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Organisationshaft: Bekundung der Therapieunwilligkeit

Selbst wenn der Verurteilte mehrfach seine Therapieunwilligkeit bekundet hat, ist dieser Umstand weder ein Gesichtspunkt, der im Rahmen einer Abwägung einzustellen wäre, noch ein Grund, die Aufnahme in eine Therapieeinrichtung nicht zügig zu betreiben.

(Leitsatz des Verfassers)

OLG Bamberg, Beschl. v. 7.11.20221 Ws 629/22

I. Sachverhalt

Entschieden hat das OLG zur Rechtswidrigkeit sog. Organisationshaft, also wegen einer verzögerten Unterbringung im Maßregelvollzug. Die StA hatte sich mit der sofortigen Beschwerde gegen einen Beschluss des LG gewandt, mit dem die Strafvollstreckungskammer die gegen den Verurteilten vollstreckte Organisationshaft mit Ablauf des 12.7.2022 als rechtswidrig angesehen, die Unterbrechung der Organisationshaft angeordnet und erklärt hatte, dass mit Aufnahme des Verurteilten in den Maßregelvollzug vor Rechtskraft des Beschlusses das Verfahren erledigt sei.

II. Entscheidung

Die sofortige Beschwerde der StA hatte hinsichtlich der Frage der Rechtswidrigkeit der Organisationshaft keinen Erfolg. Dazu führt das OLG aus: „Die Voraussetzungen für die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Organisationshaft liegen, auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens der Staatsanwaltschaft sowie der Generalstaatsanwaltschaft, vor.“

Zunächst hätte die Vollstreckungsbehörde erst einen Monat nach Rechtskraft des Urteils das Aufnahmeersuchen verfügt. Ein rechtlich vertretbarer Grund für diese Verzögerung sei indes nicht erkennbar. Insbesondere hätte die StA – ungeachtet der erforderlichen Prüfung sämtlicher Vollstreckungsvoraussetzungen – schon mit dem Zeitpunkt der Rechtskraft des Urteils „bei den für den Maßregelvollzug zuständigen Stellen den konkreten Unterbringungsbedarf – auch fernmündlich oder per Telefax – anmelden können“.

Weiter heißt es: „Nachdem die Vollstreckungsbehörde, soweit ersichtlich, nach der Mitteilung des Bezirkskrankenhauses vom 12.5.2022 keinerlei Aktivitäten in Richtung einer Unterbringung des Verurteilten vor dem 27.9.2022 entfaltet hat, entsprach der weitere Vollzug der Organisationshaft spätestens nach Ablauf der für diese Aktivitäten erforderlichen Frist, den die Strafvollstreckungskammer mit etwa drei Monaten ab Rechtskraft der Entscheidung (…) und exakt zwei Monaten ab der Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses vom 12.5.2022 keinesfalls zu knapp bemessen hat, nicht mehr den gesetzlichen Vorgaben.“ Eine regelmäßige Organisationsfrist von vier Monaten gebe es nicht. Vielmehr komme es nach der verfassungs- und obergerichtlichen Rechtsprechung stets auf den Einzelfall an. Auch sei ohne Bedeutung, dass die von der StA zitierten Verwaltungsvorschriften davon ausgingen, dass es nicht Aufgabe der StA „als Vollstreckungsbehörde, sondern Aufgabe der örtlich zuständigen Maßregelvollzugseinrichtung ist, Anfragen an weitere Maßregelvollzugseinrichtungen vorzunehmen, falls sich der von der zuständigen Maßregeleinrichtung zugesagte Aufnahmetermin als zu weit in der Ferne liegend erweist“.

III. Bedeutung für die Praxis

1. Die mit der Organisationshaft verbundenen Probleme nehmen stetig zu. Das hat viel mit dem Umstand zu tun, dass für die Organisationshaft eine gesetzliche Grundlage fehlt, aber auch damit, wie es um die Verfügbarkeit von Unterbringungsplätzen im Maßregelvollzug steht (Bode, ZfIStw 2023, 33). Vor diesem Hintergrund besonders problematisch und mit Blick auf die Entscheidung wirklich bemerkenswert ist das Verhalten der Strafvollstreckungsbehörden. Denn die Strafvollstreckungsbehörden befinden sich, was die Organisationshaft angeht, in einem echten Dilemma, das der OLG-Senat eindrücklich wie folgt beschreibt: „Anders als für die Staatsanwaltschaft werden für eine Maßregelvollzugseinrichtung jedoch im Regelfall keine Juristen, sondern Ärzte und sonstiges Personal tätig, welchem die Details der verfassungsrechtlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung kaum vollständig vertraut sein dürften. Gleichwohl ist deren Verhalten der Sphäre der Justiz zuzurechnen. Dies führt dazu, dass allein die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde die im Spannungsverhältnis zwischen tatsächlich knappen Ressourcen im Maßregelvollzug und dem Recht der Verurteilten auf zügige Unterbringung auftretenden Konflikte zu einem rechtlich einwandfreien Ausgleich bringen kann und dass ihr insoweit gegenüber der Maßregelvollzugseinrichtung im Konfliktfall eine richtunggebende Funktion zukommt.“

So weit, so dilemmatisch. Wobei man allerdings bezweifeln darf, dass die StA tatsächlich eine „richtunggebende Funktion“ erfüllen kann, wenn schon die für den Maßregelvollzug zuständigen Gesundheitsministerien den bundesweiten Platzmangel nicht in den Griff bekommen (vgl. nur den lto-Bericht v. 30.5.2022: Straftäter wegen Platzmangels auf freiem Fuß, abrufbar unter https://­www.lto.de/­recht/­justiz/­j/­baden-­wuerttemberg-­justiz-­maregelvollzug-­haft-­justizvollzug-­ueberlastung-­freilassung-­wegen-­platzmangel/, zuletzt abgerufen am 24.7.2023).

2. Darüber hinaus liefert die Entscheidung einen – auch und gerade – für die Verteidigung wichtigen Aspekt, und zwar insofern, als das OLG der Auffassung ist, dass selbst wenn der Verurteilte mehrfach schriftlich seine Therapieunwilligkeit bekundet hat, dieser Umstand kein Gesichtspunkt sei, der im Rahmen einer Interessenabwägung einzustellen wäre. Das ist deshalb bemerkenswert, weil einige Obergerichte (zuletzt OLG Bremen, Beschl. v. 27.1.2023 – 1 Ws 2/23) die Organisationshaft selbst bei überlanger Dauer nicht automatisch als rechtswidrig ansehen, sondern zusätzlich eine Abwägung – zwischen den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit und der Intensität der Rechtsverletzung des Betroffenen – fordern.

Flankierend stellt das OLG hier klar, dass die verbal geäußerte fehlende Therapiebereitschaft eines Betroffenen für sich genommen kein Grund ist, „die Aufnahme in eine Therapieeinrichtung nicht zügig zu betreiben, denn es ist gerade die ureigene Aufgabe der Therapieeinrichtung, eine mangelnde Therapiebereitschaft zu wecken“. Auch könne der „Schluss, dass eine solche dauerhaft nicht herzustellen ist“, frühestens „nach Ablauf einer gewissen Zeit im Rahmen der Unterbringung gezogen werden“. Recht so!

Richter Dr. Lorenz Bode, LL.M., Magdeburg

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