Beitrag

Anforderungen an Beweisantrag auf Anhörung eines Sachverständigen

1. Mit der Tatbestandsvoraussetzung der bestimmten Behauptung einer konkreten Tatsache in § 244 Abs. 3 S. 1 StPO normiert der Gesetzgeber ein Optimierungsgebot. Es hält den Antragsteller, der die Anhörung eines Sachverständigen begehrt, dazu an, möglichst genau zu beschreiben, welche Umstände in Kombination mit bestimmten Erfahrungssätzen darauf fußende Schlussfolgerungen nahelegen oder ausschließen.

2. Jedenfalls das Konnexitätsgebot aus § 244 Abs. 3 S. 1 StPO erfordert ausnahmsweise dann die Angabe des Fachgebietes, aus dem der Antragsteller einen Sachverständigen anzuhören wünscht, wenn die dem Beweisantrag zugrunde liegende Thematik das Fachgebiet mehrerer fachlich verschiedener Disziplinen betrifft, von denen nicht eine klar im Vordergrund steht.

(Leitsätze des Gerichts)

OLG Stuttgart, Beschl. v. 27.1.202311 Rv 24 Ss 991/22

I. Sachverhalt

Das LG hat den Angeklagten im Berufungsverfahren u.a. wegen Verbreitung pornographischer Schriften verurteilt. Die Verteidigung hat in der Hauptverhandlung in Bezug auf die Abbildungen beantragt, „zum Beweis der Tatsache, dass bei durchschnittlichen Betrachtern … andere als sexuelle Empfindungen entstehen“ sowie „zu der Tatsache, dass der durchschnittliche Betrachter bei den Bildern … den weiblichen Anus erst auf den zweiten Blick wahrnimmt“, ein Sachverständigengutachten einzuholen. In der Begründung des Antrags wurde weiter ausgeführt, dass die Bilder „unsittlich, anstößig oder ekelerregend für die einen, lustig für die anderen sein mögen“ und dass in erster Linie zunächst das in der Abbildung zu sehende Wort bzw. Emoji wahrgenommen werde, die jeweils in die Abbildung hineinmontiert seien, sodass der Anus als Teil des Wortes oder des Emojis erscheine. Das LG hat diesen Antrag mit der Begründung abgelehnt, dass mit dem Beweisantrag Rechtsanwendung begehrt werde. Der Begriff der Pornographie sei ein unbestimmter Rechtsbegriff, dessen Klassifizierung dem Tatrichter überlassen bleibe. Das angebotene Beweismittel sei daher ungeeignet i.S.d. § 244 Abs. 3 S. 3 Nr. 4 StPO. Die Revision des Angeklagten wurde verworfen

II. Entscheidung

Grundlagen

Die Verfahrensrüge sei erfolglos. Das LG habe nicht gegen § 244 Abs. 3 S. 3 StPO verstoßen. Denn es liege bereits kein Beweisantrag i.S.v. § 244 Abs. 3 S. 1 StPO vor. Danach habe der Antragsteller eine bestimmte Tatsache konkret zu behaupten und ein bestimmtes Beweismittel zu bezeichnen, wobei dem Antrag zu entnehmen sein muss, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Beweistatsache belegen können soll. Der Wortlaut des § 244 Abs. 3 S. 1 StPO, wonach ein Beweisantrag voraussetzt, dass der Antragsteller eine bestimmte Tatsache konkret behaupten muss, belege, dass der Gesetzgeber der präzisen Formulierung der Beweistatsache besonders hohes Gewicht beimisst. Die Tatsache müsse generell geeignet sein, in ihrem im Beweisantrag enthaltenen Wortlaut zur Urteilsgrundlage zu werden, also als Teil der Feststellungen in den Urteilssachverhalt einzugehen oder zumindest als Indiztatsache Grundlage einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung zu werden. Der Gesetzgeber normiere damit ein Optimierungsgebot. Es halte im Fall des Sachverständigenbeweises den um den Nachweis wissenschaftlicher Erfahrungssätze bemühten Antragsteller dazu an, möglichst genau zu beschreiben, welche Umstände in Kombination mit bestimmten Erfahrungssätzen darauf fußende Schlussfolgerungen nahelegen oder ausschließen. Die Mahnung, dass gerade bei Anträgen auf Anhörung eines Sachverständigen keine überspannten Anforderungen an die Formulierung einer Beweisbehauptung gestellt werden dürfen, da der Antragsteller vielfach nicht in der Lage sei, die seinem Beweisziel zugrunde liegenden Vorgänge und Zustände exakt zu bezeichnen (BGH NStZ 2019, 628 = StRR 10/2019, 12 [Burhoff]), befreie den Antragsteller nicht davon, Aufwand für Recherche und Überlegung zu betreiben. Sie ist kein „Freibrief für liederliche Antragsabfassung“ (Ventzke, NStZ 2019, 629, 630).

Beweistatsache

Danach gelte vorliegend Folgendes: In der Antragsbegründung werde präzisiert, welche Wahrnehmung ein durchschnittlicher Betrachter dieser Bilder auf den ersten Blick machen soll. Damit könne dem Antrag im Wege der Auslegung die Behauptung einer konkreten Tatsache, in diesem Fall innerpsychische Vorgänge oder mit potenzieller Bedeutung für die Schuldfrage, entnommen werden. Denn ein pornographischer Inhalt zeichne sich wesentlich dadurch aus, in seiner Gesamttendenz ausschließlich oder überwiegend auf sexuelle Stimulation angelegt zu sein. Hingegen fehle es dem Antrag, soweit er auf den Nachweis „anderer als sexueller Empfindungen“ gerichtet ist, an der bestimmten Behauptung einer konkreten Tatsache. Denn diese Wendung umschreibe – auch unter Berücksichtigung der Antragsbegründung – nur das mit der Beweiserhebung verfolgte Ziel. Welche Empfindungen hier genau entstehen, sei nicht bestimmt mitgeteilt. Stattdessen würden nur Mutmaßungen in verschiedenste Richtungen („unsittlich, anstößig, ekelerregend, lustig“) angestellt, die ihrerseits zumindest in Teilen Wertungscharakter tragen.

