieten. Also: Den sachlichen und fachlichen Diskurs suchen!

RiAG Malte Theis, Euskirchen

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