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Strafklageverbrauch bei Strafbefehl ohne Geldstrafe

Wird in einem erlassenen und rechtskräftig gewordenen Strafbefehl neben Maßregeln nach §§ 69, 69a StGB versehentlich keine Geldstrafe festgesetzt, steht der Grundsatz „ne bis in idem“ (Art. 103 Abs. 3 GG) dem Erlass eines neuen, um die Geldstrafe ergänzten Strafbefehls entgegen.

(Leitsatz des Verfassers)

LG Karlsruhe , Beschl. v. 25.7.202216 Qs 55/22

I. Sachverhalt

Geldstrafe im Strafbefehl vergessen

Auf Antrag der StA hat das AG gegen den Angeschuldigten einen als rechtskräftig vermerkten Strafbefehl wegen Trunkenheit im Verkehr erlassen. Dabei blieb unbemerkt, dass als Rechtsfolge lediglich die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Anordnung einer Sperrfrist aufgeführt war, obwohl die StA auch eine Geldstrafe festgesetzt haben wollte. Im Vollstreckungsverfahren wurde der Fehler bemerkt. Die StA hat die Feststellung beantragt, dass der (alte) Strafbefehl unwirksam ist und ein (neuer), um die Geldstrafe ergänzter Strafbefehl erlassen werden soll. Das A hat diese Anträge abgelehnt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der StA hat das LG als unbegründet verworfen.

II. Entscheidung

Grundlagen

Dem Erlass des beantragten Strafbefehls stehe ein von Amts wegen zu beachtender Strafklageverbrauch i.S.v. Art. 103 Abs. 3 GG entgegen (ne bis in idem). Der ursprüngliche Strafbefehl sei wirksam und nach Ablauf der Einspruchsfrist in Rechtskraft erwachsen. Der Tatbestand des Art. 103 Abs. 3 GG sei auch für das Strafbefehlsverfahren maßgeblich (BVerfGE 65, 377 = NJW 1984, 604). Der Gesetzgeber habe in § 410 Abs. 3 StPO ausdrücklich normiert, dass Strafbefehle nach Ablauf der Einspruchsfrist rechtskräftigen Urteilen gleichstehen. Der weitere beantragte Strafbefehl beziehe sich auf dieselbe Tat, auf die sich der ursprüngliche Strafbefehl bezogen hatte. Der Angeschuldigte sei bereits wegen derselben Tat strafrechtlich verfolgt worden. Zwar sei die im ursprünglich erlassenen Strafbefehl verhängte Rechtsfolge der entzogenen Fahrerlaubnis nach § 69 StGB nebst Sperre für eine erneute Erteilung nach § 69a StGB keine Strafe im Sinne einer missbilligenden hoheitlichen Reaktion auf ein schuldhaftes Verhalten. Es handele sich um eine Maßregel der Besserung und Sicherung sowie eine Nebenmaßnahme hierzu (BGHSt 50, 93 = NJW 2005, 1957). Hierdurch verhängte Rechtsfolgen hätten präventiven Charakter. Art. 103 Abs. 3 GG erfasse indes nicht nur eine erneute Bestrafung im engeren Sinne wegen derselben Tat, sondern jede erneute Verfolgung derselben Tat; bereits die erneute Einleitung eines Strafverfahrens sei ausgeschlossen. Entscheidend sei, ob durch die Entscheidung ein Mindestmaß an sachlicher Klärung hinsichtlich des staatlichen Strafanspruchs durch das Gericht erfolgt ist (BVerfGE a.a.O.). Auch wenn der ursprüngliche Strafbefehl eine Rechtsfolge ohne Strafe im engeren Sinne enthält, sei die wiederholte Verfolgung in einem Strafverfahren vom Schutzbereich des Art. 103 Abs. 3 GG erfasst. Vorliegend habe das Strafverfahren durch den ursprünglichen Strafbefehl mit einer Maßregel der Besserung und Sicherung geendet, der jetzt eine Strafe folgen soll.

