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Durchsuchung; Gefahr im Verzug; Verwertbarkeit

1. Für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer wegen Gefahr im Verzug durch die StA angeordneten Durchsuchung ist allein die Lage zum Zeitpunkt der Anordnung und nicht der weitere Geschehensablauf maßgeblich.

2. Die StA ist nach einer von ihr rechtmäßig erlassenen Eilanordnung nicht gehalten, nachträglich eine richterliche Genehmigung der Maßnahme einzuholen.

3. Ein etwaiger Verstoß gegen den Richtervorbehalt begründet kein Beweisverwertungsverbot, wenn die Ermittlungsbehörden im bisherigen Verfahren erforderliche richterliche Durchsuchungsanordnungen zeitnah eingeholt haben und die fragliche Einzelmaßnahme folglich in einen fortwährenden Kontakt zu richterlichen Entscheidungsträgern eingebettet war.

(Leitsätze des Verfassers)

BGH, Beschl. v. 19.7.20235 StR 165/23

I. Sachverhalt

Verurteilung wegen Drogendelikten

Das LG hat die beiden Angeklagten wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit BtM in nicht geringer Menge zu Freiheitsstrafen von acht Jahren und neun Monaten bzw. von zehn Jahren verurteilt. In dem vorangegangenen umfangreichen Ermittlungsverfahren waren die Angeklagten aufgrund entsprechender richterlicher Anordnungen observiert und ihre Telekommunikation überwacht worden. Zudem erwirkte die zuständige Staatsanwältin richterliche Durchsuchungsbeschlüsse für die Wohnung eines der Angeklagten sowie gegen weitere, nicht revidierende Mitangeklagte und eine gesondert verfolgte Person. Nachdem auch der zweite Angeklagte identifiziert worden war, erwirkte die Staatsanwaltschaft auch für dessen Wohnung einen Durchsuchungsbeschluss.

Durchsuchungsanordnung durch StA wegen Gefahr im Verzug

Nachdem die Angeklagten im Rahmen einer Observation dabei beobachtet worden waren, wie sie zu einer bis dahin unbekannten mutmaßlichen Bunkerwohnung fuhren und diese anschließend mit einer zuvor nicht mitgeführten Reisetasche verließen, wurden sie um 14:40 Uhr vorläufig festgenommen. Bereits um 14:38 Uhr, dann nochmals um 14:40 Uhr hatte die zuständige Staatsanwältin vergeblich versucht, den zuständigen Ermittlungsrichter zu erreichen, um eine Durchsuchung sowohl des Pkw als auch der zuvor von den Angeklagten aufgesuchten Wohnung zu ermöglichen. Der Richter konnte jedoch nicht erreicht werden; die Staatsanwältin erhielt von der Geschäftsstelle die Auskunft, dass der Richter zu Tisch sei. Daraufhin ordnete die Staatsanwältin um 14:51 Uhr wegen eines möglichen Beweismittelverlusts aufgrund ihrer Eilkompetenz selbst die Durchsuchung der Wohnung an, die sodann zunächst von Zollbeamten von außen abgesichert wurde.

Keine richterliche Bestätigung der Anordnung

Um 14:56 Uhr erreichte die Staatsanwältin einen diensthabenden Richter, der mündlich die Durchsuchung des Pkw, mit dem die Angeklagten unterwegs gewesen waren, anordnete. Eine richterliche Anordnung der Durchsuchung der Wohnung oder eine Bestätigung ihrer eigenen Anordnung holte sie bei dieser Gelegenheit und auch im weiteren Verlauf nicht ein. Nachdem es zunächst nicht gelungen war, in die Wohnung zu gelangen, wurde diese um 16:00 Uhr von einem zwischenzeitlich hinzugezogenen Techniker geöffnet und sodann durchsucht. Hierbei wurden diverse Beweismittel sichergestellt.

Verfahrensrügen erfolglos

Die Angeklagten rügten mit ihren Revisionen unter anderem einen Verstoß gegen den Richtervorbehalt des § 105 Abs. 1 StPO. Die Rechtsmittel hatten keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Jedenfalls kein Verwertungsverbot

Der BGH hat nicht abschließend darüber befunden, ob die Durchsuchungsanordnung durch die Eilkompetenz der StA gedeckt war, da ein etwaiger Verstoß gegen § 105 Abs. 1 S. 1 StPO jedenfalls kein Verwertungsverbot zur Folge habe.

Für Gefahr im Verzug Lage zum Anordnungszeitpunkt maßgeblich

1. Für die Überprüfung der Annahme von Gefahr im Verzug sei allein die Lage in der Anordnungssituation maßgeblich. Dabei sei zu berücksichtigen, wie groß der Beurteilungs- und Handlungsdruck war oder ob ausreichend Zeit für Rücksprachen mit Kollegen und Vorgesetzten sowie zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft bestand. Die Rechtmäßigkeit der hier angeordneten Durchsuchungsmaßnahme werde gemessen hieran nicht dadurch infrage gestellt, dass die Wohnung letztlich erst 70 Minuten nach der Durchsuchungsanordnung geöffnet wurde; technische Schwierigkeiten beendeten die Legitimität des Vollzugs einer Eilanordnung nicht, zumal die Durchsuchung mit der Absicherung der Wohnung von außen unverzüglich, nämlich schon wenige Minuten nach der Anordnung, ins Werk gesetzt worden sei.

