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LAG Rheinland-Pfalz: Ablehnung eines Abfindungsangebots durch Annahme unter Vorbehalt

1. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, einen Sozialplan aufzustellen, wenn an seinem Zustandekommen ein im Betrieb gewählter Betriebsrat nicht mitwirkt. Haben die Arbeitnehmer keinen Betriebsrat gewählt, besteht kein Anspruch auf eine Abfindung, wenn sie wegen einer Betriebsstilllegung ihren Arbeitsplatz verlieren.

2. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung nach den §§ 9, 10, 13 KSchG setzt die Sozialwidrigkeit einer ordentlichen Kündigung oder bei tariflichem Sonderkündigungsschutz die Rechtsunwirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung voraus.

3. Nach § 1a KSchG kann ein tarifvertraglich ordentlich unkündbarer Arbeitnehmer bei einer betriebsbedingten außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist eine Abfindung beanspruchen, wenn ihm der Arbeitgeber kündigt und gleichzeitig darauf hinweist, dass die Kündigung betriebsbedingt erfolgt und der Arbeitnehmer bei Verstreichenlassen der Klagefrist nach § 4 KSchG eine Abfindung in gesetzlich festgelegter Höhe (0,5 Monatsverdienste) beanspruchen kann. Der Arbeitnehmer erhält damit die Wahlmöglichkeit, entweder das Risiko einer erfolglosen Kündigungsschutzklage einzugehen und gegebenenfalls ohne Abfindung auszugehen oder auf die Klage zu verzichten und die Abfindung, allerdings „nur“ in gesetzlich festgelegter Höhe, in Anspruch zu nehmen.

4. Ein Vertrag kommt gemäß § 145 BGB durch Angebot und Annahme des Angebots zustande. Unterbreitet der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ein Angebot in Form einer Abwicklungsvereinbarung und nimmt der Arbeitnehmer dieses Angebot nicht so an, wie es ihm gemacht wurde, bedeutet dies rechtlich, dass er das Vertragsangebot des Arbeitnehmers abgelehnt hat. Das ursprünglich vom Arbeitgeber gemachte Angebot ist damit erledigt. Aus § 150 Abs. 2 BGB ergibt sich, dass eine wirksame Annahme nur dann vorliegt, wenn sie dem Angebot entspricht, also mit diesem deckungsgleich ist. Jede Annahme unter inhaltlichen Erweiterungen, Einschränkungen oder sonstigen Änderungen gilt dagegen als Ablehnung verbunden mit einem neuen Antrag. Ob eine Abweichung vorliegt oder nicht, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln (§ 133, 157 BGB) und beurteilt sich aus der Perspektive des Empfängerhorizonts, also aus Sicht des Arbeitgebers.

5. Lehnt ein Arbeitnehmer das an alle Arbeitnehmer gemachte Angebot des Arbeitgebers auf Abschluss eines (Änderungs-)Vertrags ab, scheidet eine Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes aus, weil die sich aus der Weigerung nunmehr ergebende Gruppenbildung hinsichtlich der in den Verträgen vorgesehenen Leistung nicht auf einer vom Arbeitgeber selbst aufgestellten Regel beruht.

[Orientierungssätze des Gerichts]

LAG Rheinland Pfalz, Urt. v. 19.1.20235 Sa 135/22

I. Der Fall

Einstellung des Geschäftsbetriebs durch die Beklagte

Der Kläger war seit September 1989 bei der Beklagten als Kraftfahrer zu einem monatlichen Bruttolohn von 3.285,– EUR beschäftigt. Die Beklagte beschäftigte rund 140 Arbeitnehmer. Ein Betriebsrat existierte nicht. Im Januar 2021 traf die Beklagte die Entscheidung ihren gesamten Geschäftsbetrieb zum 31.8.2021 einzustellen. Daraufhin kündigte sie allen Arbeitnehmern und somit auch den tariflich unkündbaren Kläger außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zum 31.8.2021.

