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Einsatz des Vermögens beim Verwandtenunterhalt, konkret: Verwertung einer Immobilie

1. Zur Bestimmung der Leistungsfähigkeit eines Unterhaltspflichtigen unter Berücksichtigung vorhandenen Vermögens.

2. Anders als beim Ehegattenunterhalt hängt der Einsatz von Vermögen beim Verwandtenunterhalt nicht von einer Billigkeitsabwägung ab. Einschränkungen der Obliegenheit zum Einsatz des Vermögensstammes ergeben sich aber daraus, dass nach dem Gesetz auf sonstige Verpflichtungen des Unterhaltsschuldners zu berücksichtigen sind.

3. Der Eigentümer einer nicht selbstgenutzten Immobilie kann der Verpflichtung zur Verwertung der Immobilie für den Unterhalt minderjähriger Kinder gemäß § 1603 Abs. 1 und Abs. 2 BGB Nutzungsrechte eines Dritten an der Immobilie entgegenhalten, auch wenn diese nicht durch eine Eintragung im Grundbuch dinglich gesichert sind.

4. Zu den Voraussetzungen einer unterhaltsrechtlichen Pflicht zur darlehensweisen Beleihung der Immobilie.

OLG Stuttgart, Beschl. v. 27.6.202318 UF 96/22

I. Der Fall

Der Antragsteller macht Unterhaltsleistungen gegen die Antragsgegnerin aus übergegangenem Recht gemäß § 7 Unterhaltsvorschussgesetz i.V.m. §§ 1601 ff. BGB geltend. Er hat im streitgegenständlichen Unterhaltszeitraum vom 1.1.2017 bis 31.5.2020 für die Kinder der Antragsgegnerin B. Unterhaltsleistungen in Höhe von insgesamt 7.334,00 EUR, P. Unterhaltsleistungen in Höhe von insgesamt 8.456,00 EUR, J. Unterhaltsleistungen in Höhe von insgesamt 8.456,00 EUR und F. Unterhaltsleistungen in Höhe von insgesamt 10.611,00 EUR nach dem Unterhaltsvorschussgesetz erbracht.

Die Antragsgegnerin hatte im streitgegenständlichen Unterhaltszeitraum Einkommen aus einer vollschichtigen nichtselbstständigen Erwerbstätigkeit. Die Wochenarbeitszeit betrug 42 Stunden. Die Fahrtstrecke vom Wohnort der Antragsgegnerin in … zu ihrer Arbeitsstelle in … betrug ca. 25 km. Die Fahrtzeit zur Arbeitsstelle mit dem eigenen Pkw belief sich einfach auf ca. 40 Minuten. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln hätte die Fahrtzeit ausweislich der vom Senat mit Google Maps durchgeführten Recherche ca. 1 Stunde 45 Minuten inklusive eines Fußwegs von 30 Minuten betragen. Die Antragsgegnerin erbrachte monatliche Zahlungen auf einen laufenden Pkw-Kredit in Höhe von monatlich 100,00 EUR und laufende Zahlungen an eine Inkassogesellschaft betreffend eine frühere Pkw-Finanzierung in Höhe von monatlich 100,00 EUR. Auf für den Antragsteller titulierte Unterhaltsrückstände bezahlte die Antragsgegnerin monatlich 100,00 EUR. Im Jahr 2018 betrieb die Antragsgegnerin zusätzliche Altersvorsorge in Höhe von monatlich 14,38 EUR und im Jahr 2019 in Höhe von monatlich 57,50 EUR. Im Jahr 2018 erhielt die Antragsgegnerin eine Steuererstattung in Höhe von 132,87 EUR (monatlich 11,07 EUR), im Jahr 2019 in Höhe von 104,00 EUR (monatlich 8,66 EUR) und im Jahr 2020 in Höhe von 95,75 EUR (monatlich 7,98 EUR). Das durchschnittliche monatliche Nettoeinkommen der Antragsgegnerin betrug unstreitig im Jahr 2017 1.359,30 EUR, im Jahr 2018 1.397,01 EUR, im Jahr 2019 1.431,78 EUR und im Zeitraum Januar bis einschließlich Mai 2020 1.488,37 EUR.

