Wird gegen den Angeklagten die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet, richtet sich die Berechnung des Vorwegvollzugs auch in vor dem 1.10.2023 begonnenen Verfahren nach § 67 Abs. 5 S. 1 StGB n.F.
(Leitsatz des Verfassers)
I. Sachverhalt
Unterbringung nach § 64 StGB
Das LG verurteilte den Angeklagten am 11.4.2023 wegen Vergewaltigung u.a. bei Freispruch im Übrigen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe und ordnete seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gem. § 64 StGB an. Unter Annahme einer prognostizierten Therapiedauer von einem Jahr und neun Monaten bestimmte die Strafkammer, dass vor der Vollstreckung der Maßregel neun Monate der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zu vollziehen sind.
Neuberechnung des Vorwegvollzugs durch den BGH
Die gegen dieses Urteil eingelegte Revision des Angeklagten hat der BGH nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen; der Ausspruch über die Vollstreckungsreihenfolge wurde jedoch dahingehend abgeändert, dass vor der Vollstreckung der Maßregel nicht neun Monate, sondern ein Jahr und sieben Monate der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zu vollziehen sind.
II. Entscheidung
Reform des Unterbringungsrechts zwingt zur Abänderung
Der Senat hält zunächst fest, dass die Strafkammer die Dauer des Vorwegvollzugs für sich genommen nach dem damals noch gültigen § 67 Abs. 5 S. 1 StGB a.F. rechtsfehlerfrei berechnet habe. Dennoch bedürfe der diesbezügliche Ausspruch aufgrund der zum 1.10.2023 in Kraft getretenen Änderungen der §§ 64, 67 StGB der Änderung. Hierzu sei der Senat aufgrund der rechtsfehlerfreien Feststellungen und tatgerichtlichen Wertung analog § 354 Abs. 1 StPO in der Lage und befugt.
§ 2 Abs. 6 StGB
Zur Begründung verweist der BGH auf § 2 Abs. 6 StGB. Hiernach ist über Maßregeln der Besserung und Sicherung nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt, es sei denn, es ist gesetzlich etwas anderes bestimmt. Eine solche Ausnahmeregelung sei in Art. 316o Abs. 1 S. 1 EGStGB jedoch lediglich für bei Inkrafttreten des neuen Maßregelrechts bereits rechtskräftige „Altfälle“ vorgesehen. Diese sollten vom neuen Vollstreckungsregime ausgenommen werden; insoweit solle sich die Berechnung des Vorwegvollzugs weiterhin nach dem Halbstrafenzeitpunkt bestimmen. Ansonsten jedoch gelte mangels eingreifender besonderer Übergangsregelungen seit dem 1.10.2023 die Vollstreckungsvorschrift des § 67 Abs. 5 S. 1 StGB n.F.
III. Bedeutung für die Praxis
Revision hätte zurückgenommen werden müssen
1. Bei der Verteidigung in Unterbringungssachen muss unbedingt in den Blick genommen werden, dass in fast allen Fallkonstellationen auch für bereits vorher begonnene Verfahren das zum 1.10.2023 geänderte neue Recht gilt. Dies wurde vorliegend auf Seiten des Angeklagten offensichtlich übersehen und deshalb ist seine Revision für ihn geradezu dramatisch nach hinten losgegangen. Ihm steht nunmehr ein mehr als doppelt so langer Vorwegvollzug bevor und er hat auch keine Chance mehr auf eine Entlassung zum Halbstrafenzeitpunkt. Denn bei Maßregeln der Besserung und Sicherung gilt § 2 Abs. 6 StGB, weshalb sich die Rechtslage auch in laufenden Verfahren erheblich ändern kann. Eine Abweichung hiervon hat der Gesetzgeber lediglich für bereits vor dem 1.10.2023 rechtskräftig angeordnete Unterbringungen vorgesehen (vgl. BT-Drucks 20/5913, S. 77 f.; zur Anwendbarkeit des neuen Rechts vgl. auch OLG Celle, Beschl. v. 20.11.2023 – 2 Ws 317/23). Gleichwohl hätte es der Angeklagte in der Hand gehabt, diese Nachteile über Art. 316o Abs. 1 S. 2, Art. 313 Abs. 2 EGStGB durch eine rechtzeitige Rücknahme der Revision zu vermeiden. Für dieses Versäumnis zahlt er nun einen hohen Preis.
Weitere Nachweise
2. Zu allem eingehend a. Terwolbeck StRR 1/2024, 6 ff. (in dieser Ausgabe) und OLG Celle StRR 12/2023, 34.