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Stören der Urteilverkündung als Verfahrensfehler?

1. Die Störung der Urteilsverkündung durch Schreien des Verteidigers begründet keine Verfahrensrüge.

2. Nach Beginn der Urteilsverkündung mit den ersten Worten der Eingangsformel „Im Namen des Volkes“ muss das Gericht Beweisanträge nicht mehr entgegennehmen,

(Leitsätze des Verfassers)

BGH, Urt. v. 26.10.20235 StR 257/23

I. Sachverhalt

Urteilsverkündung gestört

Das LG hat den Angeklagten wegen schweren Wohnungseinbruchsdiebstahls verurteilt. Die Urteilsverkündung wurde durch lautes Schreien des Verteidigers übertönt. Die Stellung von Beweisanträgen soll nach Ansicht des Angeklagten insoweit verhindert worden sein. Seine Revision bleib erfolglos.

II. Entscheidung

Schreien begründet keine Verfahrensrüge

Soweit der Revisionsführer meint, das Urteil sei deshalb nicht wirksam i.S.v. § 268 StPO verkündet worden, weil der Verteidiger die Urteilsverkündung durch lautes Schreien übertönt habe, gehe eine solche Rüge schon im Ansatz fehl. Verfahrensbeteiligte hätten nur dann das Wort, wenn ihnen dies durch den Vorsitzenden erteilt wird, denn diesem obliegt die Verhandlungsführung (§ 238 Abs. 1 StPO). Die gesetzlich vorgeschriebene Verkündung des Urteils durch den Vorsitzenden nach Maßgabe von § 268 Abs. 2 StPO dürfe weder durch lautes Schreien gestört noch durch andere Maßnahmen Verfahrensbeteiligter behindert werden. Rechtswidrige Störungen des Verfahrensablaufs durch Verfahrensbeteiligte begründeten keine Rechtsfehler des Gerichts, sondern legen bei darauf gestützten Verfahrensbeanstandungen den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs nahe (vgl. zur Behandlung von Verfahrensrügen, die auf rechtsmissbräuchliches Verhalten gestützt werden, BGH NJW 2006, 708, 709). Einwände gegen die Verfahrensweise des Gerichts vor oder während der Urteilsverkündung müssten gegebenenfalls mit einem Rechtsmittel geltend gemacht werden, rechtfertigten aber nicht die Störung der Hauptverhandlung. Dass das Urteil ordnungsgemäß verkündet wurde, ergebe sich schließlich auch aus dem Protokoll (vgl. § 274 StPO).

Zu spät für Beweisanträge

Die Rüge eines Verstoßes gegen § 246 StPO wäre auch unbegründet, weil das Gericht zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits mit der Urteilsverkündung begonnen hatte und ab diesem Zeitpunkt Beweisanträge nicht mehr entgegengenommen werden müssen (BGH StV 1985, 398; NStZ 1986, 182). Die Urteilsverkündung beginne entgegen der Auffassung der Revision nicht erst mit der Verlesung des Urteilstenors, sondern bereits mit den ersten Worten der Eingangsformel „Im Namen des Volkes“, mit der alle Urteile verkündet werden (vgl. § 268 Abs. 1 StPO). Die Verkündung i.S.v. § 268 Abs. 2 S. 1 StPO bilde mit dem Eingangssatz des § 268 Abs. 1 StPO einen einheitlichen zusammenhängenden Verfahrensvorgang, in dessen Durchführung Verfahrensbeteiligte nach seinem Beginn nicht mehr einzugreifen befugt seien. Soweit der Beschwerdeführer rügt, der Vorsitzende habe durch die Art und Weise der Urteilsverkündung die Stellung angekündigter Beweisanträge „vereitelt“, dringe er damit ebenfalls nicht durch. Denn dass der Verteidiger konkret die Stellung weiterer Beweisanträge für den Tag der Urteilsverkündung angekündigt hätte, lasse sich dem Vortrag nicht widerspruchsfrei entnehmen. Der bloße Widerspruch gegen die Schließung der Beweisaufnahme reiche insoweit nicht, es bedarf vielmehr der konkreten Ankündigung bestimmter weiterer Beweisanträge.

III. Bedeutung für die Praxis

Eher kurios

Ein kurioser Sachverhalt, der sich in dieser oder ähnlicher Form hoffentlich nur selten in deutschen Gerichtssälen zuträgt. Der Senat begründet überzeugend, dass aus dem Verhalten des Verteidigers schon wegen des darin liegenden Rechtsmissbrauchs keine zulässige Verfahrensrüge erwächst. Nach Beginn der Urteilsbegründung steht es im Ermessen des Vorsitzenden, ob weitere Anträge entgegengenommen werden, also wieder in Verhandlung eingetreten wird (BGH NStZ 1986, 182). Unterbricht das Gericht die Urteilsbegründung zur Entgegennahme des Beweisantrages, darf es ihm nicht mehr mit der Begründung begegnen, es brauche den „unter Beweis gestellten Sachverhalt nicht weiter aufzuklären“. Es hat alsdann den Beweisantrag nach § 244 Abs. 3 bis 5 StPO zu behandeln (BGH StV 1985, 398).

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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