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Keine Rechtfertigung des Festklebens auf Straßen zum Klimaschutz

Eine Nötigung durch Festkleben auf einer Straße, um Autofahrer an der Weiterfahrt zu hindern und dadurch auf die Gefahren des Klimawandels aufmerksam zu machen, ist nicht durch Art. 20 Abs. 4 GG, § 34 StGB direkt oder analog oder wegen „zivilen Ungehorsams“ gerechtfertigt.

(Leitsatz des Verfassers)

BayObLG, Beschl. v. 21.4.2023205 StRR 63/23

I. Sachverhalt

Straßenblockade durch Festkleben

Das AG hat den Angeklagten wegen Nötigung schuldig gesprochen. Er klebte sich auf der Fahrbahn einer Straße in München mit Sekundenkleber fest und hinderte dadurch im Zusammenwirken mit weiteren Personen eine unbekannte, größere Anzahl von Autofahrern am Weiterfahren oder zwang sie zur Umfahrung der blockierten Straße. Seine Revision blieb erfolglos.

II. Entscheidung

Kein Widerstandsrecht nach Art. 20 Abs. 4 GG

Die Tat stelle in objektiver und subjektiver Hinsicht eine Nötigung i.S.v. § 240 Abs. 1 StGB dar. Die Tat des Angeklagten sei nicht nach Art. 20 Abs. 4 GG gerechtfertigt. Gem. Art. 20 Abs. 4 GG haben alle Deutschen gegen jeden, der es unternimmt, die in Art. 20 GG niedergelegte Ordnung zu beseitigen, das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist. Das Widerstandsrecht könne gegen jeden ausgeübt werden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen. Andere Abhilfe dürfe jedoch nicht möglich sein. Diese als „Subsidiaritätsklausel“ verstandene Beschränkung gestaltet das Widerstandsrecht zu einem äußersten und letzten Notmittel. Hintergrund der Einschränkung sei das staatliche Gewaltmonopol als Grundpfeiler moderner Staatlichkeit. Die legitime Anwendung physischer Gewalt solle deshalb erst dann in private Hände gegeben werden, wenn der Staat die verfassungsmäßige Ordnung nicht hinreichend schützen kann. Letzteres sei jedenfalls nicht der Fall. Es liege derzeit keine Konstellation vor, in der die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland gefährdet ist und die staatlichen Organe, aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr in der Lage sind, die verfasste Ordnung selbst hinreichend zu schützen. Vielmehr ist der Staat in seiner Handlungsfähigkeit nicht eingeschränkt. Auf der Grundlage der Überzeugungen des Angeklagten ließe sich die Situation schlagwortartig zusammenfassen: Der Staat kann zwar die verfasste Ordnung schützen; er ergreift aber nicht die vom Angeklagten für nötig erachteten Maßnahmen. Daneben sei auch nicht erkennbar, dass der Angeklagte seine „Widerstandshandlung“ gegen denjenigen richtete, der es unternahm, die in Art. 20 GG niedergelegte Ordnung zu beseitigen. Ausgehend vom Ansatzpunkt des Angeklagten kämen als Adressat seiner Widerstandshandlung daher nur die Regierung und die Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften in Betracht. Gegen die konkret von seiner Tat betroffenen Autofahrer sei daher schon aus diesem Grund kein „Widerstand“ nach Art. 20 GG zulässig.

Kein rechtfertigender Notstand nach § 34 StGB

Die Tat des Angeklagten sei nicht nach § 34 StGB gerechtfertigt: In der vorliegenden Sachverhaltskonstellation scheide eine Rechtfertigung der Tat des Angeklagten bereits deshalb aus, weil ihm zum Erreichen seines Ziels mildere Mittel zur Verfügung standen und er nicht eine Straftat hätte begehen müssen. Als milderes Mittel zur Einwirkung auf den politischen Meinungsbildungsprozess hätte er beispielsweise hierauf bezogene Grundrechte, nämlich Art. 5 GG (Meinungsfreiheit), Art. 8 (Versammlungsfreiheit), Art 17 GG (Petitionsrecht) ausüben bzw. von der Möglichkeit des Art. 21 GG (Freiheit der Bildung politischer Parteien) Gebrauch machen können (OLG Celle NStZ 2023, 113 = StRR 2/2023, 27 [Deutscher]). Daneben stünde ihm auch noch der Weg offen, dass er und gegebenenfalls weitere Personen im direkten Gespräch oder über sonstige Kommunikationsmittel auf Mitglieder der Regierung und/oder der gesetzgebenden Körperschaften zur Erreichung ihrer Ziele einwirken. Da bereits das Vorhandensein von milderen Mitteln die Anwendbarkeit von § 34 StGB ausschließt, sei der Senat nicht gehalten, die Streitfrage, ob derartige Verkehrsblockaden als Teil eines komplexen und gegebenenfalls längerfristigen Vorgehens geeignet sind, die Gefahren, die sich aus der globalen Erwärmung ergeben können, zu beseitigen (bejahend Bönte, HRRS 2021, 164, 168; verneinend Schönke/Schröder/Perron, 30. Aufl. 2019, StGB § 34 Rn 19).

