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Gegenerklärungsfrist im Revisionsverfahren

1. Die Revisionsbegründungsfrist und die Frist des § 349 Abs. 3 S. 2 StPO zur Abgabe einer Gegenerklärung gegen die beabsichtigte Verwerfung einer Revision können nicht verlängert werden.

2. Stellungnahmen nach Ablauf der Gegenerklärungsfrist muss das Revisionsgericht selbst dann nicht abwarten, wenn sie ausdrücklich in Aussicht gestellt werden.

(Leitsätze des Verfassers)

BGH, Beschl. v. 15.11.20234 StR 239/23

I. Sachverhalt

Antrag des GBA auf Verwerfung der Revision als „o.u.“

Der Angeklagte war vom LG u.a. wegen Betruges in 64 Fällen zu zwei Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt worden. Im Revisionsverfahren hat der GBA beantragt, das Rechtsmittel nach § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen. Der Antrag wurde einem der beiden Pflichtverteidiger ordnungsgemäß zugestellt; die so in Lauf gesetzte Frist zur Stellungnahme endete am 15.8.2023.

Fristverlängerungsantrag des Angeklagten

Nach der Zustellung des Antrags beantragte der Angeklagte, die Frist zur Abgabe der Gegenerklärung zu verlängern, woraufhin ihm der Vorsitzende mitteilte, dass der Senat nicht vor dem 2.9.2023 entscheiden werde.

Eintritt eines weiteren Verteidigers

Mit Schriftsatz vom 23.8.2023 legitimierte sich ein weiterer Rechtsanwalt für den Angeklagten, ersuchte um Akteneinsicht und beantragte „zur Begründung der Revision“ eine Fristverlängerung bis mindestens zum 26.9.2023. Der Vorsitzende veranlasste daraufhin die Ausfolgung der Akten und teilte dem neu eingetretenen Verteidiger zugleich mit, dass die Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 nicht verlängerbar sei.

Neuer Fristverlängerungsantrag

Kurz darauf wandte sich der Angeklagte nochmals selbst an den Senat und beantragte erneut Fristverlängerung, nunmehr bis zum 28.9.2023 und „zur Stellungnahme auf den Antrag des GBA“, woraufhin der Vorsitzende ihm mitteilte, dass eine Fristverlängerung nicht möglich sei.

Befangenheitsanträge

Hierauf reagierte der Angeklagte mit insgesamt fünf jeweils gleichlautend begründeten Befangenheitsanträgen gegen den Senatsvorsitzenden, in denen er jeweils ausführte, dass durch die Vorgehensweise des Vorsitzenden sowohl seinem neuen Verteidiger als auch ihm selbst verwehrt werde, zum Verwerfungsantrag des GBA Stellung zu nehmen. Außerdem hätten seine „Pflichtanwälte“ keine umfassende Stellungnahme abgegeben. Hieraus resultiere ein „Rechtsanspruch auf neue Verteidiger“, von dem der Vorsitzende „keinen Gebrauch gemacht“ habe.

Ablehnungsgesuche und Revision erfolglos

Der BGH hat den ersten Befangenheitsantrag als unbegründet und die weiteren Ablehnungsgesuche jeweils als unzulässig verworfen. Tags darauf verwarf der Senat die Revision größtenteils nach § 349 Abs. 2 StPO.

II. Entscheidung

Kein Ablehnungsgrund ersichtlich

1. Der Senat sieht weder in der Ablehnung einer Fristverlängerung noch in der unterbliebenen Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers einen Ablehnungsgrund; der erste Befangenheitsantrag sei deshalb jedenfalls unbegründet. Die in der Folge gestellten vier weiteren Ablehnungsgesuche seien bereits unzulässig, da es sich bei dem Antragsvorbringen jeweils ausschließlich um Wiederholungen der bereits dem ersten Antrag zugrunde gelegten Begründung handelte.

Fristverlängerungen nicht möglich

a) Die Mitteilungen des Vorsitzenden an den Angeklagten und an dessen neuen Verteidiger, wonach eine Fristverlängerung nicht in Betracht komme, entspreche sowohl im Hinblick auf die Frist des § 345 Abs. 1 StPO als auch auf jene des § 349 Abs. 3 S. 2 StPO der Gesetzeslage. Zudem entspreche es der Rechtsprechung des BGH, dass Stellungnahmen zur Antragsschrift des GBA nach Ablauf der Gegenerklärungsfrist selbst dann nicht abgewartet zu werden brauchen, wenn sie ausdrücklich in Aussicht gestellt worden sind. Die Ablehnung eines weiteren Entscheidungsaufschubs sei deshalb in Ermangelung eines sachlichen Grundes hierfür unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgrundsatzes sachgerecht gewesen.

Kein Anlass für weitere Beiordnungen

b) Gleiches gelte für die unterbliebene Bestellung weiterer Pflichtverteidiger. Es sei nicht ersichtlich, dass eine ordnungsgemäße Verteidigung durch die beiden bislang bestellten Verteidiger nicht gewährleistet ist. Ob ein Verteidiger von der Möglichkeit zur Stellungnahme zum Verwerfungsantrag des GBA Gebrauch macht, obliege allein seiner Verantwortung; eine Pflicht des Revisionsgerichts, auf die Abgabe einer Stellungnahme hinzuwirken, bestehe nicht.

Entscheidung über Revision verfassungsrechtlich geboten

2. Zur einen Tag nach Zurückweisung der Ablehnungsgesuche erfolgten weitgehenden Verwerfung der Revision nach § 349 Abs. 2 StPO erklärte der Senat, dass er Äußerungen des Angeklagten und seiner Verteidiger, die nach Ablauf der Frist des § 349 Abs. 3 S. 2 StPO eingingen, berücksichtigt und nunmehr baldmöglichst nach Ablauf der Frist entschieden habe. Dies sei verfassungsrechtlich geboten.

III. Bedeutung für die Praxis

Zutreffende Entscheidung ohne Neuerungen

Die zutreffende Entscheidung beinhaltet nichts Neues, denn die Rechtsprechung geht seit jeher davon aus, dass die in § 345 Abs. 1 StPO bestimmte Frist zur Begründung der Revision nicht verlängerbar ist (s. hierzu Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 10. Aufl. 2022, Rn 2710 ff.). Zudem hat der BGH schon mehrfach entschieden, dass auch die Frist des § 349 Abs. 3 S. 2 StPO nicht verlängert werden kann (so schon BGH, Beschl. v. 13.12.2007 – 1 StR 497/07, NStZ-RR 2008, 151). Es ist auch nicht neu, dass das Revisionsgericht nicht durch die Ankündigung weiterer Stellungnahmen nach Fristablauf daran gehindert werden kann, über das Rechtsmittel zu befinden (BGH, Beschl. v. 10.11.2021 – 2 StR 189/21). Die trotz dieser klaren Rechtslage gestellten wiederholten Fristverlängerungs- und Befangenheitsanträge, die aufgrund der offensichtlichen Rechtskonformität des Vorgehens des Vorsitzenden zu keinem Zeitpunkt Aussicht auf Erfolg hatten, muten daher letztlich querulatorisch an.

RiOLG Thomas Hillenbrand, Stuttgart

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