Der ordnungsgemäße Auslieferungsbeleg mit der Unterschrift eines Postbediensteten erbringt den Beweis des ersten Anscheins für den Zugang des Schreibens zum Zeitpunkt der üblichen Postzustellzeiten.
[Amtlicher Leitsatz]
Die Klägerin war mit Arbeitsvertrag vom 1.4.2021 als Zahnärztin bei dem Beklagten beschäftigt. Der Vertrag sah eine Kündigungsfrist von drei Monaten zum Ende eines Quartals vor.
Mit Schreiben vom 28.9.2021 kündigte der Beklagte das zwischen den Parteien bestehende Beschäftigungsverhältnis mit Wirkung zum 31.12.2021. Das Schreiben wurde per „Einwurfeinschreiben“ versandt. Der Beklagte hatte zum Nachweis für die Einlieferung und den Einwurf des Schreibens den Einlieferungsbeleg vom 29.9.2021 sowie die Reproduktion des ordnungsgemäß unterzeichneten Auslieferungsbeleges, der den Einwurf in den Briefkasten der Klägerin am 30.9.2021 auswies, vorgelegt.
Mit ihrer am 13.10.2021 eingereichten Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass das Beschäftigungsverhältnis aufgrund der Kündigung vom 28.9.2021 nicht bereits zum 31.12.2021, sondern vielmehr zum 31.3.2022 sein Ende gefunden habe. Zur Begründung führte sie aus, sie habe sich in der Zeit vom 28.9.2021 bis 6.10.2021 in stationärer Behandlung befunden. Das Kündigungsschreiben sei ihr deshalb erst am 6.10.2023 zugegangen, sodass die Beendigung gemäß der vertraglichen Kündigungsfrist erst zum 31.3.2021 eintreten könne.
Das Arbeitsgericht in Nürnberg hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin zum Landesarbeitsgericht blieb ohne Erfolg.
Wie bereits zuvor das Arbeitsgericht stellte das Landesarbeitsgericht fest, dass die Zustellung eines Schriftstückes auch bei zeitweiser Abwesenheit des Empfängers durch Einwurf in den der Klägerin zuzuordnen Briefkasten zugestellt werden könne. Sofern das Schreiben zu den üblichen Zeiten von Postzustellungen in den Briefkasten gelange, sei der Zugang am Tag des Einwurfs des Schreibens bewirkt.
Der Beklagte hatte für den Nachweis des Zugangs des Schreibens einerseits den Einlieferungsbeleg und andererseits eine Reproduktion des Auslieferungsbeleges vorgelegt. Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urt. v. 27.9.2016 – II ZR 299/15) sowie anderer Landesarbeitsgerichte (vgl. LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 12.3.2019 – 2 Sa 139/18; LAG Schleswig-Holstein Urt. v. 18.1.2022 – 1 Sa 159/21), führt das Urteil aus, dass durch die Vorlage dieser Belege ein Anscheinsbeweis für die ordnungsgemäße Auslieferung und damit den Zugang in den Briefkasten des Empfängers bestehe.
Soweit die Klägerin in ihrer Berufungsbegründung bemängelt habe, durch den reproduzierten Zustellnachweis sei jedenfalls nicht der Beweis für den Einwurf des Schreibens zu den üblichen Postzustellzeiten geführt, könne dem nicht gefolgt werden. Vielmehr bestehe auch insoweit ein Anscheinsbeweis für den Einwurf durch den Bediensteten der Post zu den ortsüblichen Zeiten einer Postzustellung. Das ergebe sich bereits daraus, dass die Zustellung durch den Bediensteten der Post zu dessen üblichen Arbeitszeiten erfolge. Die Arbeitszeiten der Postzusteller prägten deshalb die ortsüblichen Zustellzeiten. Anhaltspunkte für einen anderen Geschehensablauf, der Zweifel an der Zustellung zu den ortsüblichen Zeiten rechtfertige, müssten von der Klägerin vorgetragen werden.
Das Landesarbeitsgericht hat die Revision gegen das Berufungsurteil zugelassen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Frage des Anscheinsbeweises für den Zugang eines Kündigungsschreibens von grundsätzlicher Bedeutung sei. Die Revision ist zwischenzeitlich bei dem Bundesarbeitsgericht (2 AZR 213/23) anhängig.
Das Landesarbeitsgericht Nürnberg folgt mit seiner Entscheidung in erfreulicher Klarheit den vorangegangenen Entscheidungen anderer Landesarbeitsgerichte zur Frage des Nachweises für den Zugang von Schriftstücken, insbesondere Kündigungen. Damit wird eine in der Praxis wichtige Frage zur „richtigen“ Zustellung beantwortet. Treten keine besonderen Umstände hinzu, ist der Nachweis des Einwurfes eines Schreibens in den Briefkasten des jeweiligen Empfängers durch die von einem Zustellunternehmen zur Verfügung gestellten Dokumente, die den Einwurf nachweisen, zu führen. Es bleibt zu hoffen, dass das Bundesarbeitsgericht die eingelegte Revision zum Anlass für eine Bestätigung dieser Rechtsprechung und damit eine endgültige Klärung der Diskussion um den Zugangsnachweis für Kündigungen nutzt.
Markus Pillok, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln
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