Konnexitätsgebot: Fachgebiet

Die Angabe eines bestimmten Beweismittels verlange beim Antrag auf Anhörung eines Sachverständigen schon mit Blick auf die Auswahlbefugnis des Gerichts gem. § 73 Abs. 1 StPO nicht die Angabe eines ganz bestimmten Sachverständigen. Grundsätzlich sei auch die ausdrückliche Angabe des Fachgebietes nicht erforderlich, da sich dieses ohne weiteres aus der Angabe der Beweistatsache oder des Beweisziels ergibt. Hieran schließe das Konnexitätserfordernis in § 244 Abs. 3 S. 1 StPO an. Dieses verlangt, dass dem Antrag nachvollziehbar zu entnehmen sein muss, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Einer ausdrücklichen Darlegung hierzu bedürfe es indes nicht, wenn sich – wie dies bei Anträgen auf Anhörung eines Sachverständigen häufig der Fall ist – der erforderliche Zusammenhang von selbst versteht (BGH NStZ 2014, 282 = StRR 2014, 182 [Grube]). Die hier zu entscheidende Konstellation liege jedoch anders. Denn die vom Antragsteller behaupteten Empfindungen und Wahrnehmungen können die Expertise ganz unterschiedlicher Fachgebiete betreffen. Dies zeige schon der Stand von Rechtsprechung und Literatur zur Auslegung des Pornographiebegriffs. So seien in dem dem „Opus Pistorum“-Urteil des BGH (BGHSt 37, 55 = NJW 1990, 3026) zugrunde liegenden Fall gleich mehrere Literatursachverständige angehört worden. Es sei unschwer denkbar, dass hier fachspezifische Kenntnisse aus dem Bereich der Psychologie, anderer Kulturwissenschaften oder medizinischer Disziplinen (Sexualmedizin, Neurologie, Psychiatrie) von Belang sein können. Spricht also die dem Beweisantrag zugrunde liegende Thematik somit eine Fülle unterschiedlicher Fachgebiete an, von denen nicht eines von vorneherein klar im Vordergrund steht, so gebiete es das Konnexitätserfordernis, im Beweisantrag Darlegungen zum Fachgebiet des Sachverständigen anzubringen, dessen Anhörung der Antragsteller wünscht. Denn anderenfalls sei dem Gericht die sinnvolle Prüfung des Ablehnungsgrundes der völligen Ungeeignetheit des Beweismittels nicht möglich (BGHSt 52, 284 = NJW 2008, 3446 = StRR 2008, 425 [Junker]). An solchen Ausführungen fehle es in dem Antrag.

Beweisermittlungsantrag

Daher sei das Begehren als Beweisermittlungsantrag zu behandeln. Dessen Ablehnung sei vom Revisionsgericht unter dem Gesichtspunkt der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) zu prüfen. Hiernach erweise sich die Rüge als unzulässig, da die Revisionsbegründung weder vorträgt, welche konkreten Ergebnisse das Gutachten des Sachverständigen erbracht hätte, noch aufgrund welcher Umstände und Vorgänge sich die Strafkammer zu dieser Beweiserhebung gedrängt sehen musste (BGH NStZ 1999, 45).

III. Bedeutung für die Praxis

Nicht überzeugend

Die Auswahl der Person des Sachverständigen als austauschbares Beweismittel steht gem. § 73 Abs. 1 S. 1 StPO im Ermessen des Gerichts. Der BGH hat den Grundsatz aufgestellt, dass das Gericht auch die Fachrichtung selbst zu bestimmen hat und bei Überschneidung verschiedener Fachgebiete die freie Auswahl auf die am ehesten geeignete Fachrichtung besitzt (BGHSt 34, 355, 357 = NJW 1987, 2593, dort zur Überschneidung von Psychiatrie und Psychologie). Spiegelbildlich ist daraus der Schluss gezogen worden, dass dies auch für entsprechende Beweisanträge gilt, eine bestimmte Fachrichtung also nicht genannt werden muss (OLG Celle MDR 1969, 950; Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 10. Aufl. 2022, Rn 1109; KK-StPO/Hadamitzky, 9. Aufl. 2023, StPO § 73 Rn 3). Bei den „klassischen“ Bereichen wie Schuldfähigkeit, Unterbringung, Glaubwürdigkeit oder Blutalkoholbestimmung ergibt sich das einschlägige Fachgebiet ohnehin in aller Regel von selbst. Davon weicht das OLG Stuttgart hier ab, ohne sich mit dieser Rechtsprechung auseinanderzusetzen. Das ist angesichts der vielen unterschiedlichen Fachrichtungen, die in diesem Fall in Betracht kommen, nachvollziehbar. Überzeugend ist es nicht. Denn läge ein Fall der gerichtlichen Aufklärungspflicht vor, müsste sich das Gericht die Arbeit der Auswahl des Fachgebiets machen. Es ist angesichts der genannten Rechtsprechung kein Grund ersichtlich, dass dies bei einem entsprechenden Beweisantrag anders sein sollte. Allerdings ist es für die Verteidigung schon mit Blick auf Beweisfrage und Beweisziel ratsam, ein Fachgebiet vorzuschlagen. Hier wäre es auch sinnvoll gewesen, wenn das Gericht auf eine Ergänzung des Beweisantrags hingewirkt hätte.

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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