Keine Pflicht zur nachträglichen richterlichen Genehmigung

Auch werde die Legitimität der Durchsuchungsanordnung nicht dadurch tangiert, dass die Staatsanwältin schon fünf Minuten nach ihrer Anordnung doch noch einen Richter erreichen konnte. Denn die StA sei nach einer rechtmäßigen Eilanordnung nicht gehalten, nachträglich eine richterliche Genehmigung einzuholen. Dies gelte nicht nur für den Zeitraum während des Vollzugs der Durchsuchungsanordnung, sondern auch dann, wenn sich ausnahmsweise sogar noch vor Beginn der Durchsuchung eine Möglichkeit zur Einholung einer richterlichen Anordnung ergebe. Ansonsten müsste der anordnende Beamte fortwährend einerseits Verbindung mit den Vollzugskräften halten und andererseits Kontaktversuche zum Gericht unternehmen, nur um Letzteres um Entscheidung ersuchen zu können.

Unzureichende Dokumentation unschädlich

2. Zwar beanstandet der Senat, dass sich aus dem zur Eilentscheidung gefertigten Vermerk der Staatsanwältin nicht hinreichend sicher das Vorliegen von Gefahr im Verzug ergebe. Es sei in Ermangelung konkreter Anhaltspunkte nicht hinreichend belegt, dass schon bei Abwarten einer richterlichen Entscheidung ein Beweismittelverlust gedroht hätte. Ein etwaiger Verstoß gegen den Richtervorbehalt hätte jedoch kein Verwertungsverbot zur Folge.

Keine massive Rechtsverletzung

Insoweit betont der BGH noch einmal seinen Standpunkt, wonach die Unzulässigkeit oder Rechtswidrigkeit einer Beweiserhebung nicht ohne Weiteres zu einem Beweisverwertungsverbot führe; dies gelte auch für Fälle einer fehlerhaften Durchsuchung. Ein Beweisverwertungsverbot sei zwar von Verfassungs wegen geboten bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind. Eine derart massive Rechtsverletzung stehe vorliegend aber nicht im Raum. Hiergegen spräche im Rahmen der gebotenen Abwägung neben dem erheblichen Gewicht der in Rede stehenden Straftaten bereits die immerhin vorhandene, wenn auch noch eher abstrakte Gefahr eines Beweisverlustes, der in einer dynamischen Zugriffslage unternommene zweimalige Versuch der vorherigen Kontaktaufnahme zum Gericht sowie der Umstand, dass die betroffene Wohnung ausschließlich als Bunker für die Lagerung von Betäubungsmitteln diente und schon bei Anordnung der Durchsuchung kein Anhaltspunkt für eine Nutzung zu Wohnzwecken bestand.

Richterliche Anordnung wäre mit Sicherheit ergangen

Hinzu komme, dass eine richterliche Anordnung bei einer Ex-post-Betrachtung nicht nur mit Sicherheit ergangen wäre, sondern die verantwortliche Staatsanwältin hiervon auch schon bei ihrer Entscheidung ausgehen durfte. Die Ermittlungsbehörden seien im bisherigen Verfahren sehr darauf bedacht gewesen, absehbar erforderlich werdende richterliche Durchsuchungsanordnungen zeitnah einzuholen. Dementsprechend waren in den Tagen zuvor bereits mehrere Durchsuchungsanordnungen beantragt und vom Ermittlungsrichter sämtlich erlassen worden. Die vorliegend in Rede stehende Durchsuchungsmaßnahme sei folglich in einen fortwährenden Kontakt zu richterlichen Entscheidungsträgern eingebettet gewesen, der sogar nach der Eilentscheidung der Staatsanwältin noch seine Fortsetzung gefunden habe durch die erwirkte richterliche Anordnung der Durchsuchung des Pkw.

III. Bedeutung für die Praxis

Zurückhaltende Linie des BGH bei Verwertungsverboten

1. Die Entscheidung setzt die zurückhaltende Linie des BGH, was Beweisverwertungsverbote betrifft, nahtlos fort. Insbesondere bleibt es dabei, dass ein Verstoß gegen den Richtervorbehalt nicht zwingend zur Unverwertbarkeit eines gewonnenen Beweismittels führt, sofern die Ermittlungsbehörden nachvollziehbar Gefahr im Verzug angenommen haben.

Verneinung eines schwerwiegenden Rechtsverstoßes nachvollziehbar

2. Dass der BGH vorliegend einen schwerwiegenden oder gar willkürlichen Rechtsverstoß verneint hat, ist angesichts der dynamischen Lage im Zeitpunkt der Anordnung sowie insbesondere angesichts des Umstands, dass die Ermittlungsbehörden zuvor den Richtervorbehalt stets umfassend beachtet haben, durchaus nachvollziehbar. An einer Stelle widerspricht sich der Senat allerdings: Während einerseits moniert wird, dass es an konkreten Anhaltspunkten für einen drohenden Beweismittelverlust gefehlt habe, führt er andererseits die – wenn auch noch als „eher abstrakt“ bezeichnete – Gefahr eines Beweisverlustes im Rahmen der Abwägung als Aspekt gegen ein Verwertungsverbot an. Damit bleibt leider letztlich offen, wie ausgeprägt die Gefahr eines Beweismittelverlustes sein muss, um eine Eilanordnung durch die StA rechtfertigen zu können.

Richter am Oberlandesgericht Thomas Hillenbrand, Stuttgart

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