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Aufklärungsrüge und unzutreffende Annahme eines Beweisverwertungsverbots

Die Nichtgewährung des Konfrontationsrechts gegenüber einer Vertrauensperson mit vollumfänglichem Sperrvermerk ist der Justiz zuzurechnen, führt aber nicht zur Unverwertbarkeit der Angaben der Vernehmungsperson, wenn diese durch andere gewichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage bestätigt werden.

(Leitsatz des Verfassers)

BGH, Urt. v. 15.2.20232 StR 270/22

I. Sachverhalt

Sperrvermerk für Vertrauensperson

Das LG hat die Angeklagten von Verstößen gegen das BtM unter Verurteilung im Übrigen teilfreigesprochen. Nachdem das LKA Hinweise auf einen Handel mit Kokain und Marihuana erhalten hatte, setzte es die Vertrauensperson mit dem Decknamen M auf die Angeklagten an. M erwarb von diesen in drei Fällen Betäubungsmittel in nicht geringer Menge. Das LG hat ein Verwertungsverbot hinsichtlich der Angaben der wegen einer vollumfänglichen Sperrerklärung nicht vernehmbaren Vertrauensperson M gegenüber dem Vernehmungsbeamten angenommen. Die Revision der StA war erfolgreich.

II. Entscheidung

Grundlagen zur Wirkung des Sperrvermerks

Die Aufklärungsrüge sei begründet. Der Einsatz der Vertrauensperson M sei zulässig gewesen (wird näher ausgeführt). Dass die Vertrauensperson wegen der Sperrerklärung nicht in der Hauptverhandlung als Zeuge zur Verfügung stand, hindere nicht die Verwertung der Angaben, welche die Vertrauensperson im Rahmen einer Vernehmung gemacht hatte. Das von Art. 6 Abs. 3 Buchst. d EMRK garantierte Recht des Angeklagten auf konfrontative Befragung von Belastungszeugen stelle eine besondere Ausformung des Grundsatzes des fairen Verfahrens nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK dar. Ob die fehlende Gelegenheit für den Angeklagten beziehungsweise seinen Verteidiger, einen Zeugen selbst zu befragen, eine Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK begründet, hänge von einer einzelfallbezogenen Gesamtwürdigung ab (BGH NStZ 2022, 496, 497 f.; EGMR StV 2017, 213, 216 Rn 100 f.; BVerfG NJW 2010, 925 f.). Dabei sei nicht nur in Rechnung zu stellen, ob die Nichtgewährung des Konfrontationsrechts im Zurechnungsbereich der Justiz liegt, sondern vor allem auch in den Blick zu nehmen, mit welchem Gewicht die Verurteilung des Angeklagten auf die Bekundungen eines nicht konfrontativ befragten Zeugen gestützt worden ist und ob das Gericht die Unmöglichkeit der Befragung des Zeugen durch den Angeklagten oder seinen Verteidiger kompensiert hat, namentlich durch eine besonders kritische und zurückhaltende Würdigung der Bekundungen des Zeugen (BGH und EGMR a.a.O.). Ist die unterbliebene konfrontative Befragung eines Zeugen der Justiz zu zurechnen, könne eine Verurteilung auf dessen Angaben nur gestützt werden, wenn diese durch andere gewichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage bestätigt werden (BGHSt 51, 150, 155 f. = NJW 2007, 237).

Kein Verwertungsverbot

Gemessen daran habe das LG nicht von vorneherein die Angaben der Vertrauensperson gegenüber dem Vernehmungsbeamten außer Acht lassen dürfen. Dabei bedürfe es keiner Entscheidung, ob eine Verletzung des völkerrechtlich gewährleisteten Konfrontationsrechts im innerstaatlichen Recht lediglich auf der Ebene der Beweiswürdigung zu besonders strengen Beweis- und Begründungsanforderungen führt (BVerfG a.a.O.; BGHSt 46, 93,103 ff. = NJW 2000, 3505.; BGHSt 51, 150, 157 = NJW 2007, 237) oder – obwohl verfassungsrechtlich nicht geboten (BVerfG a.a.O.) – die Unverwertbarkeit von auf einen nicht konfrontativ befragten Zeugen zurückgehender Informationen bewirkt (BGH NStZ-RR 2014, 246, 248; BGHSt 55, 70, 78 f. = NJW 2010, 2224). Zwar liege der Umstand, dass eine konfrontative Befragung nicht durchgeführt werden konnte, hier im Verantwortungsbereich der Justiz, da dieser die Sperrerklärung des Thüringer Innenministeriums zuzurechnen ist. Allerdings seien auch in einem derartigen Fall die Angaben vor dem Vernehmungsbeamten verwertbar, wenn sie durch andere gewichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage bestätigt werden. Hierfür liegen Anhaltspunkte vor, wie insbesondere die Übergabe der Betäubungsmittel durch die Vertrauensperson an die Polizei, die Observation des Wohnobjekts eines Angeklagten, die aufgezeichneten Gespräche zwischen der Vertrauensperson und einem Angeklagten sowie die Erkenntnisse aufgrund des Zugriffs.

III. Bedeutung für die Praxis

Bestätigt ständige Rechtsprechung

Es bedeutet eine erhebliche Einschränkung der Verteidigung, wenn wie hier die Vertrauensperson nicht selbst befragt werden kann. Das ist auf dem Hintergrund des Rechts auf konfrontative Befragung nur hinnehmbar, wenn die über den Vernehmungsbeamten eingeführte Aussage der Vertrauensperson nicht für sich allein steht, sondern durch sonstige Beweismittel im Kern bestätigt wird (zum Konfrontationsrecht eingehend Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, Art. 6 EMRK Rn 22–22h; zur Verwertung der Erkenntnis eines gesperrten V-Manns: Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 10. Aufl. 2022, Rn 386 ff.). Der 2. Senat bestätigt hier die einschlägige Rechtsprechung von BGH und BVerfG (Zitate oben im Text). Wird unzutreffend ein Beweisverwertungsverbot angenommen, bedeutet das einen Verstoß gegen die Amtsaufklärungspflicht in § 244 Abs. 2 StPO (vgl. BGH NStZ 1997, 450).

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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