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Gebühren des Verteidigers im selbstständigen Einziehungsverfahren nach dem OWiG

1. Der Verteidiger eines Einziehungsbeteiligten kann im selbstständigen Einziehungsverfahren nach § 29a Abs. 5 OWiG dieselben Gebühren geltend machen wie der Verteidiger eines wegen der Ordnungswidrigkeit Verfolgten.

2. Der Verteidiger muss bei der Bestimmung der konkreten Verfahrensgebühren aber angemessen berücksichtigen, dass es an einer individuellen Bedeutung der anwaltlichen Tätigkeit insoweit fehlt.

(Leitsätze des Gerichts)

LG Stuttgart,Beschl. v.17.2.2020–20 Qs 15/19

I. Sachverhalt

Die Verwaltungsbehörde hat gegen den Betroffenen im August 2016 wegen Verstößen gegen die StVG-Vorschriften über die zulässige Höhe von Fahrzeugen und Ladung eine selbstständige „Verfalls“-anordnung nach § 29a Abs. 5 OWiG in Höhe von rund 5.000 EUR erlassen. Nach deren Rücknahme erging eine erneute selbstständige Verfallsanordnung in Höhe von rund 2.500 EUR. Dagegen legte die Verfallsbeteiligte durch ihren Verteidiger Einspruch ein. Ein Bußgeldbescheid erging nicht. Das AG ordnete dann mit Urt. v. 17.11.2018 auf Grundlage der durch das „Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung“ v. 13.4.2017 geänderten Vorschriften die Einziehung eines Geldbetrages von 2.541,25 EUR an. Auf die Rechtsbeschwerde der Einziehungsbeteiligten wurde das Verfahren vom OLG wegen Verfolgungsverjährung eingestellt. Die Verfahrenskosten und die notwendigen Auslagen der Betroffenen wurden der Staatskasse auferlegt.

Die Betroffene, die im Verfahren von einem Rechtsanwalt vertreten worden ist, machte die Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG, Verfahrensgebühren nach den Nrn. 5103, 5109 VV RVG und für das Rechtsbeschwerdeverfahren nach Nr. 5113 VV RVG geltend. Die Gebühren wurden jeweils dem Rahmen für Geldbußen ab 5.000 EUR entnommen und jeweils eine Gebühr deutlich oberhalb der Mittelgebühr angesetzt. Der Vertreter der Staatskasse ist den geltend gemachten Verfahrensgebühren entgegengetreten. Nach ihrer Auffassung stand dem RA im selbstständigen Verfahren nach § 29a Abs. 5 OWiG lediglich eine Gebühr nach Nr. 5116 VV RVG für die Tätigkeit vor der Verwaltungsbehörde und dem AG zusammen und gesondert im Rechtsbeschwerdeverfahren zu. Zudem sei infolge der Reduzierung der Verfallsanordnung im Verwaltungsverfahren nur von einem Einziehungswert von 2.542,25 EUR auszugehen.

Der Verteidiger der Einziehungsbetroffenen korrigierte daraufhin seine Kostenrechnung und machte Gebühren aus einem Einziehungswert von 2.542,25 EUR in Höhe von insgesamt 1.036,50 EUR geltend, wobei er an den zur Mittelgebühr jeweils deutlich erhöhten Gebühren festhielt. Er ist davon ausgegangen, dass es sich bei der Gebühr nach Nr. 5116 VV RVG um eine zusätzliche Gebühr handelt, die nicht ohne korrespondierende Grundgebühr entstehen könne. Die Gebühr Nr. 5116 VV RVG habe er bislang noch nicht geltend gemacht. Unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des Vertreters der Landeskasse billigte das AG der Einziehungsbetroffenen lediglich zwei Gebühren nach Nr. 5116 VV RVG sowie die beantragten Auslagenpauschalen im Gesamtwert von 504,50 EUR zu. Die sofortige Beschwerde der Betroffenen hatte überwiegend Erfolg.

II. Entscheidung

Nach der Auffassung des LG kann der Verteidiger im selbstständigen Einziehungsverfahren nach § 29a Abs. 4 OWiG dieselben Gebühren geltend machen wie der Verteidiger eines Betroffenen. Er sei demnach nicht auf die Gebühr nach Nr. 5116 VV RVG beschränkt, sondern verdiene auch die Grundgebühr nach Nr. 5100 VV RVG und die jeweiligen Verfahrens- und Terminsgebühren. Bei der Gebührenbestimmung müsse er aber angemessen berücksichtigen, dass eine Verteidigung gegen die Ordnungswidrigkeit nur dem Grunde nach erfolgt. Dies folge aus dem Wortlaut und der Systematik der einschlägigen Gebührentatbestände sowie dem Zweck der besonderen Vergütung der Verteidigerleistung bei Einziehungsmaßnahmen.

