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Zulässigkeit der konsensualen Umbeiordnung

Ein konsensualer Verteidigerwechsel ist zulässig, wenn der ausscheidende Pflichtverteidiger einverstanden ist und der Staatskasse keine Mehrkosten entstehen.

(Leitsatz des Verfassers)

BGH, Beschl. v. 10.8.2023StB 49/23

I. Sachverhalt

Umbeiordnung wird abgelehnt

Dem Angeschuldigten wurde am 6.4.2022 noch im Ermittlungsverfahren Rechtsanwalt H als Pflichtverteidiger bestellt. Nachdem der GBA gegen den Angeschuldigten und mehrere Mitangeschuldigte beim OLG Jena Anklage u.a. wegen des Vorwurfs der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung sowie weiterer Delikte bei dem Thüringer OLG erhoben hatte, hat dieses durch Beschluss vom 23.5.2023 den zuvor als Wahlverteidiger tätigen Rechtsanwalt K als zusätzlichen Pflichtverteidiger bestellt. Den Antrag des Angeschuldigten, Rechtsanwalt H zu entpflichten und stattdessen Rechtsanwalt Ha – „unter Verzicht auf die bisher entstandenen Gebühren des zu entpflichtenden Pflichtverteidigers“ – zu bestellen, hilfsweise nach § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StPO einen Verteidigerwechsel vorzunehmen, hat das OLG abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass es an der für eine konsensuale Umbeiordnung erforderlichen Zustimmung von Rechtsanwalt H fehle und kein zerstörtes Vertrauensverhältnis i.S.d. § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StPO vorliege. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde des Angeschuldigten (§ 143a Abs. 4 StPO) hatte keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Konsensualer Pflichtverteidigerwechsel grundsätzlich zulässig

Der BGH verneint das Vorliegen der Voraussetzungen für einen konsensualen Pflichtverteidigerwechsel. Die einvernehmliche Entpflichtung eines bestellten Pflichtverteidigers und die Bestellung eines anderen Verteidigers sei durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019 (BGBl I, S. 2128) nicht normiert worden. Nach dem zugrunde liegenden Gesetzentwurf sollte indes unbeschadet der gesetzlichen Neuregelung der zuvor in der Rechtsprechung der OLG anerkannte „konsensuale und zeit- und kostenaufwandsneutrale Verteidigerwechsel weiterhin möglich bleiben“. Danach soll „auf Antrag des Beschuldigten die Bestellung des bisherigen Verteidigers zu widerrufen und der neue Verteidiger beizuordnen“ sein, „wenn folgende Voraussetzungen vorliegen: Einverständnis des bisherigen Verteidigers und des neuen Verteidigers, keine Verfahrensverzögerung sowie keine Mehrbelastung für die Staatskasse“ (BT-Drucks 19/13829, S. 47, s. auch S. 49). Dementsprechend werde ein konsensualer Verteidigerwechsel in Rechtsprechung und Schrifttum für zulässig erachtet. Wie bereits der Begriff des konsensualen Wechsels zeige, erfordere ein solcher ein Einvernehmen zwischen dem bisherigen und dem künftigen Pflichtverteidiger sowie dem Beschuldigten.

Einverständnis des „alten“ Pflichtverteidigers erforderlich

Entgegen der Ansicht des Angeschuldigten könne auf das Einverständnis des bislang bestellten Pflichtverteidigers nicht mit der Begründung verzichtet werden, dieser sei durch seine Entpflichtung nicht beschwert und habe dagegen kein eigenes Beschwerderecht (vgl. dazu BGH, Beschl. 18.8.2020 – StB 25/20, BGHSt 65, 106). Der Gesetzeswortlaut biete mangels Regelung keinen Anhaltspunkt dafür, auf das Einverständnis des bisherigen Verteidigers verzichten zu können. Die Intention des Gesetzgebers, der nach den Gesetzesmaterialien ausdrücklich das Einverständnis für notwendig erachtet habe, spreche ersichtlich dagegen. In systematischer Hinsicht ermögliche § 143a Abs. 2 und Abs. 3 StPO den Wechsel des Pflichtverteidigers lediglich in bestimmten Konstellationen. Diese gesetzlichen Vorgaben drohen ausgehöhlt zu werden, wenn bereits der Wunsch des Beschuldigten das Einverständnis des neuen Verteidigers und dessen Verzicht auf eigene Gebühren in Höhe schon angefallener Kosten einen Wechsel zur Folge haben können. Dies gelte insbesondere für die Voraussetzungen gemäß § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StPO, wonach für einen Wechsel das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigtem endgültig zerstört sein müsse.

