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Streitwert bei Anfechtung des Vollzugsplans

1. Angesichts der geringen finanziellen Leistungsfähigkeit von Gefangenen ist der Streitwert in Strafvollzugssachen in der Regel niedrig festzusetzen.

2. Bei der Anfechtung eines Vollzugsplans erscheint die Festsetzung eines Streitwerts in Höhe von 1.500 EUR angemessen.

(Leitsatz des Verfassers)

KG, Beschl. v. 22.2.20222 Ws 101/21 Vollz

I. Sachverhalt

Der Verurteilte verbüßt derzeit eine Gesamtfreiheitsstrafe. Als Endstrafzeitpunkt ist der 6.8.2022 notiert. Anschließend ist die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vornotiert.

Antrag auf Vollzugsplanaufhebung

Mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung beantragte der Verurteilte, eine Vollzugsplanfortschreibung aufzuheben, soweit ihm darin Lockerungen versagt wurden. Zugleich stellte er einen Antrag auf Beiordnung von Rechtsanwältin B. als Verteidigerin, dem das LG stattgegeben hat. Den Hauptsacheantrag des Verurteilten hat die Strafvollstreckungskammer als unbegründet zurückgewiesen. Auf die Rechtsbeschwerde des Gefangenen hat das KG diese Entscheidung wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.

Zweites Verfahren mit Antrag auf Vollzugsplanaufhebung

Die Strafvollstreckungskammer des LG hat dann dieses Verfahren – welches führt – durch Beschluss mit einem gleichfalls bei ihm anhängigen Verfahren verbunden. In jenem Verfahren begehrte der Gefangene die Aufhebung einer (anderen) Vollzugsplanfortschreibung, soweit ihm damit ebenfalls jegliche Lockerung und jedwede Ausführung wegen Fluchtgefahr versagt worden waren. Die Strafvollstreckungskammer hat sodann beide Verfahren in der Hauptsache zugunsten des Gefangenen entschieden. Die Kosten der verbundenen Verfahren – einschließlich der Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens – hat das LG der Landeskasse auferlegt. Den Streitwert hat die Strafvollstreckungskammer für jedes Verfahren auf je 200 EUR, insgesamt mithin auf 400 EUR, festgesetzt.

Abhilfe durch das LG

Gegen diese Streitwertfestsetzung richtet sich die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten, welche eine Festsetzung des Streitwertes auf insgesamt 8.000 EUR erstrebt. Die Strafvollstreckungskammer hat der Beschwerde teilweise abgeholfen und den Streitwert in Abänderung ihres Beschlusses auf insgesamt 1.500 EUR festgesetzt.

II. Entscheidung

Zulässigkeit der Streitwertbeschwerde

Das Rechtsmittel sei – so das KG – als „isolierte“ Streitwertbeschwerde gemäß § 68 Abs. 1 S. 1 i.V.m. §§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 8, 63 Abs. 2 GKG statthaft (vgl. KG NStE Nr. 2 zu § 48a GKG; Beschl. v. 12.9.2008 – 2 Ws 455/08 Vollz; v. 14.2.2014 – 2 Ws 27/14 Vollz; OLG Hamm NStZ 1989, 495; Beschl. v. 18. 5.2004 – 1 Vollz (Ws) 75/04) und rechtzeitig erhoben (§§ 68 Abs. 1 S. 3 Hs. 1, 63 Abs. 3 S. 2 GKG). Die Verfahrensbevollmächtigte sei aus eigenem Recht zur Einlegung des Rechtsmittels befugt, da sie durch die Streitwertfestsetzung beschwert sei (vgl. KG a.a.O.).

Das Rechtsmittel erreiche offensichtlich den nach § 68 Abs. 1 S. 1 GKG erforderlichen Beschwerdewert von 200 EUR. Dies obwohl sich der Wert nicht aus dem Unterschied zwischen dem angefochtenen und dem mit der Beschwerde erstrebten Streitwert, sondern aus dem Unterschiedsbetrag der Gesamtvergütung, die sich jeweils nach diesen beiden Streitwerten errechnet, ergibt (vgl. KG, Beschl. v. 12.9.2008 – 2 Ws 455/08 Vollz). Bei einem Streitwert von 8.000 EUR fiele allein eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG, § 13 Abs. 1 RVG in Höhe von 652,60 EUR an (vgl. Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Aufl., Anhang II: 5. Rechtsanwaltsgebühren nach § 13 Abs. 1 RVG). Schon die Differenz zwischen dieser Gebühr und der sich nach dem ursprünglich festgesetzten Streitwert von 400 EUR errechnenden Verfahrensgebühr von 63,70 EUR übersteige mithin den Beschwerdewert um ein Vielfaches.