Unterbreitung eines Angebots auf Abschluss eines Abwicklungsvertrages

Die Beklagte unterbreitete allen Arbeitnehmern ein Angebot auf Abschluss eines Abwicklungsvertrages. Dieser sah u.a. vor, dass an die Arbeitnehmer, die das Angebot annehmen, eine Abfindung gezahlt wird. Die Höhe der Abfindung orientierte sich daran, wie lange das Arbeitsverhältnis mit den jeweiligen Arbeitnehmern fortbestehen sollte. Sollte das Arbeitsverhältnis bis zum 30.6.2021 fortbestehen so bot die Beklagte an, an die Arbeitnehmer eine maximale Abfindung von 1,0 je Beschäftigungsjahr zu zahlen.

keine vorbehaltlose Annahme des Angebots durch den Kläger

Auch der Kläger erhielt ein schriftliches Angebot auf Abschluss eines Abwicklungsvertrages. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers erwiderte auf dieses jedoch in der Art, dass er kundgab, dass der Kläger grundsätzlich an dem Abwicklungsangebot interessiert sei aber nicht „zu jedem Preis“. Zudem begehrte der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten die Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte, sowie eine Freistellungsregelung und verlangte eine genaue Berechnung der Abfindungssumme. Der Kläger erhob fristwahrend Kündigungsschutzklage. Daraufhin teilte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten dem Kläger mit, sich nicht mehr an das Angebot auf Abschluss des Abwicklungsvertrages gebunden zu fühlen. Alle übrigen Arbeitnehmer der Beklagten, bis auf den Kläger und zwei weitere Arbeitnehmer, nahmen unmittelbar das Angebot auf Abschluss des Abwicklungsvertrages an. Mit den zwei Arbeitnehmern schloss die Beklagte einen gerichtlichen Vergleich.

Verfahrensgang

Der Kläger erhob daraufhin vor dem ArbG Trier (Urt. v. 16.3.2022 – 5 Ca 138/21) Klage und beantragte u.a. die Beklagte zu verurteilen an den Kläger „wenigstens“ eine Abfindung i.H.v. 104.298,75 EUR zu zahlen. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Der Kläger erhob daraufhin Berufung. Das LAG Rheinland-Pfalz (Urt. v. 19.1.2023 – 5 Sa 135/22) wies jedoch auch die Berufung des Klägers zurück.

II. Die Entscheidung

Berufung hat keinen Erfolg

Auch das LAG Rheinland-Pfalz wies den geltend gemachten Anspruch des Klägers ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung. Ein solcher Anspruch ergäbe sich weder aus § 112 BetrVG, noch aus §§ 9, 10, 13 KSchG oder § 1a KSchG analog und auch nicht aus einer etwaigen vertraglichen Abrede oder dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.

kein Anspruch auf Abfindung nach § 112 BetrVG

Ein Anspruch nach § 112 BetrVG scheide aus, da bei der Beklagten kein Betriebsrat gegründet worden sei. Nur dann sei jedoch nach § 112 BetrVG der Arbeitgeber verpflichtet einen Sozialplan aufzustellen.

kein Anspruch auf Abfindung nach §§ 9, 10, 13 KSchG

Ein Anspruch nach §§ 9, 10, 13 KSchG scheide aus, da die Kündigung des Klägers nicht sozialwidrig, sondern wirksam sei. Die §§ 9, 10, 13 KSchG gewähren jedoch nur einen Anspruch auf eine Abfindung, wenn sich die Kündigung als sozialwidrig herausstellen würde.

kein Anspruch auf Abfindung gem. § 1a KSchG analog

Nach § 1a KSchG analog kann ein tarifvertraglich ordentlich unkündbarer Arbeitnehmer bei einer betriebsbedingten Kündigung mit sozialer Auslauffrist eine Abfindung beanspruchen, wenn der Arbeitgeber eine betriebsbedingte Kündigung ausspricht und im Kündigungsschreiben auf die betriebsbedingten Gründe hinweist und darüber hinaus auch darauf hinweist, dass der Kläger bei Verstreichenlassen der Klagefrist eine Abfindung beanspruchen kann. Vorliegend enthielt das Kündigungsschreiben vom 20.1.2021 kein solches Angebot. Erst mit gesondertem Schreiben vom 28.1.2021 wurde dem Kläger ein Abfindungsangebot unterbreitet, sodass auch ein Anspruch auf Zahlung einer Abfindung gem. § 1a KSchG analog ausscheide.

