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Revisionsbegründung des „Selbstverteidigers“

Die Verpflichtung zur elektronischen Übermittlung der Revisionsschrift und der Revisionsbegründungsschrift (§ 32d S. 2 StPO) gilt auch in dem Fall, in dem der übermittelnde Rechtsanwalt selbst Angeklagter des Strafverfahrens ist.

(Leitsatz des Gerichts)

OLG Hamm, Beschl. v. 20.7.20234 ORs 62/23

I. Sachverhalt

Das AG hat den Angeklagten, der von Beruf Rechtsanwalt ist und sich selbst verteidigt hat, am 9.3.2023 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe verurteilt. Gegen dieses in Anwesenheit des Angeklagten verkündete und dem Angeklagten am 25.3.2023 zugestellte Urteil hat der Angeklagte mit am 15.3.2023 bei dem AG eingegangenem Fax-Schreiben vom 15.3.2023 Rechtsmittel eingelegt und dieses mit weiterem, am 25.4.2023 eingegangenem Schreiben als Revision bezeichnet und mit der Verletzung materiellen Rechts begründet. Das OLG hat die Berufung als unzulässig verworfen.

II. Entscheidung

Keine wirksame Revisionseinlegung …

Nach Auffassung des OLG, das sich der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft angeschlossen hat, war die Revision bereits nicht wirksam eingelegt (BGH, Beschl. v. 8.9.2022 – 3 StR 251/22, StraFo 2023, 16). Nach dem seit dem 1.1.2022 geltenden § 32d S. 2 StPO müssen Verteidiger und Rechtsanwälte u.a. die Revision und ihre Begründung als elektronisches Dokument übermitteln. Insoweit handele es sich um eine Form- und Wirksamkeitsvoraussetzung der jeweiligen Prozesshandlung. Ihre Nichteinhaltung bewirke die Unwirksamkeit der Erklärung (vgl. BGH, Beschl. v. 24.5.2022 – 2 StR 110/22, NStZ-RR 2022, 253 [Ls.]; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 32d Rn 2 m.w.N.).

… durch Faxschreiben

Diesen Anforderungen genügten die Revisionseinlegung und die Revisionsbegründung nicht. Denn der Angeklagte habe seine Revision lediglich per Fax übermittelt bzw. im Briefkasten des AGs hinterlegt. Anhaltspunkte dafür, dass eine elektronische Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich war (§ 32d S. 3 StPO), seien nicht dargetan.

Auch Selbstverteidiger muss elektronisch übermitteln

Die Verpflichtung zur elektronischen Übermittlung der Revisionsschrift und Revisionsbegründungsschrift gelte – so das OLG – auch in dem – hier vorliegenden – Fall, in dem der übermittelnde Rechtsanwalt selbst Angeklagter des Strafverfahrens ist. Der Begriff „Rechtsanwälte“ in § 32d StPO sei insoweit statusrechtlich zu verstehen und erfasse Personen, die als Rechtsanwalt zugelassen sind und für die als solche durch die Bundesrechtsanwaltskammer ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach eingerichtet worden sei (§ 31a Abs. 1 BRAO). Die Verpflichtung zur elektronischen Einreichung schließe nicht die Möglichkeit des Rechtsanwalts aus, die in Rede stehenden Erklärungen mündlich zu Protokoll der Geschäftsstelle abzugeben (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 32d Rn 1 m.w.N.). Von dieser Möglichkeit habe der Angeklagte keinen Gebrauch gemacht.

III. Bedeutung für die Praxis

Entspricht der bisherigen Rechtsprechung

Auf den ersten Blick überrascht die Entscheidung. Aber: Sie entspricht der zu der Frage vorliegenden obergerichtlichen Rechtsprechung und dem Sinn und Zweck der Regelungen.

