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BAG: Kündigungsschutz für die GmbH-Geschäftsführer in einem Arbeitsverhältnis

1. Geschäftsführer und Gesellschaft können als Grundlage für die Organstellung ausdrücklich einen Arbeitsvertrag vereinbaren. Für die rechtliche Einordnung kommt es dann nicht auf die tatsächliche Vertragsdurchführung an.

2. Ob auf dieses Arbeitsverhältnis Kündigungsschutz Anwendung findet, hängt davon ab, ob im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung die Organstellung noch bestanden hat.

3. Das Arbeitsverhältnis eines Geschäftsführers kann gemäß § 613a BGB auf einen Betriebserwerber übergehen.

[Redaktionelle Leitsätze]

BAG, Urt. v. 20.7.20236 AZR 228/22

I. Der Fall

„Beförderung“ zum Geschäftsführer

Der Kläger war zunächst als Arbeitnehmer für die P-GmbH tätig. 2013 wurde er zum Geschäftsführer bestellt. Ein Geschäftsführerdienstvertrag wurde nicht geschlossen. 2017 vereinbarten die Parteien mit einer „Änderung zum Arbeitsvertrag“, die mit der Alleingesellschafterin der P-GmbH geschlossen wurde, neue Arbeitszeitregelungen.

Kündigung und Abberufung

Im Oktober 2019 wurde über das Vermögen der P-GmbH das vorläufige Insolvenzverfahren eröffnet. Der Geschäftsbetrieb wurde zunächst weitergeführt. Am 15.1.2020 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt. Dieser kündigte noch am selben Tag das Arbeitsverhältnis des Klägers sowie ein etwaiges Geschäftsführeranstellungsverhältnis. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am Vormittag des 16.1.2020 zu. Am Nachmittag desselben Tages erklärte der Kläger, dass er sein Amt als Geschäftsführer mit sofortiger Wirkung niederlege. Nach der Behauptung des Klägers fand am 28.1.2020 ein Betriebsübergang auf ein Unternehmen der A-Unternehmensgruppe statt (Beklagte zu 2.).

Verfahrensgang

Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage gegen den Insolvenzverwalter als Beklagten zu 1.) und berief sich auf den Übergang seines Arbeitsverhältnisses gemäß § 613a BGB auf die Beklagte zu 2). Das ArbG Rheine gab der Klage insgesamt statt (Urt. v. 22.3.2021 – 2 Ca 132/20). Auf die Berufung der beiden Beklagten hat das LAG Hamm die Klage vollständig abgewiesen (Urt. v. 25.3.2022 – 16 Sa 522/21).

II. Die Entscheidung

Revision war erfolgreich

Das BAG gab der Berufung statt und verwies die Angelegenheit zurück an das LAG Hamm.

kein Kündigungsschutz

Das BAG ging zunächst davon aus, dass der Kläger über keinen Kündigungsschutz verfüge. Nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG seien die Vorschriften des ersten Abschnittes des Kündigungsschutzgesetzes nicht auf Organvertreter, also z.B. Geschäftsführer, anwendbar. Die Vorschrift enthalte insofern eine negative Fiktion. Im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung sei der Kläger jedenfalls noch Geschäftsführer gewesen. Die (grundsätzlich jederzeit mögliche) Amtsniederlegung sei einige Stunden nach Zugang der Kündigung und damit zu spät erfolgt.

Arbeitsvertrag, kein Dienstvertrag

Im Übrigen sei das Anstellungsverhältnis der Parteien jedoch als Arbeitsverhältnis zu bewerten. Die Bestellung zum Geschäftsführer für sich genommen begründe keine schuldrechtliche Beziehung der Parteien. Dies folge aus dem Trennungsprinzip (§ 38 Abs. 1 GmbHG). Für die Annahme, die Parteien hätten zusätzlich zum Arbeitsvertrag einen Dienstvertrag schließen wollen, bedürfe es weiterer Anhaltspunkte, die vorliegend nicht bestünden. Die einige Zeit nach der Bestellung zum Geschäftsführer erfolgte „Änderung zum Arbeitsvertrag“ habe lediglich dazu gedient, den bestehenden Arbeitsvertrag anzupassen. Hieraus sei nicht zu schließen, dass die Parteien zusätzlich zum Arbeitsvertrag einen Dienstvertrag haben schließen wollen. Dem stehe auch nicht entgegen, dass ein GmbH-Geschäftsführer regelmäßig auf Grundlage eines Dienstvertrages tätig werde. Zwar sei bei einem Geschäftsführer grundsätzlich nur in extremen Ausnahmefällen von einem Arbeitnehmerstatus auszugehen. Wenn die Parteien jedoch ausdrücklich ein Arbeitsverhältnis vereinbaren, sei das Rechtsverhältnis regelmäßig als solches einzuordnen. Auf die tatsächliche Durchführung komme es dann nicht an.

