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Formulierung der Vertretungsvollmacht

Eine Erklärung, mit welcher der Angeklagte dem Verteidiger Vollmacht zur Vertretung, auch im Fall der Abwesenheit des Angeklagten, in allen Instanzen – ohne ausdrückliche Bezugnahme auf die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung – erteilt hat, genügt den Anforderungen der in § 329 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 StPO vorausgesetzten Vertretungsvollmacht.

(Leitsatz des Gerichts)

BGH, Beschl. v. 24.1.20233 StR 386/21

I. Sachverhalt

Vertretung durch den Verteidiger?

Das AG hat den Angeklagten verurteilt. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Berufung eingelegt. In der Hauptverhandlung vor dem LG ist er trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt nicht erschienen. Der anwesende Verteidiger hat sich auf die ihm am Tag der Berufungseinlegung erteilte schriftliche Strafprozessvollmacht bezogen. Darin hatte der Angeklagte dem Rechtsanwalt „Vollmacht zur Verteidigung und Vertretung, auch im Fall … [seiner] Abwesenheit, in allen Instanzen erteilt“.

Berufungsverwerfung und Vorlage an den BGH

Das LG hat die Berufung gemäß § 329 Abs. 1 S. 1 StPO verworfen. In den schriftlichen Urteilsgründen hat es ausgeführt, der Angeklagte sei in der Berufungshauptverhandlung nicht in zulässiger Weise vertreten worden. Die allgemein gehaltene Formulierung der Vollmacht reiche für eine Vertretung in der Berufungshauptverhandlung nicht aus. Dagegen hat der Angeklagte Revision eingelegt. Das mit dem Rechtsmittel befasste OLG Düsseldorf möchte das angefochtene Urteil auf die Verfahrensrüge hin aufheben, sieht sich daran aber durch einen Beschluss des OLG Hamm vom 24.11.2016 (III-5 RVs 82/16) gehindert. Das OLG Düsseldorf hat dem BGH die Frage zur Entscheidung vorgelegt. Der hat i.S.d. OLG entschieden.

II. Entscheidung

BGH wie OLG Düsseldorf

Nach Auffassung des BGH ist für den Nachweis der Vertretung des abwesenden Angeklagten durch seinen Verteidiger nach § 329 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 StPO nicht zu verlangen, dass sich die vorgelegte Vertretungsvollmacht ausdrücklich auf die Berufungshauptverhandlung bezieht.

Wortlaut

Das begründet der BGH u.a. mit dem Wortlaut des § 329 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 StPO. Dem sei ein derartiges Erfordernis nicht zu entnehmen. Insbesondere enthalte das Gesetz keine Vorgaben zum Inhalt der Vertretungsvollmacht. Eine ausdrückliche Ermächtigung zu einer bestimmten Verfahrenshandlung sei anders als in § 302 Abs. 2 StPO ebenfalls nicht gefordert. Der verwendete Terminus „Vertretungsvollmacht“ stelle lediglich klar, dass eine spezifische Ermächtigung zur Vertretung in der Vollmachtsurkunde enthalten sein müsse, die über die allgemeine Befugnis zur Verteidigung hinausgehe.

Entstehungsgeschichte

Auch die Entstehungsgeschichte der Norm spreche nicht für ein Verständnis, wonach es erforderlich ist, dass die Berufungshauptverhandlung in der Vertretungsvollmacht erwähnt wird.

Gesetzessystematik

Die Gesetzessystematik lege zudem nahe, § 329 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 StPO nicht anders auszulegen als die übrigen Vorschriften der StPO, die eine Vertretung des Verteidigers mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht vorsehen. Dazu bezieht sich der BGH für das Verfahren nach dem Einspruch gegen einen Strafbefehl gem. § 411 Abs. 2 S. 1 StPO auf BGHSt 9, 356 und darauf, dass die Rechtsprechung und Literatur im Übrigen auch keine besonderen inhaltlichen Anforderungen an die Vollmachterteilung in den übrigen gesetzlich vorgesehenen Vertretungsfällen stelle. Dies gelte zunächst für eine Vertretung nach § 234 StPO, die in Verfahrenskonstellationen nach §§ 231 Abs. 2, 231a, 231b, 232, 233 StPO Bedeutung erlangen kann (vgl. OLG Zweibrücken StV 1981, 539). Des Weiteren werde für die Hauptverhandlung im Revisions- und Privatklageverfahren nach § 350 Abs. 2 S. 1 StPO bzw. § 387 Abs. 1 StPO Derartiges kaum vertreten (anders für die Revisionshauptverhandlung lediglich BeckOK-StPO/Wiedner, 46. Ed., § 350 Rn 16). Schließlich wird für die Vertretung des Einziehungsbeteiligten – einschließlich der Hauptverhandlung (§ 428 Abs. 1 S. 1 StPO; vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 430 Rn 1) – ebenfalls eine einfache Vertretungsvollmacht als ausreichend angesehen (s. KK-StPO/Schmidt/Scheuß, 9. Aufl. 2022, § 428 Rn 4).

Sinn und Zweck

Schließlich rechtfertigen es nach Auffassung des BGH auch weder der Sinn und Zweck der Vorschrift noch die weiteren für die Gegenposition angeführten Argumente, eine Vertretungsvollmacht nur unter besonderen Bedingungen zu akzeptieren. Das legt der BGH im Einzelnen dar.

III. Bedeutung für die Praxis

Zutreffend

1. M.E. ist die Entscheidung der Streitfrage vom BGH in dem für die Veröffentlichung in BGHSt vorgesehenen Beschluss überzeugend und umfassend begründet. Man fragt sich allerdings, warum man für solche Dinge überhaupt den BGH braucht. Spätestens nach der Entscheidung des OLG Hamm hätte man als Verteidiger im Hinblick auf die von dem OLG vertretene Rechtsauffassung seine Vollmacht so anpassen können, dass sie auch den strengeren Vorgaben dieses OLG entsprochen hätte.

Wirksamkeit der Vollmacht

2. Ohne Bedeutung war für den BGH ein Umstand, auf den das OLG Düsseldorf abgestellt hatte, nämlich dass die Vertretungsvollmacht hier erst im Hinblick auf das Berufungsverfahren erteilt worden war. Eine uneingeschränkte Vertretungsbefugnis sei auch dann für die Berufungshauptverhandlung als wirksam anzusehen, wenn sie bereits in einem früheren Verfahrensstadium eingeräumt und seither nicht zurückgenommen worden oder durch Pflichtverteidigerbestellung erloschen ist (in diesem Sinne BT-Drucks 18/3562, S. 99; a.A. OLG Köln, Beschl. v. 9.7.2021 – III-1 RVs 121/21; OLG Hamm a.a.O.). Zu einer abweichenden Behandlung im Vergleich zum Verteidigerverhältnis im Allgemeinen bestehe kein Anlass. Diesbezüglich sei anerkannt, dass es sich grundsätzlich auf das gesamte Verfahren bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss erstrecke, falls es nicht auf bestimmte Prozesshandlungen beschränkt ist (vgl. OLG Braunschweig, Beschl. v. 10.4.2014 – 1 Ws 55/14; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., Vor § 137 Rn 5). Zum Nachweis der Vertretungsmacht sei daher lediglich zu fordern, dass sich die Vollmacht eindeutig auf das konkrete Strafverfahren beziehe und nicht pauschal ohne Verfahrensbezug erteilt worden ist (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 6. 9.2016 – 4 RVs 96/16, StV 2018, 150).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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