Beitrag

Richterliche Unterschrift auf dem Urteil

1. Ob eine Unterschrift des Richters den Anforderungen des § 275 Abs. 2 S. 1 StPO genügt, hängt maßgeblich davon ab, ob der Unterschrift die Urheberschaft zu entnehmen ist. Auch wenn die Unterschrift, die aus dem Familiennamen des Unterzeichnenden zu bestehen hat, nicht lesbar sein muss, so muss sie ihren Urheber erkennen lassen. Steht die Urheberschaft außer Frage, ist für die Akzeptanz einer unleserlichen Unterschrift ein großzügiger Maßstab anzuwenden, und zwar auch wegen der Variationsbreite, die selbst Unterschriften ein und derselben Person aufweisen.

2. Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Anbringung des Antrags auf Verteidigerwechsel für die Revisionsinstanz nach § 143a Abs. 3 S. 1 StPO.

(Leitsätze des Gerichts)

KG, Beschl. v. 1.9.20233 ORs 52/23 – 161 Ss 130/22

I. Sachverhalt

Das AG hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte, das Urteil sei durch die Richterin nicht ordnungsgemäß unterzeichnet worden. Aus anderen Gründen wurde das Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.

II. Entscheidung

Urheberschaft erkennbar trotz unleserlicher Unterschrift

Die Rüge der Verletzung des § 275 Abs. 2 S. 1 StPO, das Urteil sei durch die Richterin nicht ordnungsgemäß unterzeichnet worden, bleibe erfolglos. Der vorliegende Schriftzug genüge den gesetzlichen und insbesondere den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Anforderungen an die ordnungsgemäße Unterschrift eines Richters unter die Urteilsgründe. Nach § 275 Abs. 2 S. 1 StPO habe die erkennende Richterin das von ihr verfasste schriftliche Urteil zu unterschreiben. Weitere Anforderungen an das Schriftbild der Unterschrift sehe das Gesetz nicht vor. Was unter einer Unterschrift zu verstehen ist, ergebe sich demnach aus dem Sprachgebrauch und dem Zweck der Formvorschrift. Mit der Unterschrift beurkunde der Berufsrichter die Übereinstimmung der Urteilsgründe mit dem Beratungsergebnis. Entsprechend diesem Normzweck komme es maßgeblich darauf an, dass der Unterschrift auch die Urheberschaft zu entnehmen ist. Auch wenn die Unterschrift, die aus dem Familiennamen des Unterzeichnenden zu bestehen hat, nicht lesbar sein muss, so müsse sie ihren Urheber erkennen lassen. Steht die Urheberschaft wie hier außer Frage, sei nach der Rechtsprechung des BGH für die Akzeptanz einer unleserlichen Unterschrift ein großzügiger Maßstab anzuwenden, und zwar auch wegen der Variationsbreite, die selbst Unterschriften ein und derselben Person aufweisen (BGH NJW-RR 2012, 1140 = VRR 2012, 297 [Deutscher]; NJW 1997, 3380). So sei es ausreichend, dass jemand, der den Namen des Unterzeichnenden und dessen Unterschrift kennt, den Namen aus dem Schriftbild herauslesen kann (OLG Köln NStZ-RR 2011, 348). Das setze zwar voraus, dass mindestens einzelne Buchstaben zu erkennen sind, weil es sonst am Merkmal einer Schrift überhaupt fehlt (OLG Köln a.a.O.). Jedoch sei es unschädlich, wenn der Namenszug nur flüchtig niedergelegt und von einem starken Abschleifungsprozess gekennzeichnet ist (BGH NJW-RR 2012, 1140 = VRR 2012, 297 [Deutscher]). Die Grenze individueller Charakteristik sei demgegenüber bei der Verwendung bloßer geometrischer Formen oder einfacher (gerader oder nahezu gerader) Linien überschritten. Unter Zugrundelegung dieses von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten großzügigen Maßstabes sind die Voraussetzungen einer wirksamen Unterzeichnung hier noch gegeben [wird näher ausgeführt]. Dies gelte umso mehr, als auch nicht unberücksichtigt gelassen werden darf, dass unter dem handschriftlich aufgebrachten Schriftzug der Name der erkennenden Richterin in Druckbuchstaben eingefügt ist (BGH NJW 1997, 3380). Soweit die Verteidigung vorträgt, dass hier ein Phantasiezeichen vorliege und sich unter Vorlage eines Schreibschriftalphabets für Schreibanfänger auf die Suche nach (irgendwelchen) Buchstaben zu begeben vorgibt, verliere sie den oben dargelegten und angesichts der auch von ihr selbst nicht angezweifelten Urheberschaft vorliegend anzuwendenden Maßstab aus dem Blick.