Keine analoge Anwendung des § 34 StGB

Die Revision meint zu Unrecht, im Einzelfall könne eine politisch motivierte Verkehrsblockade nach § 34 StGB ähnlich wie bei der „notwehrähnlichen Lage“ bewertet werden. Es sei kein Bedürfnis erkennbar, praeter legem einen weiteren Rechtfertigungsgrund für Verkehrsblockaden zu schaffen, deren Sinn und Zweck es ist, mittelbar Druck auf den Gesetzgeber auszuüben. Wie bereits dargelegt, bestünden im demokratischen Rechtsstaat diverse Möglichkeiten, effektiv auf die gesetzgeberischen Körperschaften einzuwirken, um diese zu den gewünschten Maßnahmen zu veranlassen. Mit § 34 StGB habe der Gesetzgeber einen Rechtfertigungsgrund geschaffen, der die Rechtswidrigkeit einer Straftat ausschließt, wenn jemand in einer gegenwärtigen Gefahr für ein Rechtsgut eine Straftat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden. Somit sehe die Rechtsordnung bereits positiv einen Rechtfertigungsgrund für Straftaten dann vor, wenn eine Abwägung der beteiligten Interessen erforderlich ist und diese ein wesentliches Überwiegen des geschützten Interesses ergibt. Damit sei aber eine Situation der hier vorliegenden Art vom Gesetzgeber bereits abschließend geregelt. Eine auf den Einzelfall beschränkte Analogie zu § 34 StGB, die lediglich eine Interessenabwägung voraussetzt und auf die weiteren Anwendungsvoraussetzung von § 34 StGB verzichtet, oder die Anerkennung eines selbstständigen, neu zu schaffenden Rechtfertigungsgrundes, bei dem es ausschließlich auf die Abwägung ankommt, verbiete sich daher.

Keine Rechtfertigung durch „zivilen Ungehorsam“

Die Tat sei auch nicht, sofern man darin überhaupt einen Rechtfertigungsgrund sehen will, durch zivilen Ungehorsam gerechtfertigt. Die herrschende Meinung lehne eine Rechtfertigung von Straftaten durch zivilen Ungehorsam ab. Das BVerfG (BVerfGE 73, 206 Rn 90 ff. = NJW 1987, 43) habe zur Frage, ob ziviler Ungehorsam speziell eine gezielte und bezweckte Verkehrsbehinderung durch Sitzblockaden rechtfertigen kann, ausgeführt, dies komme zumindest dann nicht in Betracht, wenn Aktionen des zivilen Ungehorsams wie bei Verkehrsbehinderungen in die Rechte Dritter eingreifen, die ihrerseits unter Verletzung ihres Selbstbestimmungsrechts als Instrument zur Erzwingung öffentlicher Aufmerksamkeit benutzt werden. Dabei bliebe außer Acht, dass zum Wesen des zivilen Ungehorsams nach der Meinung seiner Befürworter die Bereitschaft zu symbolischen Regelverletzungen gehört, dass er also per definitionem Illegalität mit dem Risiko entsprechender Sanktionen einschließt als Mittel, auf den öffentlichen Willensbildungsprozess einzuwirken. Angesichts dieser Zielrichtung erschiene es widersinnig, den Gesichtspunkt des zivilen Ungehorsams als Rechtfertigungsgrund für Gesetzesverletzungen geltend zu machen. Dem schließe sich der Senat an. Zusätzlich spreche gegen die Anerkennung von zivilem Ungehorsam als Rechtfertigungsgrund folgende Argumentation: Ziviler Ungehorsam sei Protest, der sich gegen eine verfassungsgemäß zustande gekommene Mehrheitsentscheidung – einen fundamentalen Gemeinschaftswert – richtet und diese gestützt auf vorgeblich verallgemeinerungsfähige, aber offenkundig noch nicht mehrheitlich getragene Prinzipien und Wertvorstellungen in Frage stellt. Anstatt für die eigene Meinung auf legale Weise um eine Mehrheit zu werben, setze der, der zivilen Ungehorsam leistet, die Überlegenheit der eigenen Ansicht voraus und leite daraus das Recht ab, diese auch mit illegalen Mitteln durchsetzen zu dürfen. Die Annahme einer Rechtfertigung würde bedeuten, ein solches Recht tatsächlich zuzugestehen und damit der Ansicht einer Minderheit ein höheres Gewicht zuzubilligen als der im Rahmen des demokratischen Willensbildungsprozesses entstandenen Entscheidung der Mehrheit.

Verwerflichkeit gem. § 240 Abs. 2 StGB

Die Tat des Angeklagten sei verwerflich i.S.v. § 240 Abs. 2 StGB. Der Zweck der Verkehrsblockade sei nicht als Gesichtspunkt zu werten, der für die Verwerflichkeit spricht (BVerfG NJW 2011, 3020 Rn 39 = StRR 2011, 184 = VRR 2011, 187 [jew. Krawczyk]).

III. Bedeutung für die Praxis

Nichts hinzuzufügen

Breiter in der Begründung angelegt, im Ergebnis aber identisch mit dem OLG Celle (NStZ 2023, 113 = StRR 2/2023, 27 [Deutscher], dort: Sachbeschädigung) lehnt das BayObLG eine Rechtfertigung von Straßenblockaden durch Festkleben sog. Klimaaktivisten ab. Dem ist in der Sache nichts hinzuzufügen (Deutscher, StRR 1/2023, 27; 4/2023, 28), wobei sich die Erörterungen zunehmend von der Ebene der Verwerflichkeitsprüfung gem. § 240 Abs. 2 StGB auf die Frage der Rechtfertigung verschieben. Ergänzend ist hinzuweisen auf LG Berlin StRR 4/2023, 27 (Deutscher) unter Aufhebung von AG Berlin-Tiergarten NStZ 2023, 239 = StRR 1/2023, 24 (Deutscher); Herber, NZV 2023, 49; Lund, NStZ 2023, 198; Mitsch, DAR 2023, 234; Preuß, NZV 2023, 60 sowie zur zivilrechtlichen Haftung Behme, NJW 2023, 327.

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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