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Unterbringung in einer Entziehungsanstalt; Erledigung; neues Recht

Für die Vollstreckung von vor dem 1.10.2023 rechtskräftig angeordneten Unterbringungen in einer Entziehungsanstalt finden – von § 67 StGB abgesehen – die aktuell gültigen Vorschriften des StGB Anwendung.

(Leitsatz des Gerichts)

OLG Celle, Beschl. v. 20.11.20232 Ws 317/23

I. Sachverhalt

Unterbringung in der Entziehungsanstalt für erledigt erklärt

Das LG hatte den Verurteilten mit Urteil vom 9.1.2023 wegen Betäubungsmitteldelikten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und zugleich gem. § 64 StGB seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Etwa sechs Monate nach seiner Aufnahme in den Maßregelvollzug erklärte die StVK die Unterbringung mangels Erfolgsaussicht für erledigt.

Neues Recht angewendet

Die StVK kam unter Anwendung des seit dem 1.10.2023 geltenden Rechts zu dem Ergebnis, dass die von § 64 S. 2 StGB n.F. verlangten tatsächlichen Anhaltspunkte für einen Behandlungserfolg nicht mehr gegeben seien. Ausschlaggebend hierfür seien die fehlende Erreichbarkeit und die ablehnende Haltung des Beschwerdeführers zu der ihm angebotenen Behandlung.

Sofortige Beschwerde erfolglos

Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde des Verurteilten, mit der dieser im Wesentlichen beanstandete, die StVK habe fälschlicherweise die neue, seit dem 1.10.2023 bestehende Rechtslage angewendet, hat das OLG verworfen.

II. Entscheidung

Rechtslage seit dem 1.10.2023 ausschlaggebend

Nach Auffassung des Senats ist bei der Prüfung der Frage, ob die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 67d Abs. 5 StGB für erledigt zu erklären ist, weil die Voraussetzungen des § 64 S. 2 StGB nicht mehr vorliegen, auf dessen seit dem 1.10.2023 gültige Fassung abzustellen.

Art. 316o Abs. 2 EGStGB

Zur Begründung stellt der Senat zunächst auf den Wortlaut des durch das Gesetz zur Überarbeitung des Sanktionenrechts vom 26.7.2023 (BGBl 2023 I Nr. 203) neu geschaffenen Art. 316o EGStGB ab. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift ist für die Vollstreckung von vor dem 1.10.2023 rechtskräftig angeordneten Unterbringungen nach § 63 oder § 64 StGB die bis zu diesem Tag geltende Fassung des § 67 StGB, der die Reihenfolge der Vollstreckung regelt, anzuwenden. Hieraus ergebe sich, dass im Übrigen die neuen, aktuell gültigen Vorschriften für die Vollstreckung von Unterbringungen Anwendung finden, auch wenn die Unterbringung bereits vor dem 1.10.2023 rechtskräftig angeordnet wurde.

Wille des Reformgesetzgebers

Diese Auslegung entspreche, so das OLG weiter, auch dem aus den Materialien zum Gesetz zur Überarbeitung des Sanktionenrechts ersichtlichen gesetzgeberischen Willen. Dem Reformgesetzgeber sei bewusst gewesen, dass sich infolge der Neufassung des § 64 StGB die Frage stellt, ob die Vollstreckung von vor dem 1.10.2023 rechtskräftig gewordenen Unterbringungen nach altem oder neuem Recht erfolgt und dass es einer expliziten Regelung bedürfe, wenn das bisherige Recht Anwendung finden soll.

Dies schließt der Senat daraus, dass in den Gesetzgebungsmaterialien festgehalten ist, dass die in Art. 316o Abs. 2 EGStGB neu eingeführte Regelung der Anwendbarkeit von § 67 StGB a.F. eine Abweichung von dem in § 2 Abs. 6 StGB enthaltenen Grundsatz, wonach bei Maßregeln der Besserung und Sicherung das zum Zeitpunkt der Entscheidung geltende Recht anwendbar ist, darstellt (BT-Drucks 20/5913, S. 77). Der Umstand, dass durch Art. 316o Abs. 2 EGStGB eine explizite Regelung der Fortgeltung des alten Rechts allein für § 67 StGB und insbesondere für die dort geregelte Frage der frühestmöglichen Aussetzung der Maßregel zur Bewährung getroffen wurde, lasse im Umkehrschluss den gesetzgeberischen Willen eindeutig erkennen, dass sich die Vollstreckung von vor dem 1.10.2023 rechtskräftig gewordenen Unterbringungen nach neuem Recht richten muss.

III. Bedeutung für die Praxis

Zutreffende Entscheidung

1. Die Entscheidung ist zutreffend, die am 1.10.2023 in Kraft getretene Reform des § 64 StGB betrifft auch Vollstreckungsverfahren, die vor dem Inkrafttreten der Neuregelung noch nicht abgeschlossen waren. Dies ergibt sich aus § 2 Abs. 6 StGB, wonach für Maßregeln der Besserung und Sicherung nach dem Gesetz zu entscheiden ist, das zur Zeit der Entscheidung gilt, es sei denn, es ist gesetzlich etwas anderes bestimmt. Eine abweichende Regelung enthält der neu geschaffene Art. 316o Abs. 2 EGStGB nur für § 67 StGB; hier sollte Verurteilten durch die Reform nicht die Möglichkeit genommen werden, im Falle eines erfolgreichen Therapieabschlusses bereits zum Halbstrafenzeitpunkt auf Bewährung entlassen zu werden. Für den die Erledigung der Unterbringung regelnden § 67d StGB wurde eine gesonderte Regelung dagegen nicht geschaffen, weshalb insoweit das neue Recht anzuwenden ist.

Höhere Abbruchsquote wahrscheinlich

2. Die Anwendbarkeit des neuen Rechts dürfte in der Praxis zumindest vorübergehend dazu führen, dass die ohnehin schon hohe Abbruchquote weiter ansteigt. Denn von einer (fortbestehenden) Erfolgsaussicht kann aufgrund der Neufassung des § 64 S. 2 StGB nur noch dann ausgegangen werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für einen Therapieerfolg gegeben ist; die Anforderungen haben sich insoweit also spürbar erhöht (hierzu ausführlich Hillenbrand, StRR 7/2023, 6). Es liegt deshalb nahe, dass die Vollzugseinrichtungen verstärkt den Abbruch der Maßnahme anregen werden.

Richter am Oberlandesgericht Thomas Hillenbrand, Stuttgart

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