Beitrag

Tätigkeiten des Nebenklägervertreters im Adhäsionsverfahren

1. Die Gebühr Nr. 4143 VV RVG entsteht nicht nur, wenn ein Adhäsionsverfahren im eigentlichen Sinne anhängig ist. Sie entsteht auch, wenn vermögensrechtliche Ansprüche im Strafverfahren lediglich miterledigt werden.

2. Abgegolten werden auch die Tätigkeiten, die der Rechtsanwalt im Hinblick auf das Adhäsionsverfahren im Hauptverhandlungstermin und zu dessen Vorbereitung erbringt. Es kommt aber nicht darauf an, dass der Rechtsanwalt gegenüber dem Gericht tätig wird.

3. Zur Auslegung einer Kostenentscheidung betreffend die „notwendigen Auslagen der Nebenklägerin“.

(Leitsätze des Verfassers)

OLG Hamm, Beschl. v. 7.3.20221 Ws 579/21

I. Sachverhalt

Verhandlungen über Schadensersatz

Gegen den ehemaligen Angeklagten war ein Verfahren wegen eines Vergewaltigungsvorwurfs anhängig. In dem Verfahren ist die Geschädigte gemäß §§ 395 Abs. 1 Nr. 1, 396 StPO als Nebenklägerin zugelassen und ihr gleichzeitig die für sie bereits im Ermittlungsverfahren tätige Rechtsanwältin als Beistand nach § 397a Abs. 1 Nr. 1 StPO bestellt worden. Im ersten Hauptverhandlungstermin kam es zu einem Rechtsgespräch (§ 257c StPO), in dem die Vorsitzende der Strafkammer die Zahlung einer Schadenskompensation thematisierte. Nachdem der Verteidiger mitgeteilt hatte, er könne sich eine solche in Höhe eines Betrages von ca. 15.000 EUR vorstellen, wies die Kammervorsitzende auf die Möglichkeit einer (ratenweisen) Zahlung der Schadenskompensation im Rahmen einer Bewährungsauflage hin. Darauf erklärte die Nebenklagevertreterin u.a., sie müsse insbesondere mit ihrer Mandantin besprechen, ob der Betrag in Höhe von 15.000 EUR für diese in Betracht komme.

Bewährungsauflage

Der ehemalige Angeklagte ist dann wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Nach der im Urteil getroffenen Kosten- und Auslagenentscheidung hat der Verurteilte „die Kosten des Verfahrens, einschließlich der notwendigen Auslagen der Nebenklägerin“, zu tragen. Gemäß Ziffer 4. des von der Strafkammer am selben Tage gefassten und verkündeten Bewährungsbeschlusses wurde dem Verurteilten auferlegt, „zur Schadenswiedergutmachung und Zahlung auf ein der Geschädigten aufgrund der abgeurteilten Tat zustehendes Schmerzensgeld an die Geschädigte einen Betrag von 17.500 EUR zu zahlen“.

Festsetzung der Nr. 4142 VV RVG

In den durch Kostenfestsetzungsbeschluss des LG festgesetzten Kosten, die von dem Verurteilten an die Nebenklägerin zu erstatten waren, war auch eine 2,0-Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV RVG in Höhe von 1.372,00 EUR enthalten. Zur Begründung wurde insoweit ausgeführt, die Gebühr sei entstanden, zumal die nach Ziff. 4 des Bewährungsbeschlusses getroffene Zahlungsauflage einen vermögensrechtlichen Anspruch der Geschädigten betreffe, der im Strafverfahren miterledigt worden sei. Gegen die Festsetzung der 2,0-Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV RVG hat der Verurteilte sofortige Beschwerde eingelegt. Er ist der Ansicht, die Gebühr sei nicht entstanden, wobei er u.a. eine Parallele zu dem Gebührentatbestand nach Nr. 4141 VV RVG zieht, der eine abschließende Aufzählung enthalte. Das LG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem OLG vorgelegt. Der Vertreter der Staatskasse beim OLG ist der Ansicht, die 2,0-Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV RVG sei zwar entstanden, aber nicht erstattungsfähig. Das Rechtsmittel hatte beim OLG keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV RVG – Grundsätze

Nach Auffassung des OLG, das sich insoweit auf die Zuschrift des Vertreters der Staatskasse bezieht, ist die Gebühr Nr. 4143 VV RVG entstanden. Da die Nebenklägerin ihre Anwältin im Jahr 2020 und damit noch vor Inkrafttreten des KostRÄG 2021 beauftragt habe, sei gemäß § 60 Abs. 1 RVG das RVG in der Fassung bis Ende 2020 anzuwenden.