Betriebsübergang des Geschäftsführers

Das LAG Hamm habe jedoch rechtsfehlerhaft angenommen, dass § 613 BGB auf den Kläger keine Anwendung finde. Die Annahme des LAG Hamm, § 613a BGB sei auf Geschäftsführer, die auf Grundlage eines Arbeitsvertrages tätig werden, nicht anzuwenden, da diese Vorschrift teleologisch zu reduzieren sei, halte einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Nach dem klaren Wortlaut des § 613a BGB erstrecke sich sein Schutzbereich auf Arbeitsverhältnisse und damit auf alle Arbeitnehmer. Konkrete Umstände, die auf eine unbeabsichtigte Lücke dahingehend schließen ließen, dass einzelne Kategorien von Beschäftigten aus dem Anwendungsbereich der Norm herausgenommen werden sollten, seien nicht feststellbar. Die Anwendung dieser Vorschrift auf GmbH-Geschäftsführer, die auf Grundlage eines Arbeitsvertrages tätig würden, würde auch nicht zu zweckwidrigen Ergebnissen führen. Rechtsfolge eines Betriebsübergangs wäre, dass die Rechte und Pflichten des Arbeitsverhältnisses übergingen. Die Organstellung selbst gehe im Fall des Betriebsübergangs nicht über. Auch die Geltung des Kündigungsverbots gemäß § 613a Abs. 4 BGB führe zu keiner unangemessenen kündigungsschutzrechtlichen Begünstigung des Geschäftsführers. Die von der Betriebsübergangsrichtlinie vorgegebene Vorschrift schließe eine Lücke im nationalen Kündigungsschutz. Hieraus folge keine zu missbilligende Besserstellung des Klägers.

Zurückverweisung an das LAG

Ob der Kläger sich erfolgreich auf einen Verstoß gegen das Kündigungsverbot des § 613 Abs. 4 BGB stützen könne, stehe noch nicht fest. Das LAG Hamm müsse Feststellungen hierzu nachholen.

III. Der Praxistipp

Geschäftsführer auf arbeitsvertraglicher Grundlage

Der vorstehende Fall betrifft eine häufige Konstellation. Ein Arbeitnehmer wird im Laufe des Arbeitsverhältnisses zum Geschäftsführer „befördert“, ohne dass ein Geschäftsführer-Anstellungsvertrag geschlossen wird. Vielmehr wird der Arbeitsvertrag – ggf. mit Änderungen und Ergänzungen – schlicht weitergeführt. Wenn nicht konkludent ein Geschäftsführer-Anstellungsvertrag geschlossen wurde, was zu einer Verdoppelung der Rechtsverhältnisse führen würde (aktiver Geschäftsführer- Anstellungsvertrag und ruhendes Arbeitsverhältnis), ist dann davon auszugehen, dass der Geschäftsführer als Arbeitnehmer zu gelten hat.

Geltung von Arbeitsrecht

Dies hat zwar zur Folge, dass grundsätzlich sämtliche arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften auf den Geschäftsführer Anwendung finden. Dies gilt jedoch namentlich nicht für den Kündigungsschutz, von dem der Geschäftsführer gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG ausgenommen wird, sowie den Rechtsweg. § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG enthält diesbezüglich ebenfalls negative Fiktionen, sodass der Arbeitnehmer- Geschäftsführer auf den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten verwiesen wird. Für beide negativen Fiktionen gilt, dass es allein darauf ankommt, ob im maßgeblichen Zeitpunkt (Zugang der Kündigung bzw. Erhebung der Klage) die Organstellung noch fortbesteht. Dies kann, wie der vorliegende Fall zeigt, zu einem regelrechtlichen „Wettlauf“ führen.

Geltung des § 613a BGB

Dass auf den Arbeitnehmer-Geschäftsführer die Vorschrift des § 613a BGB Anwendung findet und damit aufgrund des Kündigungsverbots des § 613a BGB „wegen des Betriebsübergangs“ ein gewisser Bestandsschutz vermittelt wird, ist nur konsequent.

Praxishinweis

Aus Praktikersicht ist zu raten, frühzeitig für klare Verhältnisse zu sorgen und im Falle der Bestellung eines Arbeitnehmers zum Geschäftsführer einen ausdrücklichen Geschäftsführer-Anstellungsvertrag zu schließen und das bestehende Arbeitsverhältnis entweder aufzuheben oder ruhendzustellen.

Ulrich Kortmann, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln

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