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LAG Nürnberg: Benachteiligung wegen des Geschlechts: „unsere sehr kleinen, filigranen Teile sind eher etwas für flinke Frauenhände“

LAG Nürnberg, Urt. v. 13.12.20227 Sa 168/22

I. Der Fall

Streitgegenstand

Die Parteien streiten um Entschädigungsansprüche nach dem AGG nach einer erfolglosen Bewerbung des Klägers.

Bewerbung als Bestücker für Digitaldruckmaschine

Der Kläger ist gelernter Einzelhandelskaufmann und arbeitete in unterschiedlichen Positionen und Branchen. Die Beklagte produziert und vertreibt Modelle von Pkw, Lkw und öffentlichen Verkehrsmitteln. Sie schrieb bei der Bundesagentur für Arbeit die Stelle eines Bestückers mit folgendem Wortlaut aus: „Für unsere filigranen Automodelle im Maßstab 1/87 H0 suchen wir Mitarbeiter (m/w/d) für unsere Digitaldruckmaschine“. In der Stellenausschreibung wurden u.a. Fingerfertigkeit/Geschick sowie Deutschkenntnisse in Wort und Schrift gefordert.

Absage durch die Prokuristin

Der Kläger bewarb sich mit Schreiben vom 19.4.2021 auf die besagte Stelle. Am gleichen Tag erhielt er von der Gesellschafterin und Prokuristin der Beklagten per Mail eine Absage. Zur Begründung führte die Prokuristin aus: „Unsere sehr kleinen, filigranen Teile sind eher etwas für flinke Frauenhände. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass Sie für diese Stelle nicht in Frage kommen.

Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen

Mit Schreiben vom 1.6.2021 machte der Kläger Entschädigungsansprüche in Höhe von mindestens drei Monatsgehältern geltend. Am 2.6.2021 lud die Beklagte den Kläger per Mail zum Probearbeiten ein. Zu einer Probearbeit kam es aus verschiedenen Gründen nicht. Mit Mail vom 21.6.2021 teilte der Kläger mit, dass er nunmehr einen Arbeitsvertrag bei einer anderen Firma unterschrieben habe.

Verfahrensgang

Am 23.6.2021 erhob der Kläger beim Arbeitsgericht Nürnberg Klage und beantragte zuletzt die Zahlung einer angemessenen Entschädigung mindestens in Höhe von 8.000,– EUR brutto nebst Zinsen. Die Beklagte habe die Hände des Klägers im Internet auf Bildern gesehen und machte erstinstanzlich u.a. geltend, dass die Hände des Klägers für die Tätigkeit zu groß gewesen seien. Dies habe zur Absage geführt Eine Benachteiligung wegen des Geschlechtes liege nicht vor. Mit der Formulierung „flinke Frauenhände“ seien nur die für die Tätigkeit erforderliche Geschicklichkeit und Fingerfertigkeit umschrieben worden. Die Beklagte beschäftige auf vergleichbaren Stellen auch Männer. Das Arbeitsgericht verurteilte die Beklagte am 10.1.2022 zur Zahlung von 3.300,– EUR. Das Gericht wies zur Begründung darauf hin, dass eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechtes vorliege.

Gegen das Urteil legte die Beklagte Berufung ein. Im Wesentlichen begründet sie die Berufung damit, dass es bei der Formulierung „flinke Frauenhände“ für „kleine, filigrane Teile“ schlicht um die Größe der Hände gegangen sei. Für die Arbeit als Bestücker der Digitaldruckmaschinen seien kleine Hände und feingliedrige Finger maßgebliche Eigenschaften und hierfür erforderlich. Darüber hinaus rügt die Beklagte, dass der Kläger rechtsmissbräuchlich handele.

II. Die Entscheidung

Berufung nur der Höhe nach begründet

Die Berufung ist nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts nur der Höhe nach, indes nicht dem Grunde nach begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Entschädigung gem. § 15 Abs. 2 AGG.