Die Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV RVG a.F. entstehe für das erstinstanzliche Verfahren über vermögensrechtliche Ansprüche des Verletzten oder seines Erben. Die Gebühr entstehe für jeden Rechtsanwalt, der mit der Geltendmachung von vermögensrechtlichen Ansprüchen beauftragt werde, auch für den Nebenklägervertreter, wenn er neben der Vertretung in dem Nebenklageverfahren von dem Verletzten noch mit der Geltendmachung von vermögensrechtlichen Ansprüchen beauftragt werde. Erforderlich sei immer, dass der Rechtsanwalt ausdrücklich auch für die Geltendmachung von vermögensrechtlichen Ansprüchen beauftragt werde. Die Gebühr entstehe aber nicht nur, wenn ein Adhäsionsverfahren im eigentlichen Sinne anhängig sei. Sie entstehe auch, wenn vermögensrechtliche Ansprüche im Strafverfahren lediglich miterledigt werden.

Als Verfahrensgebühr verdiene der Rechtsanwalt die Gebühr für das „Betreiben des Geschäfts“ (vgl. Vorb. 4 Abs. 2 VV RVG). Abgegolten würden auch die Tätigkeiten, die der Rechtsanwalt im Hinblick auf das Adhäsionsverfahren im Hauptverhandlungstermin und zu dessen Vorbereitung erbringe. Es komme aber nicht darauf an, dass der Rechtsanwalt gegenüber dem Gericht tätig wird (Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG. 25. Aufl. 2021, VV 4143 Rn 6 ff.; BeckOK-RVG/Knaudt, 54. Ed. 1.12.2021, RVG VV 4143 Rn 5); es müsse also auch kein förmlicher Adhäsionsantrag gestellt sein (BeckOK-RVG/Knaudt, 54. Ed. 1.12.2021, RVG VV 4143 Rn 5; Toussaint/Felix, KostG, 51. Aufl. 2021, RVG VV 4143 Rn 17).

Die als Verfahrensgebühr ausgestaltete Wertgebühr entsteht für jeden mit der Geltendmachung von vermögensrechtlichen Ansprüchen im Strafverfahren beauftragten Rechtsanwalt mit dem Betreiben des Geschäfts. Dies könnten neben der Beschaffung der Information durch das Gespräch mit dem Mandanten und die Beratung des Mandanten auch Tätigkeiten bei der Frage der Schadenswiedergutmachung als Bewährungsauflage sein (BeckOK-RVG/Knaudt, 54. Ed. 1.12.2021, RVG VV 4143 Rn 3, 4). Es genüge, wenn der Rechtsanwalt im Vorfeld eines beabsichtigten Adhäsionsantrags Informationen einhole oder wenn er in der Hauptverhandlung einen Vergleich abschließe, auch ohne dass zuvor ein förmlicher Antrag nach § 404 Abs. 1 StPO gestellt worden sei (Riedel/Sußbauer/Kremer, RVG, 10. Aufl. 2015, RVG VV 4143 Rn 9). Zu den Tätigkeiten könne die Prüfung der Anspruchshöhe, die Beratung des Mandanten oder auch die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen gehören (Toussaint/Felix, a.a.O.; RVG VV 4143 Rn 16). Die Gebühr verbleibe dem Rechtsanwalt auch, wenn das Gericht von einer Entscheidung über den vermögensrechtlichen Anspruch absieht, weil sich der vermögensrechtliche Anspruch für eine Entscheidung im Strafverfahren nicht eigne (Riedel/Sußbauer/Kremer, a.a.O., RVG VV 4143 Rn 10).

Konkreter Fall

Nach diesen Maßstäben sei – so das OLG – die Gebühr Nr. 4143 VV RVG jedenfalls im Rahmen des geführten Rechtsgesprächs mit der Aufnahme der Informationen hinsichtlich der Schadenskompensation bzw. des Schmerzensgeldes entstanden. Denn die Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV RVG a.F. entstehe – wie hier – im Falle der Beauftragung mit der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche im Strafverfahren bereits mit der ersten (darauf gerichteten) Tätigkeit des Rechtsanwalts (vgl. OLG Jena AGS 2009, 587 m. Anm. N. Schneider = RVGreport 2010, 106 = StRR 2010, 114 = NJW 2010, 455 = RVGprofessionell 2010, 4). Da die Gebühr bereits durch das Betreiben des Geschäfts entstehe, sei die verbindliche Erledigung von vermögensrechtlichen Ansprüchen, insbesondere durch einen gerichtlichen Vergleich oder einen Vertrag auch dann, wenn – wie hier – kein förmlicher Adhäsionsantrag gestellt werde, nicht erforderlich (a.A. LG Hanau, Beschl. v. 2.9.2014 – 3 Qs 68/14, wonach „ein formloses Thematisieren etwaiger zivilrechtlicher Ansprüche ohne verbindliche Erledigung selbiger ohne das Vorliegen eines Adhäsionsantrages nicht zum Entstehen der Gebühr führen kann“).