Abzugrenzende Fallgruppen

Auch handele es sich vorliegend nicht um die Fallgruppe unwirksamer Strafbefehle wegen einer versehentlich überhaupt nicht festgesetzten Rechtsfolge (für die Unwirksamkeit OLG Düsseldorf wistra 1984, 200; dagegen auch dort mit bejahtem Strafklageverbrauch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 409 Rn 7). § 407 Abs. 1 S. 3 StPO verlange lediglich, dass der Strafbefehl „eine bestimmte Rechtsfolge“ vorsehe. § 407 Abs. 2 StPO sehe vor, dass die zulässigen Rechtsfolgen „allein oder nebeneinander“ festzusetzen sind. Der Wortlaut zu den zulässigen Rechtsfolgen sehe somit bereits vor, dass ein Strafbefehl „allein“ eine Entziehung der Fahrerlaubnis mit einer Sperre von nicht mehr als zwei Jahren festsetzt (Nr. 2). Auch § 409 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 StPO verlange in einem Strafbefehl nur die „Festsetzung der Rechtsfolgen“, nicht jedoch, dass die Rechtsfolgen auch Strafen im engeren Sinne sein müssen und ansonsten der Strafbefehl unwirksam wäre. Selbst das alleinige Absehen von Strafe in § 407 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StPO lasse sich durchaus als Rechtsfolge qualifizieren. In der Folge wäre der Strafbefehl selbst ohne jede weitere Rechtsfolge wirksam (in diesem Sinne BayObLG NJW 1966, 947; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 409 Rn 7). Auch handele es sich angesichts der Möglichkeit des Absehens von Strafe auch nicht um die Fallgruppe einer originär unzulässigen Rechtsfolge, bei welcher nach teilweiser Ansicht der Strafbefehl ebenfalls als unwirksam anzusehen ist (KK-StPO/Maur, StPO § 409 Rn 25). Ebenso handele es sich nicht um die Fallgruppe einer erkennbar unvollständig verhängten Rechtsfolge. Dies sei etwa der Fall, wenn ein Gericht nicht sowohl die Zahl der Tagessätze als auch deren Höhe nach § 40 StGB festgesetzt hat (BGHSt 30, 93 = NJW 1981, 2071). Weiterhin erfasst von dieser Fallgruppe sei etwa die Entziehung der Fahrerlaubnis ohne Bestimmung der Sperrfrist oder ein Fahrverbot ohne Bestimmung seiner Dauer. Selbst in diesen Fällen objektiver Unrichtigkeiten gehe man indes von einer grundsätzlich fehlenden Vollstreckbarkeit aus.

Einschlägige Fallkonstellation

Vorliegend handele es sich um die besondere Fallgruppe einer versehentlich nicht wie beabsichtigt festgesetzten und doch zulässigen Rechtsfolge. In diesen Fällen sei der Angeschuldigte bereits strafrechtlich verfolgt worden. Denn ein Strafbefehl, der wie hier nur die Entziehung der Fahrerlaubnis nebst Sperre anordnet, sei wirksam und der Rechtskraft fähig (ebenso LG Erfurt, Beschl. v. 27.4.2020 – 7 Qs 106/20 Rn 2). § 409 StPO gebe den Strafverfolgungsbehörden und dem jeweiligen Amtsgericht inhaltliche Anforderungen an einen Strafbefehl vor. Die Norm adressiere gerade nicht den Angeschuldigten, der auf den Strafbefehl selbst keinen Einfluss hat. Es würde die Verantwortungsbereiche verkehren, wenn etwaige Verstöße gegen § 409 StPO durch StA und Gericht gerade dazu führen, dass diese den Beschuldigten weiterhin wegen desselben Delikts verfolgen könnten. Zuletzt verbliebe auch eine erhebliche Rechtsuntersicherheit, wenn die Rechtskraft jedes Strafbefehls allein davon abhinge, welche Rechtsfolge die Staatsanwaltschaft subjektiv beabsichtigt hatte. Die objektiv tatsächlich ersichtliche und durch das AG beschlossene Rechtsfolge muss maßgeblich sein.

