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Kfz-Rennen: bedingter Tötungs- und Gefährdungsvorsatz

Lehnt das Tatgericht bei einem Kfz-Rennen mit tödlichem Ausgang das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes bei gleichzeitiger Annahme eines bedingten Gefährdungsvorsatzes (§ 315d Abs. 2 StGB) ab, bedarf es insoweit in sich widerspruchsfreier Feststellungen und Wertungen.

(Leitsatz des Verfassers)

BGH, Urt. v. 16.2.20234 StR 211/22

I. Sachverhalt

„Moerser Raser-Fall“

Das LG hatte den Angeklagten im ersten Rechtsgang wegen Mordes verurteilt (sog. Moeser Raser-Fall). Auf die Revision des Angeklagten hob der BGH (NZV 2021, 316 m. Anm. Preuß = DAR 2021, 271) das Urteil auf und verwies die Sache zurück. Nunmehr hat das LG ihn wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge verurteilt. Der Angeklagte verabredete mit dem früheren Mitangeklagten ein Kraftfahrzeugrennen durch das Stadtgebiet von M. Er führte einen Pkw Mercedes AMG E63 S mit 612 PS, der frühere Mitangeklagte einen Pkw Jaguar Range Rover Sport mit 528 PS. Nach Passieren der von der späteren Unfallstelle ca. 226 Meter entfernten Bahngleise lenkte der Angeklagte sein Fahrzeug in Umsetzung der Rennabrede auf die Gegenfahrspur und beschleunigte maximal. Kurz darauf nahm er wahr, dass die Geschädigte mit ihrem Pkw aus seiner Sicht von links aus einer Seitenstraße kommend in Fahrtrichtung des Angeklagten einbog. Um einen Zusammenstoß zu vermeiden, leitete der weiterhin die Gegenfahrspur mit einer Geschwindigkeit von nunmehr 167 km/h befahrende Angeklagte eine Vollbremsung ein. Zugleich versuchte er, dem Pkw der Geschädigten auszuweichen. Gleichwohl konnte er eine Kollision nicht vermeiden und fuhr mit einer Geschwindigkeit von noch 105 km/h auf das Heck des Fahrzeugs der Geschädigten auf. Diese erlitt tödliche Verletzungen. Die Revision der StA hat zur Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen zur subjektiven Tatseite geführt.

II. Entscheidung

Bedingter Tötungsvorsatz bei Kfz-Rennen

Die Beweiserwägungen, mit denen das LG einen bedingten Tötungsvorsatz verneint hat, hielten auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Bedingter Tötungsvorsatz sei gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes eines anderen Menschen abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Bewusste Fahrlässigkeit liege dagegen vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten (st. Rspr., BGH NZV 2021, 316 m. Anm. Preuß = DAR 2021, 271; BGHSt 65, 42 = NJW 2020, 2900 = StRR 8/2020, 21 = VRR 8/2020, 19 [jew. Hillenbrand]); BGHSt 63, 88 = NJW 2018, 1621 Rn 17 = StRR 4/2020, 19 = VRR 4/2018, 15 [jew. Hillenbrand]).

Begründungen: bedingter Tötungs- und Gefährdungsvorsatz

Die Beweiserwägungen, mit denen das LG einen bedingten Tötungsvorsatz verneint hat, seien im Ergebnis nicht tragfähig. Die Beweiserwägungen zur voluntativen Seite des bedingten Tötungsvorsatzes stünden in einem unaufgelösten Spannungsverhältnis zu den Ausführungen, mit denen es an anderer Stelle die Annahme bedingten Gefährdungsvorsatzes i.S.d. § 315d Abs. 2 StGB begründet hat. Das LG hat das Wissenselement des bedingten Tötungsvorsatzes mit der Begründung bejaht, dem Angeklagten sei klar gewesen, dass er sein Fahrzeug innerhalb einer geschlossenen Ortschaft im Bereich eines Wohngebiets maximal beschleunigen und die Gegenfahrspur befahren werde; ihm sei weiterhin bewusst gewesen, dass andere Verkehrsteilnehmer jederzeit aus den angrenzenden Straßen einfahren, er mit ihnen kollidieren und eine solche Kollision zu ihrem Tod führen könnte. Das voluntative Element hat das LG mit der Begründung verneint, der Angeklagte habe trotz objektiv hoher Gefährlichkeit der Tathandlung darauf vertraut, dass es nicht zu einem Unfall und zur Tötung anderer Verkehrsteilnehmer kommen werde; aufgrund des Umstands, dass es sich bei der von ihm befahrenen Straße um eine gut ausgebaute Vorfahrtsstraße handelte, das Rennen nach seiner Vorstellung nicht lange dauern und er den Range Rover rasch überholen werde, habe er nicht ausschließbar darauf vertraut, dass andere Verkehrsteilnehmer seine Vorfahrt beachten oder „grundsätzlich, wenn auch eingeschränkt, in der Lage sein würden, sein äußerst riskantes Fahrverhalten und das seines Kontrahenten zu erkennen und sich auf die hieraus ergebende Gefahrenlage einzustellen“; er habe darauf vertraut, dass es „letztlich nicht zu einem Zusammenstoß“ kommen werde. Zur Begründung des bedingten Gefährdungsvorsatzes i.S.d. § 315d Abs. 2 StGB hat das LG an anderer Stelle ausgeführt, der Angeklagte habe insbesondere mit der Möglichkeit gerechnet, dass andere Verkehrsteilnehmer plötzlich aus angrenzenden Straßen auftauchen, einbiegen und es in der Folge zu einem Zusammenstoß mit ihnen kommen könnte. Dies habe er billigend in Kauf genommen, weil er die Überlegenheit des Fahrzeugs seiner Familie vor seinen Freunden habe demonstrieren und sein Ansehen mehren wollen.