Kosten- und Auslagenentscheidung

Die somit entstandene 2,0-Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV RVG a.F. war nach Auffassung des OLG auch von der gerichtlich getroffenen Kosten- und Auslagenentscheidung umfasst und damit auch erstattungsfähig. Soweit der Vertreter der Staatskasse davon ausgehe, dass die getroffene Kosten- und Auslagenentscheidung ausschließlich die Kosten und notwendigen Auslagen der Nebenklage umfasse, nicht aber die verfahrensgegenständliche im Rahmen der Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche entstandene Gebühr, da die Strafkammer zum einen insbesondere in Ermangelung eines entsprechenden separaten Antrags der Nebenklagevertreterin keinen Anlass gehabt habe, über diese Verfahrensgebühr zu entscheiden und zum anderen sonst diese notwendigen Auslagen (nicht „der Nebenklägerin“, sondern „der Anspruchsinhaberin“) dem Angeklagten auferlegt worden seien, folgt das OLG dem nicht.

Zum einen habe es für die Strafkammer im Zeitpunkt der Entscheidung über die Kosten und Auslagen angesichts des Engagements der Nebenklagevertreterin in dem Rechtsgespräch ohne Zweifel auf der Hand gelegen, dass die Nebenklagevertreterin auch mit der Geltendmachung vermögensrechtlicher Ansprüche der Geschädigte/Nebenklägerin beauftragt gewesen sei. Damit sei für die Strafkammer klar gewesen, dass – unabhängig von einem (separaten) ausdrücklichen Antrag der Nebenklagevertreterin – (auch) über die insoweit entstandenen Kosten und notwendigen Auslagen der Geschädigten/Nebenklägerin in ihrer Funktion als „Anspruchsinhaberin“ zu befinden gewesen sei. Dafür spreche zudem, dass die Strafkammer im Verlauf des Kostenfestsetzungsverfahrens auf Antrag der Nebenklagevertreterin durch Beschluss einen Gegenstandswert für die geltend gemachte 2,0-Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV RVG a.F. festgesetzt habe. Dessen hätte es aber gar nicht bedurft, wenn die Strafkammer die Gebühr als nicht von ihrem bereits getroffenen Kosten- und Auslagenausspruch umfasst und damit als (ohnehin) nicht erstattungsfähig angesehen hätte. Jedenfalls in der vorliegenden Konstellation sei die entstandene 2,0-Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 W RVG a.F. somit von der Kosten- und Auslagenentscheidung der Strafkammer umfasst, auch wenn eine ausdrückliche Tenorierung insoweit wünschenswert gewesen wäre.

III. Bedeutung für die Praxis

Entspricht der h.M.

1. Die Entscheidung ist zutreffend und entspricht der h.M. in Rechtsprechung und Literatur. Auf die wird, um Wiederholungen zu vermeiden, verwiesen (s. auch noch die Kommentierung der Nr. 4143 VV RVG bei Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021).

Auslagenentscheidung

2. Zutreffend ist es auch, wenn das OLG davon ausgeht, dass die Kostengrundentscheidung der Strafkammer zugunsten der Nebenklägerin auch die Erstattung der Nr. 4143 VV RVG umfasst. Das hatte der Vertreter der Staatskasse zugunsten des ehemaligen Angeklagten anders gesehen. Allerdings führt die Bemerkung des OLG – „auch wenn eine ausdrückliche Tenorierung insoweit wünschenswert gewesen wäre“ – zu dem Hinweis für Nebenklägervertreter in vergleichbaren Konstellationen, darauf zu drängen, dass in die gerichtliche Kostenentscheidung ausdrücklich aufgenommen wird, dass diese auch die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin betreffend die Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche umfasst. Das dürfte sich m.E. zwar schon aus dem Wortlaut des § 472a Abs. 1 StPO ergeben. Die ausdrückliche Erwähnung vermeidet aber unnötige Diskussionen über die Reichweite der Kostengrundentscheidung.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…