Festsetzung des Streitwerts

Die Beschwerde sei jedoch – soweit ihr nicht bereits durch das LG abgeholfen wurde – unbegründet. Der Streitwert sei gemäß § 52 Abs. 1 i.V.m. mit § 60 GKG nach der sich aus dem Antrag des Gefangenen für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Dabei seien die Tragweite der Entscheidung und die Auswirkungen eines Erfolges des Antrags für den Gefangenen zu berücksichtigen (vgl. KG NStZ-RR 2002, 62). Der in § 52 Abs. 2 GKG genannte Betrag von 5.000 EUR habe hier außer Betracht zu bleiben; denn er sei kein Ausgangswert, an den sich die Festsetzung nach Abs. 1 anzulehnen hätte, sondern als subsidiärer Ausnahmewert nur dann einschlägig, wenn der Sach- und Streitstand – anders als hier – keine genügenden Anhaltspunkte biete, um den Streitwert nach der Grundregel des § 52 Abs. 1 GKG zu bestimmen (vgl. KG NStZ-RR 2002, 62; NStE Nr. 2 zu § 48a GKG; Beschl. v. 12.9.2008 – 2 Ws 455/08 Vollz; OLG Hamm NStZ 1989, 495; Beschl. v. 18.5.2004 – 1 Vollz (Ws) 75/04). Angesichts der geringen finanziellen Leistungsfähigkeit der meisten Gefangenen sei der Streitwert in Strafvollzugssachen eher niedrig festzusetzen, da die Bemessung des Streitwerts aus rechtsstaatlichen Gründen nicht dazu führen dürfe, dass die Anrufung des Gerichts für den Betroffenen mit einem unzumutbar hohen Kostenrisiko verbunden sei (vgl. KG NStZ-RR 2002, 62; OLG Hamm, Beschl. v. 18.5.2004 – 1 Vollz (Ws) 75/04; OLG Nürnberg ZfStrVo 1986, 61; Arloth/Krä, StVollzG, 5. Aufl., § 121 Rn 1; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 11. Aufl., § 121 Rn 1). Andererseits sei darauf zu achten, dass die gesetzlichen Gebühren hoch genug sein müssen, um die Tätigkeit des Verteidigers wirtschaftlich vertretbar erscheinen zu lassen und dem Gefangenen so die Inanspruchnahme anwaltlichen Beistandes zu ermöglichen.

Streitwert jetzt angemessen festgesetzt

Nach allem sei die ursprünglich von der Strafvollstreckungskammer vorgenommene Streitwertfestsetzung unangemessen niedrig gewesen. Wie das LG in seiner Abhilfeentscheidung unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Senats zutreffend ausführe, habe der Vollzugsplan die Funktion, dem Gefangenen und den Vollzugsbediensteten als Orientierungsrahmen für den (weiteren) Ablauf des Vollzuges und die Ausgestaltung der einzelnen Behandlungsmaßnahmen zu dienen (vgl. u.a. KG StraFo 2006, 171); er sei daher für die Erreichung des Vollzugsziels, aber auch für die Schaffung der Voraussetzungen für eine vorzeitige Entlassung aus der Strafhaft von zentraler Bedeutung. Für den Gefangenen erschließe sich die hervorgehobene Bedeutung der Angelegenheit daraus, dass er Lockerungen begehre, die letztendlich seiner Wiedereingliederung in die Gesellschaft dienen sollen (vgl. KG, Beschl. v. 14.4.2010 – 2 Ws 8/10 Vollz). Angesichts der zum Zeitpunkt des Antrags auf gerichtliche Entscheidung vor dem Gefangenen liegenden Dauer der Haft von noch rund zwei Jahren halte auch der Senat die Festsetzung des Streitwerts auf 1.500 EUR je Antrag, also insgesamt 3.000 EUR, für angemessen.

III. Bedeutung für die Praxis

Entspricht der h.M.

Die vorliegende Entscheidung des KG entspricht den Grundsätzen der Rechtsprechung der OLG zur Streitwertbemessung in den Strafvollzugsfällen (vgl. dazu Burhoff/Volpert/ Volpert, RVG, Teil A Rn 2348 m.w.N. und Beispielsfällen bei Rn 2352). Über die Höhe der Festsetzung des Streitwertes auf jeweils 1.500 EUR kann man streiten. Die Festsetzung des KG ist sicherlich nicht zu hoch, wenn man berücksichtigt, dass das OLG Hamm vor einiger Zeit für Verfahren über den Vollzugs-/Behandlungsplan im Maßregelvollzug den Gegenstandswert auf 4.000 EUR festgesetzt hat (OLG Hamm, Beschl. v. 6.10.2016 – 1 Vollz (W) 281/16), das OLG Rostock hingegen nur auf 2.000 EUR (JurBüro 2017, 532). Andererseits ist das OLG Celle (AGS 2010, 234) für Lockerungen in Form von unbegleiteten Tagesausgängen nur von 400 EUR ausgegangen.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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