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Linksabbiegerunfall an einer Lichtzeichenanlage

1. Derjenige, dem ein grüner Pfeil das Linksabbiegen gestattet, darf darauf vertrauen, dass Gegenverkehr durch Rotlicht gesperrt ist und Fahrzeuge aus der Gegenrichtung das für sie geltende Haltegebot beachten. Dieser Vertrauensgrundsatz wird nicht dadurch beseitigt, dass nach Passieren der Ampel für den Linksabbieger die Anlage ausfällt.

2. Ein Idealfahrer hätte aus dem mit dem Ampelausfall einhergehenden Ausfall des Ampellichts der Fußgängerampel, der für die Linksabbieger erkennbar war, geschlossen, dass es eine Fehlfunktion der Ampelschaltung gibt. Ein unabwendbares Ereignis liegt deshalb nicht vor. (Leitsatz des Gerichts)

OLG Schleswig, Urt. v. 20.9.20227 U 201/21

I. Sachverhalt

Linksabbiegerampel

Die Klägerin macht Ansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend. Die Klägerin befuhr mit ihrem Pkw die Kreuzung der S.-Str./W.-Str. auf der S.-Str. aus B. kommend. Sie wollte an der Kreuzung nach links in die W.-Str. einbiegen. Auf der S.-Str. ist für das Linksabbiegen in die W.-Str. eine eigene Abbiegespur mit „Linksabbieger-Ampel“ eingerichtet. Die Klägerin ordnete sich auf der Linksabbiegerspur in Richtung W.-Str. ein und bog dann ab. In Gegenrichtung fuhr der Beklagte mit einem Omnibus auf der S.-Str. aus Richtung L. Innenstadt kommend in Fahrtrichtung B. Der Pkw der Klägerin wurde während des Abbiegevorgangs durch den Omnibus hinten rechts angefahren und beschädigt. Die Ampelanlage war zum Zeitpunkt der Kollision unstreitig ausgefallen, wobei Einzelheiten zwischen den Parteien streitig gewesen sind.

LG spricht zu 100 % zu

Das LG hat der Klage nach Beweisaufnahme stattgegeben. Der Beklagte zu 2) habe der allgemeinen Sorgfaltspflicht aus § 1 StVO sowie der aus § 11 Abs. 3 StVO folgenden Pflicht zum umsichtigen Fahren bei unklarer Verkehrslage zuwider gehandelt. Zwar habe er nach Ausfall der Ampelanlage das Vorfahrtsrecht gehabt, aber er habe den Ausfall der Lichtzeichenanlage während der Dauer seiner Rotphase sehen und auf die gefährliche Verkehrslage reagieren müssen. Für die Klägerin sei der Unfall dagegen unabwendbar gewesen. Sie sei noch bei für sie eingreifenden Grünlicht in die Kreuzung eingefahren. Aus der während des Abbiegevorgangs ebenfalls ausgefallenen Fußgängerampel habe die Klägerin nicht ableiten müssen, dass die ganze Ampelanlage ausgefallen sei, denn diese Ampel habe sie vernachlässigen dürfen. Die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten hatte teilweise Erfolg.

II. Entscheidung

OLG sieht Haftungsquote von nur 80 % zu 20 % als gerechtfertigt an

Die festgestellten Tatsachen rechtfertigen nach Auffassung des OLG eine andere Entscheidung. Der Klägerin steht gegenüber den Beklagten der geltend gemachte Anspruch aus §§ 7, 11, 17 Abs. 2, Abs. 1, 18 StVG, § 115 VVG nur teilweise, nämlich nach Abwägung der Verursachungsbeiträge nur im Rahmen einer Haftungsquote von 80 % zu 20 % zugunsten der Klägerin zu. Zwar habe der Beklagte haben mit der Berufung die wesentlichen Feststellungen des LG nicht angegriffen, insbesondere die zu seinen Lasten festgestellten Verkehrsverstöße nicht beanstandet. Auch die Feststellung, dass alle Kreuzungsampeln, mithin auch die zuvor für die Klägerin grünes Licht anzeigende „Linksabbiegerampel“, erst ausfielen, als die Klägerin die „Linksabbiegerampel“ bereits nicht mehr wahrnehmen konnte, da sie diese bereits bei für sie geltendem Grünlicht passiert hatte, werde mit der Berufung nicht beanstandet. Gleichwohl ist nach Auffassung des OLG eine andere Entscheidung gerechtfertigt.

Unabwendbares Ereignis

Denn das LG habe – so das OLG – zu Unrecht für die Klägerin ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG angenommen. Ein unabwendbares Ereignis liege nur dann vor, wenn der Unfall auch bei der äußersten möglichen Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte. Dies erfordere ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln über den gewöhnlichen und persönlichen Maßstab hinaus und damit das Verhalten eines Idealfahrers. Ein unabwendbares Ereignis sei zu verneinen, wenn ein besonders umsichtiger Fahrer die Gefahr noch abgewendet hätte (vgl. OLG Frankfurt am Main NJOZ 2015, 169).