Unauflösbarer Widerspruch …

Diese Ausführungen zum bedingten Gefährdungsvorsatz ließen sich nicht widerspruchsfrei mit den Erwägungen zum bedingten Tötungsvorsatz vereinbaren, wonach der Angeklagte darauf vertraut habe, dass es „letztlich nicht zu einem Zusammenstoß“ mit Fahrzeugen des Querverkehrs kommen werde. Weiterhin ließen die Urteilsgründe offen, aus welchen rational einsichtigen Gründen der Angeklagte angesichts dieses im Rahmen des Gefährdungsvorsatzes festgestellten Vorstellungsbildes einer möglichen Kollision seines Fahrzeugs mit seitlichem Querverkehr ernsthaft und tatsachenbasiert, nicht nur vage auf das Ausbleiben eines tödlichen Erfolgs vertraut haben könnte. Dies verstehe sich nicht von selbst, sondern hätte eingehender Erörterung bedurft. Hieran fehle es.

… erfasst auch die Verurteilung wegen Kfz-Rennens mit Todesfolge

Die tatgerichtliche Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite sei damit auch zum Nachteil des Angeklagten rechtsfehlerhaft. Dies führe auf die Revision der Staatsanwaltschaft (vgl. § 301 StPO) zur Urteilsaufhebung, soweit der Angeklagte wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge (§ 315d Abs. 2 und Abs. 5 StGB) verurteilt worden ist. Ein bedingter Gefährdungsvorsatz gem. § 315d Abs. 2 StGB liege vor, wenn der Täter über die allgemeine Gefährlichkeit des Kraftfahrzeugrennens hinaus auch die Umstände kennt, die den in Rede stehenden Gefahrerfolg im Sinne eines Beinaheunfalls als naheliegende Möglichkeit erscheinen lassen, und er sich mit dem Eintritt einer solchen Gefahrenlage zumindest abfindet (BGH NStZ 2023, 108 Rn 10f.). Die o.g. nicht miteinander zu vereinbarenden Ausführungen ließen auch die Annahme bedingten Gefährdungsvorsatzes als rechtsfehlerhaft erscheinen. Zwar liege die Annahme von Gefährdungsvorsatz i.S.d. § 315d Abs. 2 StGB angesichts der vom LG zu Recht angenommenen, anschaulichen Höchstgefährlichkeit des vom Angeklagten absprachegemäß durchgeführten Kraftfahrzeugrennens durch die Innenstadt nahe. Den Urteilsgründen könne aber auch unter Berücksichtigung ihres Zusammenhangs nicht eindeutig entnommen werden, welche konkreten Gefährdungsszenarien sich der Angeklagte vorstellte, die zwar nicht zu einer Kollision, aber doch zu einer Situation führten, die als Beinaheunfall (dazu im Einzelnen BGH a.a.O.) beschrieben werden kann.

III. Bedeutung für die Praxis

Fehlgeschlagener Versuch

Das LG war hier erkennbar von der Überlegung geleitet, die hohen Anforderungen des BGH zum bedingten Tötungsvorsatz bei Kfz-Rennen (grundlegend der „Berliner Raser-Fall“; BGHSt 63, 88 = StRR 4/2018, 19 = VRR 4/2018, 15 [jew. Hillenbrand]) zu umschiffen und auf das Kfz-Rennen mit Todesfolge zurückzugreifen, das als Erfolgsqualifikation lediglich einen bedingten Gefährdungsvorsatz erfordert. Dass das mit den offensichtlichen und vom 4. Senat deutlich gemachten Widersprüchlichkeiten nicht funktioniert, liegt auf der Hand. Insbesondere hätte es bei § 315d Abs. 2 StGB als Grundlage der Erfolgsqualifikation Feststellungen zur subjektiven Sicht des Angeklagten zum „Beinaheunfall“ auch und gerade in Abgrenzung zum verneinten bedingten Tötungsvorsatz bedurft. Dieser fehlgeschlagene Versuch des LG hat gem. § 301 StPO zur Folge, dass das Urteil hinsichtlich der subjektiven Feststellungen insgesamt aufzuheben war, obwohl der Angeklagte erkennbar keine Revision eingelegt hat.

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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