kein Anspruch aufgrund vertraglicher Abrede

Auch einen vertraglichen Anspruch verneinte das Landesarbeitsgericht. Der Kläger habe das Angebot auf eine Abwicklungsvereinbarung durch das Antwortschreiben seines Prozessbevollmächtigten abgelehnt. Denn nach den allgemeinen Regeln des § 150 Abs. 2 BGB gilt eine Annahme unter Erweiterung, Einschränkung oder sonstiger Änderung als Ablehnung verbunden mit einem neuen Angebot. Das Gericht stelle dabei fest, dass im Wege der Auslegung nach §§ 133, 157 BGB, d.h. entsprechend des Empfängerhorizontes, zu prüfen ist, ob eine Abweichung vom Angebot vorliegt oder nicht. Indem der Prozessbevollmächtigte des Klägers ausführte, dass der Kläger zwar grundsätzlich an einer Abwicklungsvereinbarung interessiert sei, aber nicht „um jeden Preis“ und indem der Prozessbevollmächtigte u.a. begehrte, dass die Abmahnung aus der Personalakte entfernt werden, sowie eine genaue Berechnung der Abfindung erfolgen solle, habe der Prozessbevollmächtigte deutlich gemacht, dass der Kläger das Angebot der Beklagten in der Form nicht annehmen werde. Daher war die Beklagte nach Ablehnung an das Angebot auch nicht mehr gebunden. Eine Treuwidrigkeit ergäbe sich hieraus nicht, da diese Konsequenz den normalen vertraglichen Regeln entspreche.

kein Anspruch aus arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz

Auch ein Anspruch aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz scheide aus, denn dieser verlangt nur, dass ein Arbeitgeber eine Gruppe von Arbeitnehmern mit einer anderen Gruppe, die sich in gleicher oder vergleichbarer Lage befinden, gleichbehandelt. D.h. unzulässig ist eine willkürliche Schlechterstellung von einzelnen Arbeitnehmern oder eine sachfremde Gruppenbildung des Arbeitgebers. Verstößt der Arbeitgeber gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf die vorenthaltene Leistung. Der Gleichbehandlungsgrundsatz findet jedoch keine Anwendung, wenn sich eine Gruppenbildung nicht durch ein eigenes gestaltendes Verhalten des Arbeitgebers ergibt. Die Weigerung das Angebot anzunehmen, beruhte auf einer eigenen, autonomen Entscheidung des Klägers und unabhängig vom Willen der Beklagten. Diese hat sich an den Gleichbehandlungsgrundsatz gehalten und allen Arbeitnehmern ein Angebot auf Abschluss eines Abwicklungsvertrages unterbreitet. Eine Ungleichbehandlung ist auch nicht darin zu sehen, dass die Beklagte gegenüber den Arbeitnehmern, die das Angebot angenommen haben, eine Abfindung ausgezahlt hat. Denn die Beklagte hat hierdurch lediglich die Ansprüche aus dem Abwicklungsvertrag erfüllt.

III. Der Praxistipp

sorgsame Verhandlungen geboten

Das Urteil des LAG Rheinland-Pfalz zeigt, dass bei der Verhandlung von Abfindungen aus Arbeitnehmersicht Vorsicht geboten ist. Dies gilt insbesondere in Betrieben, bei denen kein Betriebsrat gewählt ist.

Grenzen des Nachverhandelns

Zugleich zeigt es, dass Arbeitgeber an ein ursprüngliches Abfindungsangebot nicht mehr gebunden sind, wenn der Arbeitnehmer oder sein Bevollmächtigter in der Art nachverhandelt, dass im Rahmen der Nachverhandlungen wesentliche Erweiterungen, Einschränkungen oder sonstige Änderungen vorgenommen werden, so dass dies nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen als Ablehnung verbunden mit einem neuen Angebot ausgelegt werden muss.

Sophie Esser, Rechtsanwältin, Köln, esser@michelspmks.de

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