Vertrauensschutz

Es seien auch keine Gesichtspunkte ersichtlich, die es als verfahrensfehlerhaft erscheinen lassen könnten, dem Angeschuldigten den Vertrauensschutz zuzugestehen. Vorliegend komme eine grundsätzlich denkbare verfassungsimmanente Einschränkung des Art. 103 Abs. 3 GG nicht in Betracht. Es sei bereits zweifelhaft, ob die hier nicht einschlägigen gesetzgeberischen Wiederaufnahmeregeln für Strafverfahren in §§ 373a Abs. 1, 362, 359 StPO die verfassungsimmanenten Schranken von Art. 103 Abs. 3 GG nicht bereits abschließend regeln. Bei der in Frage stehenden tat- und schuldangemessenen Strafe von 35 Tagessätzen für ein Massendelikt handele es sich jedenfalls im Verhältnis zum Absehen von einer Strafe nicht um extreme Konflikte mit der materiellen Gerechtigkeit mit einem schlechthin unerträglichen Ergebnis (BVerfG NJW 1985, 125). Ein solcher Mangel liege hier zudem nicht offen zutage. Selbst wenn im Strafbefehlsverfahren ein Strafklageverbrauch nur für die Fälle eines schützenswerten Vertrauens anzunehmen wäre, sei der Erlass des weiteren beantragten Strafbefehls ausgeschlossen. Zunächst sei der ursprüngliche Strafbefehl nicht offensichtlich unrichtig. Es seien auch darüber hinaus keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass der Angeschuldigte bei Erhalt des ursprünglichen Strafbefehls gewusst hätte, dass dieser nicht alle von der Staatsanwaltschaft beabsichtigten Rechtsfolgen enthält. Dem Vertrauensschutz des Angeschuldigten stehe nicht entgegen, dass jedenfalls die separate Rechtsmittelbelehrung auf eine zu zahlende Geldstrafe verwiesen hat. Es wäre aus Sicht des hier maßgeblichen verständigen Rechtslaien als Leser nicht untypisch, wenn separate Hinweisblätter vorsorglich auch Informationen verhängen, die im konkreten Fall nicht von Bedeutung sind.

III. Bedeutung für die Praxis

Nachvollziehbar

Der Erlass von Strafbefehlen gehört zum Massengeschäft des Strafrichters beim AG, bei dem Fehler wie hier nicht passieren sollen, aber durchaus können. Der Klassiker ist dabei sowie beim Erlass eines Strafbefehls nach Eröffnung des Hauptverfahrens nach § 408a StPO der versehentlich unterlassene oder unvollständige Bewährungsbeschluss bei einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr. Nachträglicher Erlass oder Änderung ist dann nicht zulässig, es bleibt bei den gesetzlichen Mindestvoraussetzungen der §§ 56 ff. StGB (OLG Hamm NStZ-RR 2022, 126). Hier war (versehentlich) im Strafbefehl keine Geldstrafe aufgeführt worden, sondern lediglich Maßregeln nach §§ 69, 69a StGB. Das LG begründet hier nachvollziehbar, dass in einem solchen Fall der Grundsatz ne bis in idem dem erneuten Erlass eines Strafbefehls mit Geldstrafe entgegensteht. Hierfür spricht die Möglichkeit des Absehens von Strafe im Strafbefehl (§ 407 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 StPO). Ergänzend ist auch an Fälle zu denken, bei denen nach einem Verkehrsdelikt bei nachgewiesener Schuldunfähigkeit ohne § 323a StGB oder actio libera in causa der Strafbefehl lediglich auf die schuldunabhängigen Rechtsfolgen der §§ 69, 69a StPO lautet.

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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