Beitrag

Entkleidung einer Frau unter Beteiligung männlicher Polizeibeamter

Zur Strafbarkeit wegen tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte durch Widerstandshandlungen einer weiblichen Person, die aufgrund polizeirechtlicher Vorschriften zur Durchsetzung einer Platzverweisung in Gewahrsam genommen und in eine Haftzelle verbracht wurde, gegen ihre Entkleidung, die nach zunächst erfolglosen Maßnahmen weiblicher Polizeibeamtinnen unter Anwendung unmittelbaren Zwangs unter Beteiligung mehrerer männlicher Polizeibeamter bis auf den Slip durchgeführt wurde.

(Leitsatz des Gerichts)

BayObLG, Beschl. v. 7.12.2022206 StRR 296/22

I. Sachverhalt

Entkleidung unter Beteiligung männlicher Polizeibeamter

Das LG hat die Angeklagte im Berufungsverfahren u.a. wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt. Die Angeklagte wurde unter Anwendung unmittelbaren Zwangs aus einer Wohnung verbracht. Zur Durchsetzung des Platzverweises wurde sie in Gewahrsam genommen. Tätlichen Widerstand leistete sie dort gegen die ihr in der Haftzelle erteilte Aufforderung, sich (offensichtlich: vollständig oder nahezu vollständig) zu entkleiden, sowie gegen ihre zwangsweise Entkleidung, vorgenommen durch zwei Polizeibeamtinnen, die dabei von männlichen Beamten unterstützt wurden. Das BayObLG hat auf die Revision der Angeklagten das Urteil insoweit aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.

II. Entscheidung

Entkleidung als solche rechtswidrig …

Ein Schuldspruch wegen tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte setze in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 3 StGB die Rechtmäßigkeit der vorgenommenen Diensthandlung voraus. Hieran fehle es. Die Maßnahme der Entkleidung, gegen die die Angeklagte Widerstand leistete, stelle einen gravierenden, jedenfalls durch die festgestellten Tatsachen nicht zu rechtfertigenden Grundrechtseingriff dar und sei damit rechtswidrig. Maßnahmen, die mit einer Entkleidung verbunden sind, stellten allgemein einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 GG dar (VG Augsburg, Urt. v. 10.12.2021 – Au 8 K 20.1952, juris Rn 28; BVerfG, Beschl. v. 4.2.2009 – 2 BvR 455/08, juris Rn 25 für eine mit einer Entkleidung verbundene Durchsuchung). Neben dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht sei auch die Menschenwürde, Art. 1 GG, tangiert. Die Maßnahme einer Entkleidung könne allenfalls dann gerechtfertigt sein, wenn sie zum Schutz der in Gewahrsam genommenen Person selbst oder zum Schutz der Beamten vor Gefahren für Leib und Leben im Einzelfall geboten erscheine (VG Augsburg a.a.O.). Der Senat könne den Feststellungen keine tatsächlichen Umstände entnehmen, die die Entkleidung der Angeklagten hätten rechtfertigen können. Nr. 3 Abs. 1 der Haftvollzugordnung der Polizei (HVPol), die zur Tatzeit in Geltung war (Fassung vom 5.4.1978) und inzwischen außer Kraft ist (seit 1.5.2022), habe angeordnet, dass ein Polizeihäftling sachlich, gerecht und unter Achtung der Menschenwürde zu behandeln sei. Gem. der Nr. 16 Abs. 1 der HVPol seien Gegenstände des Polizeihäftlings, die u.a. zur Schädigung von Leben und Gesundheit verwendet werden könnten, zu beschlagnahmen; beispielhaft waren Messer, Werkzeuge, Gürtel, Hosenträger u.a. genannt. Nach Nr. 16 Abs. 2 der HVPol sei ein Polizeihäftling auf die nach Abs. 1 sicherzustellenden Gegenstände gründlich zu durchsuchen. Von einer Entkleidung sei in der Verordnung nicht die Rede. Selbst wenn unterstellt wird, dass in einen BH Metallbügel eingearbeitet sein können, erschließe sich dem Senat nicht, warum zur Feststellung, ob ein solcher BH von der Angeklagten getragen wurde, deren vollständige Entkleidung notwendig gewesen sein sollte, insbesondere auch die Entkleidung des Unterkörpers. Dass es bedeutend mildere Maßnahmen zur Feststellung, ob der BH der Angeklagten im konkreten Fall tatsächlich so beschaffen war, dass er als Werkzeug zur Schädigung von Leben oder Gesundheit hätte verwendet werden können (z.B. Abtasten durch eine weibliche Beamtin unter der Oberbekleidung, ggf. Ablegen des BH unterhalb der Kleidung durch die Angeklagte), liege auf der Hand. Dass eine etwaige „allgemeine Anordnung des Polizeipräsidiums“ und „eine seit Jahren bewährte Praxis“ nicht geeignet sind, einen derart gravierenden Eingriff wie das vollständige Entkleiden einer in Polizeigewahrsam genommenen Person unabhängig von den Umständen des konkreten Einzelfalls zu rechtfertigen, bedürfe keiner weiteren Erörterung. Derartige Faktoren könnten fehlende gesetzliche Eingriffsgrundlagen nicht ersetzen.