Die Antragsgegnerin ist zusammen mit ihrer Schwester … zur Hälfte Miteigentümerin des Grundstücks … in …. Am 11.1.2013 erteilte das Amtsgericht … der Antragsgegnerin und ihrer Schwester einen gemeinschaftlichen Erbschein zu je 1/2 des Nachlasses der am 17.8.2012 in … verstorbenen Mutter der Antragsgegnerin, die vormals Alleineigentümerin des Grundstücks … in … war. Dem Erbschein lag das ausweislich des Vermerks des Amtsgerichts auf dem Testament (Bl. 154 der erstinstanzlichen Akte) am 18.9.2012 eröffnete Testament der Eltern der Antragsgegnerin zugrunde, in dem die verstorbene Mutter der Antragsgegnerin und ihr Vater, der bis zum heutigen Tage das auf dem Grundstück … in … befindliche Haus mietfrei bewohnt, u.a. verfügten, dass „bei Ableben eines Ehepartners der Verbleibende voll über die Hinterlassenschaften verfügt und dass nach dem Tod des anderen Ehepartners die beiden Töchter, …, geborene …, und …, zu gleichen Teilen erben“.

II. Die Entscheidung

Das OLG Stuttgart hält die Beschwerde für zulässig als auch begründet. In den Entscheidungsgründen für das Gericht folgendes aus:

Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand

Mit Beschl. v. 7.11.2022 wurde der Antragsgegnerin gegen die Versäumung der Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand bewilligt. Die Antragsgegnerin hatte nach Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren mit Beschl. v. 17.10.2022 mit Schriftsatz vom 19.10.2022, eingegangen beim Amtsgericht … am 21.10.2022, Beschwerde erhoben und diese zugleich begründet.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist auch begründet und führt zur Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung und Zurückweisung des Antrags des Antragstellers. Anders als das erstinstanzliche Gericht es angenommen hat, ist der Senat der Auffassung, dass die Antragsgegnerin nicht verpflichtet ist, den Stamm ihres Vermögens in Form des hälftigen Miteigentums an der Gebäude- und Freifläche, … in …, zu verwerten.

Zahlung von Verwandtenunterhalt

1. Ein Unterhaltsanspruch gemäß § 1601 BGB besteht nur dann, wenn der Unterhaltsberechtigte bedürftig und der Unterhaltspflichtige leistungsfähig ist, und zwar nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur während der gleichen Zeit. Das war in der hier relevanten Zeit auf Seiten der dem Grunde nach unterhaltspflichtigen Antragsgegnerin auch im Hinblick auf verwertbares Vermögen nicht der Fall.

Die Verpflichtung zur Zahlung von Verwandtenunterhalt findet nach § 1603 Abs. 3 BGB dort ihre Grenze, wo der Unterhaltspflichtige bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außer Stande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt des Berechtigten zu gewähren. § 1603 Abs. 1 BGB gewährt damit jedem Unterhaltspflichtigen vorrangig die Sicherung seines eigenen angemessenen Unterhalts; ihm sollen grundsätzlich die Mittel verbleiben, die er zur angemessenen Deckung des seiner Lebensstellung entsprechenden allgemeinen Bedarfs benötigt. In welcher Höhe dieser Bedarf des Verpflichteten zu bemessen ist, obliegt der tatrichterlichen Beurteilung des Einzelfalls.