Keine Wiedereinsetzung für den Antrag auf Verteidigerwechsel

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist. zur Anbringung des Antrags auf Verteidigerwechsel für die Revisionsinstanz nach § 143a Abs. 3 S. 1 StPO sei unzulässig. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten (§ 44 S. 1 StPO). Vorzutragen und glaubhaft zu machen sei dabei ein Sachverhalt, der ein der Wiedereinsetzung entgegenstehendes Verschulden ausschließt. Hieran fehle es. Der Angeklagte habe bereits nicht dargetan, dass er an der Einhaltung der versäumten Frist gehindert war. Die Frist von einer Woche zur Beantragung eines Verteidigerwechsels für die Revisionsinstanz habe – gesetzlich vorgesehen parallel mit dem Beginn der Revisionsbegründungsfrist – gem. § 345 Abs. 1 S. 3 StPO mit der am Montag, dem 24.4.2023, erfolgten Zustellung des Urteils an den damaligen Pflichtverteidiger zu laufen begonnen und endete gem. § 43 Abs. 1 und Abs. 2 StPO mit Ablauf des 2.5.2023. Sein zeitgleich mit Umstellung auf das Rechtmittel der Revision am 23.5.2023 gestellter Antrag nach § 143a Abs. 3 S. 1 StPO sei daher verspätet. Weshalb der Angeklagte an fristgemäßem Antrag gehindert war, sei weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Der Umstand, dass während des Laufs der Wochenfrist nach § 143a Abs. 3 S. 1 StPO die Revision – wie hier bei der erst später durch Umstellung erfolgten Einlegung der Sprungrevision nach § 335 StPO – noch gar nicht eingelegt war, hindere weder deren gesetzlich geregelten Beginn noch deren Ablauf. Eine von Amts wegen zu gewährende Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bedinge die hier vorliegende Konstellation ebenfalls nicht. Die in § 143a Abs. 3 StPO ermöglichte Auswechslung des Pflichtverteidigers ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes für die Revisionsinstanz soll der Tatsache Rechnung tragen, dass es für die Revisionsbegründung und die weitere Vertretung des Angeklagten in der Revision häufig spezieller, vertiefter Rechtskenntnisse und Erfahrungen im Revisionsrecht bedarf (BT-Drucks 19/13829, S. 49). Hier sei der neue Wahlverteidiger bereits mandatiert gewesen, als die Revisionsbegründungsfrist noch nicht einmal begonnen hatte. Soweit die vorliegende prozessuale Konstellation der späteren Umstellung auf eine Sprungrevision bedingt, dass bei Ablauf der Antragsfrist des § 143a Abs. 3 S. 1 StPO die Revision möglicherweise noch nicht eingelegt ist, entbinde dies den Angeklagten nicht davon, dies im Einzelfall vorzutragen und glaubhaft zu machen, weshalb er ohne Verschulden an der Stellung des Antrags nach § 143a Abs. 3 StPO – gegebenenfalls in Verbindung mit der Umstellung des Rechtsmittels auf die Sprungrevision bei späterer Begründung – gehindert war und wann dieses Hindernis weggefallen ist.

III. Bedeutung für die Praxis

Rechtsprechung

1. Die Ausführungen des KG zur Wirksamkeit einer zwar unleserlichen, aber zur Urheberschaft unzweifelhaften Unterschrift entsprechen den Leitlinien der Rechtsprechung, die zumeist aus dem Zivilrecht stammt und vorrangig Unterschriften von Rechtsanwälten auf fristgebundenen Schriftsätzen betrifft.

Nachvollziehbar

2. Unglücklich für den Angeklagten ist die Verwerfung seines Antrags auf Wiedereinsetzung für den Antrag auf Wechsel des Pflichtverteidigers für das Revisionsverfahren nach § 143a Abs. 1 StPO, zumal die dortige Antragsfrist schon abgelaufen war, bevor das eingelegte Rechtsmittel auf Sprungrevision umgestellt wurde. Das ist angesichts der eindeutigen Gesetzeslage zu den Fristen aber nachvollziehbar. Der Angeklagte hätte angesichts dessen darlegen und glaubhaft machen müssen, aus welchen Gründen ihn gleichwohl an der Versäumung der Frist kein Verschulden trifft.

Ergänzend

3. Ergänzend: Das KG hat den Rechtsfolgenausspruch aufgehoben, weil die vollständig unterbliebene Erörterung des denkbaren Abweichens von der Regelwirkung nach § 177 Abs. 6 S. 2 StGB besorgen lässt, dass das AG die Ausgestaltung der Norm als Regelbeispiel verkannt hat (hierzu BGH StV 2017, 43; NStZ-RR 2010, 9 und 2007, 373).

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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