Klägerin kein „Idealfahrer“

Diesem hohen Maßstab eines Idealfahrers habe das Verhalten der Klägerin nicht genügt. Ein Idealfahrer hätte aus dem Ausfall des Ampellichts der Fußgängerampel, der für die Linksabbieger erkennbar war, geschlossen, dass es eine Fehlfunktion der Ampelschaltung gab. Dies wiederum hätte Anlass geben können, den Abbiegevorgang angesichts vorhandenen Gegenverkehrs zunächst abzubrechen, um dadurch den Unfall zu vermeiden. Dass die Klägerin, wie das LG angenommen habe, die Fußgängerampel vernachlässigen konnte, weil diese während einem grünen Ampellicht zum Linksabbiegen immer rotes Licht anzeige, verkenne die besonders hohen Anforderungen an das Verhalten des Idealfahrers, der eine über den gewöhnlichen Fahrdurchschnitt besonders hinausgehende Aufmerksamkeit und Umsicht zeigen müsse.

Abwägung

Im Rahmen der hiernach bei einem Verkehrsunfall zweier Kraftfahrzeuge erforderlichen Abwägung gemäß § 17 Absatz 1 StVG sei auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen, insbesondere darauf, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden sei. Bei der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer der beteiligten Fahrzeuge seien unter Berücksichtigung der von beiden Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr nur unstreitige bzw. zugestandene und bewiesene Umstände zu berücksichtigen. Jeder Halter habe dabei die Umstände zu beweisen, die dem anderen zum Verschulden gereichen und aus denen er für die nach § 17 Abs. 1 u. 2 StVG vorzunehmende Abwägung für sich günstige Rechtsfolgen herleiten will (vgl. BGH NZV 1996, 231).

Kein Verkehrsverstoß der Klägerin

Neben den zu Lasten des Beklagten zutreffend festgestellten Verkehrsverstößen sei dem LG insoweit zu folgen, dass der Klägerin kein Verkehrsverstoß vorzuwerfen sei. Denn die Nichtbeachtung der Fußgängerampel genüge zwar, um ihr die Berufung auf ein unabwendbares Ereignis zu versagen, es erreiche aber nicht die Qualität eines Verkehrsverstoßes. Ein Verstoß gegen § 9 Abs. 4 Satz 1 StVO liege nicht vor. Denn zum Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie habe die vorhandene „Linksabbiegerampel“ für die Klägerin grünes Ampellicht aufgewiesen. Es liege auch kein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO vor, wonach derjenige, der am Verkehr teilnimmt, sich so zu verhalten hat, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird. Denn derjenige, dem ein grüner Pfeil das Linksabbiegen gestatte, dürfe darauf vertrauen, dass Gegenverkehr durch Rotlicht gesperrt ist und Fahrzeuge aus der Gegenrichtung das für sie geltende Haltegebot beachten (vgl. BGH NZV 1992, 108, 109). Dieser Vertrauensgrundsatz werde nicht dadurch beseitigt, dass nach Passieren der Lichtzeichenanlage die Anlage ausfalle.

Betriebsgefahr bleibt

Zu Lasten der Klägerin verbleibe somit die Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs, die im vorliegenden Fall nicht zurücktrete. Das Zurücktreten eines Verursachungsbeitrags setze in der Regel eine nicht erheblich ins Gewicht fallende mitursächliche Betriebsgefahr auf der einen Seite und ein grobes Verschulden auf der anderen Seite voraus (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl., StVG, § 17 Rn 16). Hier handele sich um ein Fehlverhalten leichterer Art in einer Verkehrssituation, die nicht alltäglich sei (Ampelausfall). Dies könne die Einstufung als grober Verstoß nicht zu tragen.

III. Bedeutung für die Praxis

Überspannte Anforderungen

M.E. legt das OLG die Latte zu hoch für die Klägerin. Die Klägerin fährt unstreitig bei Grün in den Kreuzungsbereich ein, danach fällt die Lichtzeichenanlage aus, was die Klägerin nicht mehr wahrnehmen kann. Und dann soll sie aus der ausgefallenen Fußgängerampel schließen können/müssen, dass die gesamte Ampelanlage ausgefallen ist und deshalb anhalten? Das ist für mich nicht nur nicht nachvollziehbar, sondern überspannt die Anforderungen an den Kraftfahrer. Das kann man m.E. nicht verlangen, und zwar auch nicht vom „Idealfahrer“. OLG-Richter scheinen das aber offenbar zu sein.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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