Einsatz des Vermögensstamms

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ein Unterhaltspflichtiger zwar grundsätzlich auch den Stamm seines Vermögens zur Bestreitung des Unterhalts einsetzen. Eine allgemeine Billigkeitsgrenze, wie sie § 1577 Abs. 3 BGB und § 1581 S. 2 BGB für den nachehelichen Ehegattenunterhalt vorsehen, enthält das Gesetz im Bereich des Verwandtenunterhalts nicht. Deshalb ist auch hinsichtlich des einsetzbaren Vermögens allein auf § 1603 Abs. 1 BGB abzustellen, wonach nicht unterhaltspflichtig ist, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außer Stande ist, ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Hierzu außer Stande ist jedoch nicht, wer über verwertbares Vermögen verfügt. Einschränkungen der Obliegenheit zum Einsatz des Vermögensstammes ergeben sich aber daraus, dass nach dem Gesetz auch die sonstigen Verpflichtungen des Unterhaltsschuldners zu berücksichtigen sind und er seinen eigenen angemessenen Unterhalt nicht zu gefährden braucht. Daraus folgt, dass eine Verwertung des Vermögensstammes nicht verlangt werden kann, wenn sie den Unterhaltsschuldner von fortlaufenden Einkünften abschneiden würde, die er zur Erfüllung weiterer Unterhaltsansprüche oder anderer berücksichtigungswürdiger Verbindlichkeiten oder zur Bestreitung seines eigenen Unterhalts benötigt. Auch die Verwertung eines angemessenen selbst genutzten Immobilienbesitzes kann regelmäßig nicht gefordert werden. Allgemein braucht der Unterhaltsschuldner den Stamm seines Vermögens auch dann nicht zu verwerten, wenn dies für ihn mit einem wirtschaftlich nicht mehr vertretbaren Nachteil verbunden wäre; denn auch das wäre mit der nach dem Gesetz gebotenen Berücksichtigung der ansonsten zu erfüllenden Verbindlichkeiten nicht zu vereinbaren und müsste letztlich den eigenen angemessenen Unterhaltsbedarf des Verpflichteten in Mitleidenschaft ziehen.

2. Die Antragsgegnerin war aus ihren laufenden Einkünften aus nichtselbstständiger Tätigkeit im streitgegenständlichen Zeitraum für den Kindesunterhalt der Kinder B., P., J. und F., für die der Antragsteller UVG Leistungen erbracht hat, nicht leistungsfähig. Die diesbezüglichen zutreffenden Feststellungen und rechtlichen Bewertungen des Amtsgerichts hat der Antragsteller im Beschwerdeverfahren nicht angegriffen.

Nacherbfolge

3. Die Antragsgegnerin war aber auch nicht im Hinblick auf das im Grundbuch für sie eingetragene hälftige Miteigentum an dem Grundstück … in … leistungsfähig.

Der Senat hat vorliegend bereits Zweifel daran, ob die Antragsgegnerin tatsächlich nach dem Tod ihrer Mutter (Mit-)Erbin des streitgegenständlichen Grundstücks in … in … geworden ist. Nach dem Testament der Eltern der Antragsgegnerin vom 13.3.1989 sollte bei Ableben eines Ehepartners der Verbleibende voll über die Hinterlassenschaften verfügen. Erst nach dem Tod des anderen Ehepartners sollten die beiden Töchter, die Antragsgegnerin und ihre Schwester …, zu gleichen Teilen erben. Das Testament lag ausweislich des am 18.12.2012 auf dem Testament angebrachten Vermerks des Amtsgerichts auch dem der Antragsgegnerin und ihrer Schwester erteilten Erbschein zugrunde. Diese testamentarische Verfügung ist aber, anders als die Rechtspflegerin des Amtsgerichts … angenommen hat, als Anordnung einer Nacherbfolge zu verstehen (§ 2100 ff. BGB), was eine Unrichtigkeit des am 11.1.2013 erteilten Erbscheins und der darauf beruhenden Eintragung der Antragsgegnerin und ihrer Schwester im Grundbuch als Miteigentümerinnen des streitgegenständlichen Grundstücks nach sich zieht. Der Antragsteller verkennt, dass dem Erbschein keine konstitutive Wirkung zukommt und er keine Aussage über die im Rahmen von § 1603 Abs. 1 BGB maßgebliche materielle Rechtslage trifft (vgl. §§ 2353, 2365 f. BGB). Dass der Vater den Erbschein und die Eintragung der Töchter ins Grundbuch bislang hingenommen hat, hat im Außenverhältnis die vom Antragsteller in seinem Vorbringen im Beschwerdeverfahren zutreffend beschriebenen Folgen, nämlich dass ein lastenfreier gutgläubiger Erwerb des Grundstücks durch einen Dritten möglich wäre. Dies spielt vorliegend aber keine Rolle. Bei der Frage, ob der Antragsgegnerin ein unterhaltsrechtlich relevanter Vorwurf wegen unterlassener Vermögensverwertung zu machen ist, solange die Antragsgegnerin aus ihrem Miteigentum keine Nutzungen zieht oder es verwertet, allein die materielle Rechtslage ausschlaggebend. Der Anspruch des Vaters der Antragsgegnerin auf Berichtigung des Grundbuchs ist im Übrigen unverjährbar, § 898 BGB.