„flinke Frauenhände“ ist unmittelbar benachteiligend

Der Kläger wurde wegen seines Geschlechts gemäß § 3 Abs. 1 AGG unmittelbar benachteiligt. Die Benachteiligung – so lautet es zur Begründung – folge hier aus der Absage mit der Begründung, dass „flinke Frauenhände“ erforderlich seien und der Kläger deswegen für die Stelle nicht in Frage komme. Aus diesem syntaktischen Zusammenhang werde ersichtlich, dass die Absage deswegen erfolge, weil der Kläger keine „flinke[n] Frauenhände“ habe. Hieran ändere auch die – erkennbar als Höflichkeitsfloskel verwendete – Abschwächung „eher etwas“ nichts. Die Formulierung indiziere, dass Frauen üblicherweise kleinere Hände als Männer haben und deshalb der Kläger als Mann für die Stelle nicht berücksichtigt werden könne. Der Einwand, dass die Absage konkret auf die großen Hände des Klägers bezogen gewesen sei, überzeuge nicht. Dies stelle insofern nur einen unbeachtlichen inneren Vorbehalt dar. Jedenfalls könne auch in diesem Fall eine mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts gesehen werden.

Darlegungs- und Beweislast liegt bei dem Arbeitgeber

Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass keine Benachteiligung wegen des Geschlechts stattgefunden habe, liegt nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts bei dem Arbeitgeber. Das Gericht nimmt an, dass bei der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast hier nicht auf § 22 AGG abgestellt werden könne. Die Beklagte konnte nicht beweisen, dass nicht gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen wurde. Dass die Absage deswegen erfolgt sei, dass die Hände des Klägers zu groß seien, überzeuge nicht. Aus der Größe der Hände ließen sich keine Fingerfertigkeiten ableiten, so das Gericht. Auch eine vorgetragene etwaige Lebenserfahrung der Prokuristin, wonach sie es zu wissen vermochte, dass eher Frauen mit kleinteiliger Arbeit besser zurechtkämen als Männer, verfange nicht. Dem Kläger sei nicht die Gelegenheit gegeben worden, mittels Probearbeit nachzuweisen, dass er zu der kleinteiligen Arbeit bei der Beklagten willens und in der Lage ist, eben weil er ein Mann war. Die Einladung zu einem Probearbeiten kam erst, nachdem der Kläger Entschädigungsansprüche geltend machte.

kein Rechtsmissbrauch durch den Kläger

Der Kläger handelte nach Ansicht des Gerichts nicht rechtsmissbräuchlich. Die Beklagte inserierte eine geschlechtsneutrale Stellenanzeige und suchte einen „Mitarbeiter (m/w/d)“. Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger sich auf die Stelle nur beworben hatte, um hierauf eine Absage zu erhalten und damit mit der Beklagten in einen Konflikt mit einem der Benachteiligungsmerkmale des § 1 AGG zu geraten.

III. Der Praxistipp

Sachlichkeit bei Absage

Ist angedacht einem Bewerber oder einer Bewerberin eine Stelle abzusagen, empfiehlt es sich, sachlich zu bleiben und insbesondere keine saloppen oder gar geschlechtsbezogenen Formulierungen zu verwenden, die bei entsprechender verständiger Auslegung geeignet sein könnten, eine geschlechtsbezogene Diskriminierung zu indizieren.

Darlegungs- und Beweislast?

Führt ein Indiz dazu, dass eine Benachteiligung nach § 1 AGG vorliegen könnte, verlagert sich nämlich gemäß § 22 AGG die Beweislast von dem Anspruchsteller auf den Anspruchsgegner, der seinerseits beweisen muss, dass „kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat“. Diese Beweislastverteilung wird im Regelfall zu Lasten des Arbeitgebers ausgehen.

Bella Silberstein, Rechtsanwältin, Düsseldorf, silberstein@michelspmks.de

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