Beitrag

Kostenvorschuss für ein prozessbegleitendes Privatgutachten

An der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Privatgutachters fehlt es grundsätzlich, wenn der zu beurteilende Sachverhalt überschaubar ist und das gerichtliche Gutachten die Beweisfragen umfassend beantwortet hat.

(Leitsatz des Gerichts)

OLG Celle, Beschl. v. 14.11.202214 W 30/22

I. Sachverhalt

Vorschuss für die Einholung eines Privatgutachtens?

Der dem Kläger im Rahmen von PKH in einem Zivilverfahren beigeordnete Prozessbevollmächtige hat gemäß § 47 Abs. 1 RVG beantragt, einen Kostenvorschuss für die Einholung eines Privatgutachtens zur Widerlegung bzw. Erschütterung eines gerichtlichen Gutachtens zu gewähren. Das LG hat den Antrag zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Klägers hatte keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich?

Das OLG bestätigt die Auffassung des LG, wonach die Aufwendungen für die Beauftragung eines Privatgutachters hier zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht erforderlich seien. Nach der Rechtsprechung des BGH komme eine Erstattung von Kosten für einen privat beauftragten Sachverständigen in Betracht, wenn diese zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung bzw. -verteidigung notwendig waren (BGH, Beschl. v. 17.12.2002 – VI ZB 56/02, NJW 2003, 1398; v. 23.5.2006 – VI ZB 7/05, NJW 2006, 2415). Die Beurteilung dieser Frage habe sich dabei daran auszurichten, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die kostenauslösende Maßnahme ex ante als sachdienlich hätte ansehen dürfen (BGH NW 2003, 1398; Beschl. v. 26.2.2013 – VI ZB 59/12, NJW 2013, 1813). Danach komme eine Erstattung der Kosten eines Privatgutachtens ausnahmsweise in Betracht, wenn ein Beteiligter infolge fehlender Sachkenntnis nicht zu einem sachgerechten Vortrag in der Lage sei (vgl. BGH a.a.O.; OLG Köln, Beschl. v. 16.2.2012 – II-4 WF 11/12). Diese Ausnahme sei insbesondere auf Zivilverfahren zugeschnitten, in denen es den Parteien nach dem sog. Beibringungsgrundsatz obliegt, substantiiert die gebotenen Tatsachen und Informationen vorzutragen, die als Grundlage für die Entscheidung des Gerichts erforderlich seien (vgl. hierzu Herget, in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 91 ZPO Rn 13.73).

Überprüfung eines gerichtlichen Gutachtens?

In Bezug auf prozessbegleitend eingeholte Privatgutachten sei die Erstattungsfähigkeit entsprechender Aufwendungen allerdings insoweit eingeschränkt, dass es Sache des Gerichts sei, Beweiserhebungen durch Einholung von Sachverständigengutachten durchzuführen. Die Rechtsprechung hat die Erstattungsfähigkeit prozessbegleitender Privatgutachten aber dann bejaht, wenn es darum gehe, ein gerichtliches Gutachten zu überprüfen, zu widerlegen oder zumindest zu erschüttern (vgl. dazu OLG Stuttgart, Beschl. v. 13.11.2001 – 8 W 481/01, sowie Beschl. v. 11.7.2007 – 8 W 265/07; OLG Nürnberg, Beschl. v. 18.6.2001 – 4 W 2053/01; OLG Koblenz, Beschl. v. 21.8.2007 – 14 W 608/07; OLG Celle, Beschl. v. 25.7.2008 – 2 W 148/08) oder wenn eine Partei auf die Hinzuziehung eines Sachverständigen angewiesen sei, um ihrer Darlegungs- und Beweislast zu genügen, Beweisangriffe abzuwehren oder Beweisen des Gegners entgegentreten zu können (vgl. dazu OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.2.1997 – 10 W 21/97; OLG Nürnberg, Beschl. v. 18.6.2001 – 4 W 2053/01; OLG Naumburg, Beschl. v. 30.8.2006 – 10 W 52/06; OLG Koblenz, Beschl. v. 21.8.2007 – 14 W 608/07; OLG Celle, Beschl. v. 25.7.2008 – 2 W 148/08) oder wenn die Einholung des Gutachtens der Wiederherstellung der Waffengleichheit dient (OLG Hamm, Beschl. v. 14.5.2013 – I-25 W 94/13 m.w.N.).