Nießbrauch

Jedenfalls folgt aus dem Testament der Eltern der Antragsgegnerin, dass der Vater der Antragsgegnerin zu seinen Lebzeiten über den Grundbesitz verfügen soll, so wie es nach dem Tod der Mutter der Antragsgegnerin von den Beteiligten auch praktiziert wurde. Daraus folgt jedenfalls ein schuldrechtlicher Anspruch des Vaters der Antragsgegnerin auf Einräumung eines Nießbrauchs oder jedenfalls eines Wohnungsrechts im Wege des Vermächtnisses, § 1939 BGB (Weidlich, in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 1939 Rn 5). Dies ist eine zu berücksichtigende Verpflichtung der Antragsgegnerin im Sinne von § 1603 Abs. 1 BGB. Solange der Vater der Antragsgegnerin Nießbraucher/Wohnungsberechtigter des Grundeigentums ist, ist das Grundstück am Markt praktisch nicht veräußerbar. Im Hinblick auf das geringe Einkommen der Antragsgegnerin kommt auch eine darlehensweise Beleihung des Grundstücks nicht in Betracht, da die Antragsgegnerin nicht in der Lage wäre, aus ihren laufenden geringen Einkünften das Darlehen zu bedienen. Mit dem Beschwerdevorbringen behauptete Ansprüche der Antragsgegnerin gegen den Bruder der verstorbenen Mutter sind nicht schlüssig dargelegt. Die Antragsgegnerin hat unwidersprochen vorgetragen, dass sich die Mutter der Antragsgegnerin mit dem Bruder nach der Errichtung des Testaments am 13.3.1989 über die Auseinandersetzung des Grundstücks geeinigt hatte und Ansprüche der Mutter der Antragsgegnerin gegen ihren Bruder mit dieser Einigung erledigt wurden.

III. Der Praxistipp

Die Frage nach dem Einsatz von Vermögen des Unterhaltsschuldners zur Befriedigung der Unterhaltsansprüche stellt sich zwar für den Praktiker immer wieder, spielt jedoch in der familiengerichtlichen Praxis regelmäßig kaum eine Rolle, obwohl nach ständiger Rechtsprechung des BGH ein Unterhaltspflichtiger grundsätzlich auch den Stamm seines Vermögens zur Bestreitung des Unterhalts einsetzen muss.

Allerdings kann eine Verwertung des Vermögensstammes nicht verlangt werden, wenn sie den Unterhaltsschuldner von fortlaufenden Einkünften abschneiden würde, die er zur Erfüllung weiterer Unterhaltsansprüche oder anderer berücksichtigungswürdiger Verbindlichkeiten oder zur Bestreitung seines eigenen Unterhalts benötigt. Konsequenterweise kann die Verwertung eines angemessenen selbst genutzten Immobilienbesitzes regelmäßig nicht gefordert werden. Bekanntermaßen muss der Unterhaltsschuldner den Stamm seines Vermögens auch dann nicht verwerten, wenn dies für ihn mit einem wirtschaftlich nicht mehr vertretbaren Nachteil verbunden wäre.

Daraus ergibt sich, dass die Anforderungen, welche das Gesetz und die höchstrichterliche Rechtsprechung an die Verwertung des Vermögensstammes stellen, ohnehin recht hoch sind. Relevant ist dies insbesondere auch im Rahmen des Auskunftsanspruchs gemäß § 1605 BGB, da insoweit auch Auskunft über den Bestand des Vermögens zu einem bestimmten Stichtag gefordert werden kann. Die Erfüllung dieser Auskunft über das Vermögen ist regelmäßig umfangreich und dem Mandanten, der Unterhalt schließlich aus seinen laufenden Einkünften bezahlt, schwer vermittelbar. Immer wieder kann die Verpflichtung zur Auskunftserteilung bezüglich des Vermögens mit der Argumentation, dass eine Verwertung des Vermögensstammes ohnehin nicht besteht, vermieden werden.

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