… erst recht die Beteiligung männlicher Beamter

Hinzu komme schließlich noch, dass die Entkleidung der Angeklagten – bei andauerndem Widerstand ihrerseits – unter Hinzuziehung männlicher Beamter stattgefunden hat. Die Beteiligung männlicher Beamter an der Entkleidung der Angeklagten beinhalte zunächst einen eklatanten Verstoß gegen Nr. 16 Abs. 4 HVPol, welcher anordnet, dass bei der körperlichen Durchsuchung von Frauen Männer nicht einmal anwesend sein durften, was nach dem Gesetzeszweck nicht nur für die Durchsuchung des Körpers, sondern auch für eine Durchsuchung gem. Nr. 16 Abs. 2 HVPol nach Gegenständen i.S.d. Nr. 16 Abs. 1 HVPol zumindest dann gelten musste, wenn diese Durchsuchung in der Bekleidung vorgenommen wurde oder gar mit deren fast vollständiger Entfernung vom Körper der Betroffenen verbunden war. Zudem liege gleichzeitig ein Verstoß gegen Art. 21 Abs. 3 PAG vor, wonach Personen nur von Personen gleichen Geschlechts oder Ärzten durchsucht werden durften. Dies sei nur dann anders, wenn die sofortige Durchsuchung zum Schutz gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist. Dafür ergebe sich nicht im Ansatz ein Hinweis. Ob ein BH, der als gefährlicher Gegenstand hätte missbraucht werden können, getragen wurde, hätte sich durch Maßnahmen deutlich geringerer Eingriffsintensität als durch das fast vollständige Entkleiden der Angeklagten unter Beteiligung dreier männlicher Beamter feststellen lassen, ggf. sogar unter Festhaltung der bekleideten Angeklagten durch männliche Beamte und Überprüfung der Beschaffenheit des BHs unter der Oberbekleidung durch eine weibliche Beamtin.

III. Bedeutung für die Praxis

Eklatanter Verstoß

Das Thema „polizeiliche Gewalt“ ist gegenwärtig in aller Munde, zum einen durch die Singelnstein-Studie, zum anderen durch Vorfälle wie die Erschießung eines jugendlichen Flüchtlings am 8.8.2022 in Dortmund. Im vorliegenden Fall haben die Polizeibeamten nicht nur unsensibel für die Situation und überzogen agiert, sondern auch gegen geltendes Polizeirecht verstoßen, wie das BayObLG akribisch belegt. Das betrifft sowohl die Entkleidung der Angeklagten als solche wie erst recht („eklatant“) die Beteiligung männlicher Beamter an dem Vorgang. Es entspricht schon dem nach hiesiger Werteordnung gesunden Menschenverstand, dass selbst eine rechtmäßige Entkleidung nur von Personen gleichen Geschlechts oder Ärzten durchgeführt werden darf. Das ist auch polizeirechtlich gesetzlich normiert (etwa in § 39 Abs. 3 PolG NW). Selbst der weite strafrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff in §§ 113 Abs. 3, 114 Abs. 3 StGB (hierzu Fischer, StGB, 70. Aufl. 2023, § 113 Rn 11 ff.) deckt eine solche Vorgehensweise nicht. Widerstand und tätlicher Angriff sind dann nicht strafbar. Die Abwehr kann als Notwehr gem. § 32 StGB gerechtfertigt sein.

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…