Beitrag

LAG Niedersachsen: Fristlose Kündigung wg. unzulässiger Privatnutzung einer Tankkarte

Die private Nutzung einer Tankkarte entgegen den Regelungen einer Dienstwagenrichtlinie kann eine außerordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung rechtfertigen.“

[Amtlicher Leitsatz]

LAG Niedersachsen, Urt. v. 29.3.20232 Sa 313/22

I. Der Fall

Streitgegenstand

Die Parteien streiten um den Bestand ihres Arbeitsverhältnisses.

Parteien

Die Beklagte ist Herstellerin von Landbohranlagen und deren Equipment. Bei ihr ist ein Betriebsrat gebildet. Der im Jahr 1973 geborene Kläger wurde von der Beklagten zum 1.1.2011 eingestellt, war als Vice President Sales im Vertrieb tätig und arbeitete aus dem Home-Office heraus. Die Beklagte stellte dem Kläger einen Dienstwagen des Typs BMW 320 d Touring (Dieselkraftstoff) mit einem Tankvolumen von 59 Litern zur Verfügung. Diesen durfte er auch privat nutzen. Dem Kläger wurden zwei Tankkarten ausgehändigt.

Der Kläger besaß darüber hinaus zwei Privatfahrzeuge des Typs Porsche 911 Cabrio (Superkraftstoff) und VW Tuareg (Dieselkraftstoff).

Dienstwagenrichtlinie

Bei der Beklagten besteht seit 2011 eine Dienstwagenrichtlinie, in welcher es u.a. heißt:

„3.1 Der Mitarbeiter verpflichtet sich, den Pkw bei Dienstreisen einzusetzen. (…)“

„3.3 Der Pkw kann vom Mitarbeiter (…) privat genutzt werden, (…)“

„4.1 Die Firma übernimmt (…) die laufenden Betriebskosten (Kraftstoff, Öl)“.

„6.3 Die Reinigung des Pkw (innen und außen) wird von der Firma getragen. (…)“

„6.5 Der Mitarbeiter ist verpflichtet, den Weisungen der Firma in Bezug auf die Nutzung einer Tankkarte und Servicekarte Folge zu leisten.“

Nutzung der Tankkarte

Nach interner Aufarbeitung der vom Kläger eingereichten Tankbelege wurde festgestellt, dass der Kläger mit den von der Beklagten ausgegebenen Tankkarten sein Privatfahrzeug „Porsche“ mit Superkraftstoff und sein Privatfahrzeug „VW“ mit Dieselkraftstoff betankte. Darüber hinaus nutzte der Kläger am 19.9.2021 die Tankkarte dafür, um eine Cabrio-Pflege im Wert von 12,99 EUR an seinem Privatfahrzeug „Porsche“ vornehmen zu lassen. Die Abrechnungen hierüber reichte er bei der Buchhaltung ein.

Die Beklagte erklärte gegenüber dem Kläger mit Schreiben vom 5.11.2021, 11.11.2021 und 7.3.2022 die fristlose Kündigung.

Verfahrensgang

Am 9.11.2021 erhob der Kläger beim Arbeitsgericht Lingen die Kündigungsschutzklage. Mit Schriftsätzen vom 15.11.2021 und 10.3.2022 erweiterte er seine Klage. Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Kündigungen seines Arbeitsverhältnisses seien unwirksam. Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Nutzung der Tankkarten seien ihm nicht vorzuwerfen.

Arbeitsgerichtliches Verfahren

Mit Teil-Urt. v. 13.4.2022 hat das Arbeitsgericht Lingen der Klage stattgegeben und festgestellt, dass die außerordentliche Kündigung vom 5.11.2021 unwirksam war und das Arbeitsverhältnis nicht beendete (ArbG Lingen, Urt. v. 13.4.2022 – 1 Ca 343/21). Hierbei führte das Arbeitsgericht Lingen aus, dass die rechtswidrige Nutzung einer vom Arbeitgeber überlassenen Tankkarte für private Zwecke an sich geeignet sei, einen wichtigen Grund für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung darzustellen. Allerdings habe es hier einer vorherigen Abmahnung bedurft, da es nicht habe ausgeschlossen werden können, dass der Kläger einem Rechtsirrtum in Bezug auf die Dienstwagenrichtlinie unterlegen sei. Die vorgegebene Dienstwagenrichtlinie verbiete die durch den Kläger vorgenommene Nutzung nicht ausdrücklich. Der Arbeitgeber habe durch den Ausspruch der fristlosen Kündigung gegen das „Ultima-Ratio-Prinzip“ verstoßen.

Berufungsverfahren

Gegen das Urteil legte die Beklagte Berufung beim LAG Niedersachsen ein. Im Wesentlichen begründet sie die Berufung damit, dass das Arbeitsgericht Lingen fehlerhaft angenommen habe, dass nicht feststellbar gewesen wäre, dass sich der Kläger bei Erhalt einer entsprechenden Abmahnung nicht an die Vorgaben der Beklagten gehalten hätte. Aus den Ausführungen des Klägers hätte das Arbeitsgericht zu dem Ergebnis kommen müssen, dass eine Abmahnung bei ihm aufgrund seines fehlenden Unrechtsbewusstseins keinen Erfolg gehabt hätte. Der Kläger habe selbst eingeräumt, dass er ohne die pflichtwidrige Nutzung der Tankkarte sein Berufs- und Privatleben nicht habe in Einklang bringen können. Ferner beschreibe die Dienstwagenrichtlinie unmissverständlich die Nutzung des Dienstwagens und damit auch der Tankkarten, sodass es dem Kläger hätte klar sein müssen, dass die Betankung der Privatfahrzeuge sowie der Verwendung der Tankkarte zur Cabrio-Pflege nicht von der Dienstwagenrichtlinie gedeckt gewesen sei. Die Tankkarte sei unmittelbar mit der Nutzung des Dienstwagens verknüpft. Ein Rechtsirrtum sei ausgeschlossen.