Kein komplexer Sachverhalt

Ausgehend von diesen Maßstäben sei die Einholung eines prozessbegleitenden Privatgutachtens vorliegend auch nicht deshalb erforderlich, um das gerichtlich eingeholte Gutachten des Sachverständigen Dr. T vom 10.7.2022 zu überprüfen, zu widerlegen oder zumindest zu erschüttern. Gründe für eine Ausnahme zeige die Beschwerdebegründung nicht auf. Es werde lediglich pauschal behauptet, der Kläger sei aufgrund seiner beruflichen Ausbildung nicht in der Lage, die medizinischen Ausführungen ausreichend zu hinterfragen und etwaige Widersprüche aufzudecken. Der konkrete Fall und der Umstand, dass der Kläger einen Rechtsanwalt zur Unterstützung habe, werde nicht gewürdigt. Dabei geht es vorliegend anders als in den zitierten Entscheidungen nicht um einen komplexen Sachverhalt mit ggf. schwierigen Fragen.

Wirtschaftlich vernünftige Partei

Der Senat sei nach seinen Erfahrungen im Bereich des Verkehrsunfallrechts im Übrigen davon überzeugt, dass eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die begehrte kostenauslösende Maßnahme vorliegend nicht als sachdienlich ansehen würde und erst recht – ohne PKH – bei diesem Fall, in diesem Verfahrensstand sowie auch angesichts der Höhe des im Raum stehenden Schmerzensgeldes nicht mit 2.500 EUR für ein Privatgutachten in Vorleistung treten würde.

III. Bedeutung für die Praxis

Im Straf-/Bußgeldverfahren ähnlich

Die Entscheidung entspricht der herrschenden Rechtsprechungsmeinung zum Zivilrecht. Sie ist zwar in einem Zivilrechtsstreit ergangen, die Ausführungen des OLG haben aber nicht nur für das Zivilverfahren, sondern auch für das Straf- bzw. ggf. für das Bußgeldverfahren Bedeutung. Denn auch dort spielen die angesprochenen Fragen in der Praxis eine Rolle, und zwar, wenn es um die Erstattung eines vom Angeklagten eingeholten Privatgutachtens geht. Auch hier ist es schwer, eine Erstattung der Auslagen zu erreichen. Diese werden nämlich i.d.R. als nicht notwendig i.S.d. §§ 467, 464a StPO angesehen, da die StPO dem Beschuldigten die Möglichkeit gebe, bei den Ermittlungsbehörden Beweiserhebungen anzuregen oder zu beantragen (vgl. u.a. KG StraFo 2012, 380 mit Anm. Burhoff StRR 2012, 237; OLG Düsseldorf NStZ 1997, 511 [privat eingeholtes SV-Gutachten]; OLG Hamm NJW 1968, 1537 [für Detektivkosten]; AGS 2013, 348 m. Anm. Burhoff StRR 2013, 301 [Privatgutachten; Zivilverfahren]; OLG Stuttgart NStZ-RR 2003, 127; s.a. LG Essen, Beschl. v. 18.11.2019 – 52 Qs 42 Js 1435/18-33/19, DAR 2020, 155 [Bußgeldverfahren]; Beschl. v. 19.7.2021 – 27 Qs 35/21 [anthropologisches Gutachten]; LG Göttingen JurBüro 1997, 370; LG Mainz wistra 1995, 320 [Kosten eines Privatgutachtens]; LG Oldenburg, Beschl. v. 17.1.2019 – 5 Qs 444/18, AGS 2020, 94; LG Potsdam, Beschl. v. 5.6.2020 – 24 Qs 28/20, RVGreport 2020, 429; LG Schwerin StraFo 2002, 304 [Erstattung der Kosten der Einholung eines privaten SV-Gutachtens in einem Missbrauchsfall]; LG Zweibrücken, Beschl. v. 2.12.2020 – 1 Qs 33/20 [Bußgeldverfahren]; Meyer-Goßner/Schmitt, § 464a Rn 16; KK/Gieg, § 464a Rn 7, jew. m.w.N. aus der Rspr.; auch noch Burhoff/Volpert/Volpert, RVG, Teil A: Kostenfestsetzung und Erstattung in Strafsachen, Rn 1336 ff.). Erstattet werden die Kosten aber ggf., wenn die eigenen Ermittlungen für die Abwehr des (Anklage-)Vorwurfs unbedingt notwendig waren oder das Gericht auf die Ergebnisse des Sachverständigen zurückgegriffen hat (vgl. zu allem Burhoff, in. Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl. 2019, Rn 4903 ff.).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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