Da der konsensuale Verteidigerwechsel nicht gesetzlich geregelt sei, sei den normierten Tatbeständen Vorrang zu geben. Wenn gleichwohl in Fortführung früherer Rechtsprechung über das Gesetz hinaus ein Wechsel möglich sein solle, spreche wenig dafür, diesen nicht normierten Ausnahmefall noch auszuweiten. Im Übrigen brauche das – sowohl nach der Rechtsprechung als auch nach der Gesetzesbegründung – für notwendig erachtete Einverständnis des bisherigen Pflichtverteidigers nicht ausschließlich in dessen eigenem Interesse zu bestehen (vgl. in Bezug auf eine missbräuchliche Verdrängung KG NStZ 1993, 2021, 202), sondern könne zugleich Nachweis dafür sein, dass mit dem nach § 143a StPO nicht erforderlichen Verteidigerwechsel kein besonderer zusätzlicher Aufwand und keine weiteren Komplikationen verbunden sind.

Vor diesem Hintergrund fehlte dem BGH das für einen konsensualen Verteidigerwechsel erforderliche Einverständnis von Rechtsanwalt H. Dieser hatte sich ausdrücklich den Ausführungen des GBA angeschlossen, mit denen die Zurückweisung des Antrags auf Verteidigerwechsel beantragt worden ist.

Auch kein Verteidigerwechsel wegen Vertrauensverlust

Einen Verteidigerwechsel gemäß § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StPO hat der BGH ebenfalls abgelehnt. Eine Störung des Vertrauensverhältnisses (dazu BGH, Beschl. v. 5.3.2020 – StB 2021, 93, StRR 4/2020, 16 und v. 9.1.2023 – 1 StR 284/22, NStZ-RR 2023, 83) mit einem endgültigen Vertrauensverlust sei zu verneinen. Es sei insbesondere nicht ersichtlich, dass Rechtsanwalt H nicht in ausreichendem Maße Kontakt zu dem inhaftierten Angeschuldigten gehalten habe. Der Angeschuldigte habe zu dem Pflichtverteidiger im Vorfeld eines Haftprüfungstermins am 24.4.2022 telefonisch und bei dem Termin direkten Kontakt gehabt. Später habe er ihn im Juni 2022 in der Justizvollzugsanstalt besucht. Wenige Tage nach Zustellung der Anklage an ihn im Mai 2023 habe er den Angeschuldigten über den Verfahrensstand schriftlich informiert und angeboten, ihn auf Wunsch in der Justizvollzugsanstalt aufzusuchen; ansonsten werde er rund drei bis vier Wochen vor dem ersten Hauptverhandlungstermin zur Besprechung kommen. Die Tatsache, dass er den Angeschuldigten nicht unaufgefordert besuchte, begründe ebenso wenig wie die im Schriftsatz des neuen Verteidigers beanstandete Wortwahl eine endgültige Störung des Vertrauensverhältnisses. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass der Angeschuldigte bereits seit April 2022 neben dem Pflicht- einen Wahlverteidiger hatte. Der Pflichtverteidiger hat sich, wie sich aus seinem Schreiben an den Angeschuldigten ergibt, weiter um den Austausch mit diesem trotz des sich auf objektive Umstände stützenden Eindrucks bemüht, dieser schenke sein Vertrauen allein dem Wahlverteidiger.

Schließlich begründete nach Ansicht des BGH auch die Weigerung des Pflichtverteidigers, seine Zustimmung zu einem konsensualen Verteidigerwechsel zu erklären, keinen Vertrauensverlust. Führte allein die Versagung des Einverständnisses zu einem Vertrauensverlust und schüfe so die Voraussetzung für einen Verteidigerwechsel nach § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StPO, verlöre das Einverständnis seine Bedeutung als eigenständiges ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal.

III. Bedeutung für die Praxis

Zutreffende herrschende Meinung

Der BGH hatte zur Zulässigkeit des konsensualen Pflichtverteidigerwechsel bereits im Beschl. v. 13.7.2021 – 2 StR 81/21 kurz Stellung genommen und ihn als zulässig angesehen. Diese Rechtsprechung bestätigt er nun mit überzeugender Begründung. Er befindet sich damit im Schoß der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur (OLG Saarbrücken, Beschl. v. 27.10.2021 – 4 Ws 157/21; LG Braunschweig, Beschl. v. 22.12.2022 – 4 Qs 371/22, AGS 2023, 188; LG Mühlhausen, Beschl. v. 19.6.2023 – 3 Qs 92/23, AGS 2023, 379; vgl. auch BGH, Beschl. v. 12.11.2020 – StB 39/20; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 143a Rn 31; KK-StPO/Willnow, 9. Aufl. 2023, § 143a Rn 14). Voraussetzung für die Umbeiordnung ist aber, dass für die Staatskasse keine Mehrkosten entstehen. Das bedeutet, dass der neue Pflichtverteidiger ggf. einen Verzicht auf beim alten Pflichtverteidiger bereits entstandene Gebühren erklärt. Dieser Verzicht muss ausdrücklich erklärt werden, eine konkludente Erklärung ist im Hinblick auf die erforderliche Klarheit für das Vergütungsfestsetzungsverfahren nicht möglich (LG Mühlhausen a.a.O.).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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