Wortlaut

1. Das OLG schließt sich, ohne das allerdings ausdrücklich auszuführen, der h.M. in der obergerichtlichen Rechtsprechung zu der Frage an. Für den Bereich des Straf-/Bußgeldverfahrens hat bereits das OLG Brandenburg (Beschl. v. 13.6.2022 – 1 OLG 53 Ss-OWi 149/22) – ohne nähere Begründung – entschieden, dass auch der sich selbst im Bußgeldverfahren verteidigende Rechtsanwalt Rechtsbeschwerde und ihre Begründung als elektronisches Dokument übermitteln muss, wenn sie Wirksamkeit entfalten sollen. In der Rechtsprechung des BGH ist darüber hinaus mittlerweile geklärt, dass für Rechtsanwälte die Pflicht zur elektronischen Übermittlung gemäß § 14b Abs. 1 S. 1 FamFG, der in etwa § 32d StPO entspricht, auch dann besteht, wenn sie als anwaltlicher Berufsbetreuer berufsmäßig im eigenen Namen auftreten (vgl. BGH, Beschl. v. 31.1.2023 – XIII ZB 90/22, FamRZ 2023, 719 [Verfahrenspfleger]; s. noch BGH, Beschl. v. 31.5.2023 – XII ZB 428/22; vgl. zu § 130d ZPO BGH, Beschl. v. 24.11.2022 – IX ZB 11/22, WM 2023, 89 [Insolvenzverwalter]). Dem hat sich das OLG Hamm ohne Einschränkung angeschlossen. Als sich selbst verteidigender Rechtsanwalt sollte man das auf dem Schirm haben.

Sinn und Zweck

2. Ableiten wird man die Auffassung der h.M. aus dem Wortlaut des § 32d StPO und den Gesetzesmaterialien zur Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs (vgl. u.a. BT-Drucks 17/12624 und 18/9461). Der Wortlaut des § 32d ist eindeutig. Die „Pflicht zur elektronischen Übermittlung“ besteht für „Verteidiger und Rechtsanwälte“. Allein das deutet schon auf eine generelle Nutzungspflicht für Rechtsanwälte unabhängig von ihrer Rolle im Verfahren hin (vgl. BGH, Beschl. 31.1.2023 – XIII ZB 90/22, FamRZ 2023, 719 für den Verfahrenspfleger). Dies verdeutlicht zudem auch ein Vergleich des Wortlauts des § 32d StPO mit den übrigen Vorschriften zum elektronischen Rechtsverkehr: In § 32d StPO wird allein darauf abgestellt, dass Schriftsätze usw. durch „Verteidiger und Rechtsanwälte“ übermitteln werden (vgl. auch BGH, Beschl. v. 24.11.2022 – IX ZB 11/22, WM 2023, 89 für das Verhältnis der §§ 130a, 130 ZPO und BGH, Beschl. v. 31.5.2023 – XII ZB 428/22 für § 14b FamFG).

Dies ist entscheidend für ein weites und damit für das von der h.M. angenommene statusbezogene Verständnis der Nutzungspflicht auch des § 32d StPO. Dieser dürfte – ebenso wie die übrigen Vorschriften, die die Pflicht zur elektronischen Übermittlung betreffen, wie z.B. § 130d ZPO oder § 14b FamFG – den Sinn und Zweck haben, auch im Strafverfahren eine möglichst weitgehende Verpflichtung für alle Rechtsanwälte zur elektronischen Kommunikation mit den Gerichten, den elektronischen Rechtsverkehr, einzuführen (vgl. auch BT-Drucks 18/9416, S. 33). Dieser Gesetzeszweck lässt es aber nur konsequent erscheinen, auch im Strafverfahren anwaltliche Verfahrensbeteiligte, die ohnehin ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach für die elektronische Kommunikation vorzuhalten haben (§ 31a BRAO), in die Nutzungspflicht einzubeziehen, auch wenn sie in dem Verfahren nicht im anwaltlichen Erstberuf tätig sind, sondern sich selbst verteidigen (vgl. BGH, Beschl. v. 31.1.2023 – XIII ZB 90/22, FamRZ 2023, 719, v. 24.11.2022 – IX ZB 11/22, WM 2023, 89 und v. 31.5.2023 – XII ZB 428/22 für Verfahrenspfleger, Insolvenzverwalter und Berufsbetreuer).

Augen auf!

3. Also: Wenn man sich als Rechtsanwalt schon selbst verteidigt: Augen auf!

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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