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Berechnung der Stunde für den Längenzuschlag

1. Eine Stunde endet mit Ablauf der Sekunde 59:59, danach beginnt die nächste Stunde.

2. Nach Vorb. 4.1 Abs. 3 VV RVG sind auch Wartezeiten und Unterbrechungen an einem Hauptverhandlungstag als Teilnahme zu berücksichtigen, ausgenommen hiervon sind nur Wartezeiten und Unterbrechungen, die der Rechtsanwalt zu vertreten hat, sowie Unterbrechungen von jeweils mindestens einer Stunde.

(Leitsätze des Verfassers)

AG Dillingen a.d. Donau, Beschl. v. 23.11.2022302 Ds 306 Js 135128/18

I. Sachverhalt

Streit um die Gebühr Nr. 4128 VV RVG

Im Erinnerungsverfahren wird um den Anfall einer Terminsgebühr Nr. 4128 VV RVG für einen Hauptverhandlungstermin gestritten. Der Rechtspfleger hatte den nicht festgesetzt. Das AG hat auf die Erinnerung des Pflichtverteidigers anders entschieden und die Gebühr festgesetzt.

II. Entscheidung

Mehr als fünf Stunden

Der Längenzuschlag nach Nr. 4128 VV RVG entstehe, wenn der gerichtlich bestellte oder beigeordnete Rechtsanwalt mehr als fünf und bis acht Stunden an der (Berufungs-)Hauptverhandlung teilgenommen habe. Dies sei der Fall gewesen, denn die Hauptverhandlung habe ausweislich des Protokolls von 09:04 Uhr bis 14:00 Uhr gedauert. Bei der Berechnung des Längenzuschlags sei ausschließlich auf den in der Terminsladung genannten Beginn der Hauptverhandlung abzustellen, nicht auf den Aufruf der Sache (BeckOK-RVG/Knaudt, 57. Ed. 1.9.2022, RVG VV 4128 Rn 10 m.w.N), denn hierbei handele es sich um eine Wartezeit, die der Verteidiger nicht zu vertreten hat. In der Ladung sei als Zeitpunkt des Beginns 9:00 Uhr verfügt gewesen. Die Berufungsverhandlung habe ausweislich des Protokolls, von dessen Richtigkeit auszugehen sei, um 14:00 Uhr geendet. Die fünfte Stunde ende mit Ablauf der Sekunde 59:59, danach beginne die nächste Stunde (Gerold/Schmidt/Burhoff, 25. Aufl. 2021, RVG VV 4108 Rn 24; LG Karlsruhe AGS 2021, 78 = JurBüro 2021, 246). Mit Ablauf der Sekunde 13:59:59, also um 14:00:00. dauerte die Hauptverhandlung somit mehr als fünf Stunden.

Unterbrechungen

Von dieser Verhandlungsdauer seien die Unterbrechungen von 10:13 Uhr bis 10:45 Uhr und von 12:25 bis 13:04 Uhr nicht abzuziehen. In der obergerichtlichen Rechtsprechung habe bis zum Inkrafttreten des KostRÄG v. 21.12.2020 erheblicher Streit zu der Frage bestanden, ob Wartezeiten des Rechtsanwalts vor bzw. während der Hauptverhandlung zu berücksichtigen seien bzw. ob Pausen von der Hauptverhandlungszeit abgezogen werden müssen. Dieser Streit habe sich durch die Einfügung des Abs. 3 in die Vorb. 4.1 VV RVG erledigt. Es sei nunmehr explizit geregelt, wann Pausen bzw. Unterbrechungen im Rahmen von Längenzuschlägen zu berücksichtigen sind, sodass die zu diesem Problemschwerpunkt ergangene Rechtsprechung nunmehr überholt sei. Ausweislich der VV Vorb 4.1 Abs. 3 RVG seien auch Wartezeiten und Unterbrechungen an einem Hauptverhandlungstag als Teilnahme zu berücksichtigen, ausgenommen hiervon seien nur Wartezeiten und Unterbrechungen, die der Rechtsanwalt zu vertreten habe, sowie Unterbrechungen von jeweils mindestens einer Stunde. Hier lägen zwar Unterbrechungen vor, diese hätten jeweils allerdings keine volle Stunde gedauert, sodass sie nicht in Abzug zu bringen seien.

III. Bedeutung für die Praxis

Es kommt auf die Sekunde an …

1. Es kommt auf die Sekunde an. Mal wieder und das auch noch im Gebührenrecht. Denn es geht in der Entscheidung um die Frage: Wann endet eine Stunde und wann ist ein Zeitraum von mehr als einer Stunde erreicht? Das AG bezieht sich für seine Ansicht auf die Entscheidung des LG Karlsruhe (a.a.O.), das davon ausgeht, dass die fünfte Stunde der Nr. 4128 VV RVG mit Ablauf der Sekunde 59:59 endet und damit um – in diesem Fall – 14.00 Uhr die sechste Stunde begann. A.A. ist das OLG Schleswig im Beschl. v. 25.6.2021 (1 Ws 106/21, www.burhoff.de) gewesen, das davon ausgegangen ist, dass in diesen Fällen der Verteidiger um 14.00 Uhr noch nicht „mehr als fünf Stunden“ teilgenommen hat. Um diesem Hin und Her zu entgehen, sollte man als Pflichtverteidiger sehr sorgfältig darauf achten, wann die Hauptverhandlung vom Vorsitzenden geschlossen wird und was vom Protokollführenden ins Protokoll aufgenommen wird. Denn, wie gesagt, es kommt auf die Sekunde an, sodass es schon einen Unterschied macht, ob dort 14.00 Uhr oder 14.01 Uhr eingetragen wird.

Berücksichtigung von Unterbrechungen

2. Eindeutiger ist der Beschluss hinsichtlich der Ausführungen zur Berücksichtigung von Unterbrechungen. Ob die zu berücksichtigen sind und wenn ja, in welchem Umfang, war bis zum Inkrafttreten des KostRÄndG 2021 höchst umstritten, was sich aber durch die Einführung der Vorbem. 4.1 Abs. 3 VV RVG erledigt hat. Insofern hat das AG Recht und der Rechtspfleger war, wenn hier neues Recht anzuwenden ist, wovon man offenbar ausgehen muss, nicht auf der Höhe der Zeit (zur neuen Vorbem. 4.1 Abs. 3 VV RVG Burhoff, RVGreport 2020, 402, 406 f.; ders., StraFo 2021, 5, 13 f.; ders., StRR 1/2021, 5, 9 f; Volpert, AGS 2020, 445, 454 f: s. auch noch LG Mannheim AGS 2022, 312 = JurBüro 2022, 355 = RVGprofessionell 2022, 114, u.a. auch zur sog. Mittagspause).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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