Der Kläger vertritt weiterhin die Ansicht, dass die Dienstwagenrichtlinie keine klaren Regelungen vorsehe. Der Kläger habe darauf vertrauen dürfen, dass er die Tankkarten korrekt nutze, da über zwölf Jahre hinweg keine seiner Abrechnungen moniert worden seien.

II. Die Entscheidung

Berufung begründet

Das Landesarbeitsgericht hat der Berufung als begründet stattgegeben; die Kündigungsschutzklage sei unbegründet (LAG Niedersachsen, 29.3.2023 – 2 Sa 313/22).

Verstoß gegen die Dienstwagenrichtlinie rechtfertigt „wichtigen Grund“

Die Kammer stellt fest, dass der Kläger die Tankkarten in 38 Fällen entgegen der Dienstwagenrichtlinie der Beklagten bzw. entgegen den Weisungen der Beklagten genutzt hat. Hierdurch schädigte der Kläger das Vermögen der Beklagten um insgesamt 2.801,04 EUR. Das Verhalten des Klägers sei gleichzusetzen mit einem Arbeitnehmer, der bei der Spesenabrechnung bewusst falsche Angaben macht oder deren Unrichtigkeit zumindest billigend in Kauf nimmt. Durch die Einreichung der Belege in der Buchhaltung habe der Kläger konkludent zum Ausdruck gebracht, dass die ihm überlassenen Tankkarten nur im Rahmen des vertraglich vereinbarten zum Einsatz gebracht worden sind. Dieses Verhalten rechtfertige einen wichtigen Grund gemäß § 626 Abs. 1 BGB.

Dienstwagenrichtlinie ist eindeutig

Die Dienstwagenrichtlinie stellt Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne von §§ 305 ff. BGB dar und beinhaltet klare Regelungen. Aus der Ziff. 6.5 i.V.m. Ziff. 3.1 der Dienstwagenrichtlinie ergibt sich, dass der Kläger die Tankkarten nur für den ihm überlassenen Dienstwagen nutzen durfte. Eine Befugnis zur Nutzung der Tankkarten zur Betankung von Privatfahrzeugen auf Kosten der Beklagten ist dem Kläger durch die Dienstwagenrichtlinie gerade nicht erlaubt worden.

vorherige Abmahnung nicht erforderlich

Aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und des für verhaltensbedingte Kündigungen geltenden Prognoseprinzips ist vor jeder Kündigung, die wegen eines steuerbaren Fehlverhaltens des Arbeitnehmers ausgesprochen wird, grundsätzlich eine Abmahnung erforderlich. Die Abmahnung kann insofern zu einem vertragsgemäßen Verhalten in der Zukunft führen, sodass eine Wiederherstellung des Vertrauens zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erwartet werden kann.

Aufgrund der Schwere der Pflichtverletzungen war vorliegend eine vorherige Abmahnung entbehrlich. Der Kläger habe gerade nicht darauf vertrauen dürfen, dass er die Tankkarte korrekt nutze, da seine Abrechnungen über zwölf Jahre hinweg nicht moniert worden sind. Die Abrechnungen wurden insbesondere nicht bei dem kündigungsberechtigten Geschäftsführer oder Personalleiter, sondern in der Buchhaltung eingereicht. Die Tankkarten wurden zu privaten Zwecken ohne einen dienstlichen Bezug eingesetzt. Dem Kläger musste bewusst sein, dass er die Tankkarten entgegen der ihm eingeräumten Befugnisse einsetzte, was sich nicht zuletzt aus dem eindeutigen Wortlaut der Dienstwagenrichtlinie ergebe. Zur Überzeugung der Kammer hat der Kläger planvoll und zielgerichtet gehandelt. Aufgrund der Häufigkeit der Nutzung können Flüchtigkeitsfehler oder einmalige Ausrutscher ausgeschlossen werden.

III. Der Praxistipp

klare Formulierungen und Kommunikation

Bei Dienstwagenrichtlinien empfiehlt es sich die Formulierungen präzise zu wählen und die konkrete Nutzung des Dienstwagens und insbesondere der Tankkarte ohne Interpretationsspielraum abschließend zu regeln. Darüber hinaus sollte auf die korrekte Nutzung des Dienstwagens und der Tankkarte, auch bei lang bestehenden Arbeitsverhältnissen, regelmäßig aufmerksam gemacht werden.

Abmahnungen entbehrlich?

Auch wenn der hiesige Fall zeigt, dass eine Abmahnung bei einem schwerwiegenden Verstoß entbehrlich ist, empfiehlt es sich bei verhaltensbedingten Kündigungen grundsätzlich zuvor Abmahnungen auszusprechen. Wenn auch dann keine Besserung des Verhaltens erfolgt und Verstöße wiederholt werden, kann eine Kündigung angezeigt sein. Denn der hiesige Fall zeigt auch, dass die Annahme eines „schwerwiegenden Verstoßes“ der rechtlichen Auslegung bedarf und in verschiedene Richtungen interpretiert werden kann.

Bella Silberstein, Rechtsanwältin, Düsseldorf, silberstein@michelspmks.de

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