Die Vergütung des beauftragten Rechtsanwalts werde in Rechtsprechung und Literatur uneinheitlich beurteilt (vgl. dazu die Nachw. bei Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 24. Aufl. 2019, 5116 VV Rn 1 ff.; Burhoff RVGreport 2016, 282; s. zuletzt auch LG Freiburg, RVGreport 2020, ¢¢¢, das nur die Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG neben der Gebühr aus Nr. 5116 VV RVG festgesetzt hat). Das LG schließt sich insoweit der wohl h.M. an. Die überzeuge. Die Gebührentatbestände für Bußgeldsachen seien im Teil 5 VV RVG abschließend geregelt. Die aufeinander aufbauenden Gebühren des Verteidigers bestehen demnach aus der Grundgebühr nach Nr. 5100 VV RVG, den Verfahrens- und Terminsgebühren für das Verwaltungs-, Gerichts- und Beschwerdeverfahren nach Nrn. 5101 VV RVG bis 5114 VV RVG sowie aus zusätzlichen Gebühren, von denen vorliegend lediglich die Verfahrensgebühr für eine Einziehung und verwandte Maßnahmen nach Nr. 5116 VV RVG in Betracht komme. Dies ergebe sich bereits aus der systematischen Anordnung in Unterabschnitten und der Überschrift „Zusätzliche Gebühren“ des Unterabschnitts 5 zur Verfahrensgebühr Nr. 5116 VV RVG. Daneben spreche auch der Gesetzeswortlaut selbst für diese Sichtweise, da der Vertreter eines Einziehungsbeteiligten nach der Vorbem. 5 Abs. 1 VV RVG die gleichen Gebühren verdiene wie der Verteidiger des Betroffenen im Bußgeldverfahren. Mit dieser eindeutigen gesetzlichen Verweisung sei es nicht in Einklang zu bringen, wenn man den Verteidiger bei einem selbstständigen Einziehungsverfahren auf die Gebühren nach Nr. 5116 VV RVG beschränke.

Hinsichtlich der Gebührenhöhe hat der Vertreter der Einziehungsbeteiligten aber Abstriche hinnehmen müssen. Der Verteidiger/Vertreter müsse bei der Bestimmung der konkreten Verfahrensgebühren innerhalb des jeweiligen Gebührenrahmens aber zentral berücksichtigen, dass eine Verteidigung im selbstständigen Einziehungsverfahren im Hinblick auf den OWi-Vorwurf nur dem Grunde nach erfolge und es an einer individuellen Bedeutung der anwaltlichen Tätigkeit für den Mandanten fehle. Eine gegenüber der Mittelgebühr erhöhte Gebühr werde demnach nur in besonders begründeten Ausnahmefällen erstattungsfähig sein. Die Kammer verkenne zwar nicht, dass es bei einem selbstständigen Einziehungsverfahren an einem Bußgeldbescheid naturgemäß fehle und demnach ein konkretes Bußgeld als Anknüpfungspunkt für die Verfahrensgebühren nicht zur Verfügung stehe. Nach Vorbemerkung 5.1 Abs. 2 Satz VV RVG richte sich in einem solchen Fall die Höhe der Gebühren im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde aber nach dem mittleren Betrag der in der Bußgeldvorschrift angedrohten Geldbuße. Damit biete das Gesetz einen tauglichen Anknüpfungspunkt, der auch im gerichtlichen Verfahren, das unmittelbar auf das Verwaltungsverfahren aufbaue, herangezogen werden könne.

III. Bedeutung für die Praxis

1. Die Entscheidung ist zutreffend. Sie entspricht der h.M. in dieser Frage (vgl. LG Karlsruhe RVGreport 2013, 235 = AGS 2013, 230 = VRR 2013, 238 = StRR 2013, 310 = RVGreport 2013, 235 = DAR 2013, 358 = RVGprofessionell 2013, 119; LG Oldenburg RVGreport 2013, 62 = JurBüro 2013, 135 = VRR 2013, 159 = StRR 2013, 314; LG Trier RVGreport 2016, 385 = VRR 10/2016, 20; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, VV 5116 Rn 1; Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 5116 Rn 5;Mielchen, in: Buschbell/Höke, MAH Straßenverkehrsrecht, 5. Aufl. 2020, § 58 Rn 67; unzutreffend a.A. OLG Karlsruhe RVGreport 2012, 301 = StRR 2012, 279 = VRR 2012, 319 m. jew. abl. Anm.Burhoff= AGS 2013, 173; LG Kassel RVGreport 2019, 342; LG Koblenz RVGreport 2018, 386 = AGS 2018, 494; Mayer/Kroiß/Krumm, RVG Vorbem. 5 Rn 38). Dem ist m.E. nichts mehr hinzuzufügen.

2. Auch hinsichtlich der Berechnung der Gebühren ist die Entscheidung zutreffend. Soweit die Gebühren von der Höhe einer/der Geldbuße abhängig sind, gilt: Als Anknüpfungspunkt für die Höhe der Verfahrens- und Terminsgebühren des Vertreters des Einziehungsbeteiligten steht zwar im Zweifel eine bestimmte festgesetzte Geldbuße naturgemäß nicht zur Verfügung. Insoweit ist jedoch auf Vorbem. 5.1 Abs. 2 Satz 2 VV RVG zu verweisen. Danach richtet sich in einem solchen Fall die Höhe der Gebühren im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde nach dem mittleren Betrag der in der Bußgeldvorschrift angedrohten Geldbuße oder nach dem in einer Rechtsvorschrift bestimmten Regelsatz (s. auch LG Karlsruhe, a.a.O.). D.h., es ist die Geldbuße zu ermitteln und zugrunde zu legen, die festgesetzt worden wäre, wenn man auch gegen den Betroffenen vorgegangen wäre. Die lässt sich anhand eines BKat oder eines bundeseinheitlichen Tatbestandskatalogs unschwer ermitteln.

Soweit es um die Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG und die Verfahrensgebühr Nr. 5113 VV RVG bzw. die Terminsgebühr Nr. 5114 VV RVG geht, ergeben sich keine Schwierigkeiten, da die Gebühren nicht von der Höhe einer Geldbuße abhängig sind.

Auf die Höhe der Geldbuße kommt es schließlich auch nicht bei der Festsetzung der Gebühr Nr. 5116 VV RVG an. Denn insoweit ist bei dieser Wertgebühr der Gegenstandswert maßgeblich (vgl. u.a. LG Stuttgart, Beschl. v. 30.1.2019 – 20 Qs 1/19, RVGreport 2019, 194; Gerold/Schmidt/Burhoff, VV 5116 Rn 6 m.w.N.).

RADetlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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