Beitrag

Arbeitsplatzwechsel und Aufgabe überobligationsmäßiger Tätigkeit

1. Zu den Voraussetzungen eines unterhaltsbezogenen leichtfertigen Verhaltens des unterhaltsbedürftigen Ehegatten aufgrund eines Wechsels des Arbeitsplatzes im Zusammenhang mit der Trennung der Ehegatten.

2. Ein solches Verhalten liegt nicht vor, wenn die als Friseurin tätige unterhaltsbedürftige Ehefrau aus gesundheitlichen Gründen ihre Tätigkeit mit durchgehend 11-stündiger Arbeitszeit beendet und bei demselben Arbeitgeber eine wohnortnahe Arbeitsstelle aufgenommen hat.

3. Dem steht auch nicht entgegen, dass die bisherige überobligationsmäßige Tätigkeit im Zusammenhang mit der Trennung der Ehegatten beendet wurde und sich der Umfang der bisher bezogenen Trinkgelder mindert.

4. Denn aufgrund des objektiv feststehenden Umstands einer erheblichen gesundheitlichen Belastung fehlt es an dem Merkmal eines leichtfertigen Verhaltens. Ferner hat sich aufgrund des Wechsels bei demselben Arbeitgeber der arbeitsrechtliche Status nicht verändert.

5. Soweit der in der bisherigen ehelichen Wohnung verbleibende Unterhaltspflichtige mit hohen Mietkosten belastet ist, bewirken die Mehrkosten nach Ablauf der mietrechtlichen Kündigungsfrist keine Minderung des unterhaltsrechtlich relevanten Einkommens.

OLG Brandenburg, Beschl. v. 16.5.202213 UF 212/19

I. Der Fall

Die Beteiligten streiten um Trennungsunterhalt. Sie haben in 06/2010 die Ehe geschlossen und sich in 06/2018 voneinander getrennt. Die Antragstellerin ist Friseurin. Der Antragsgegner ist ebenfalls vollschichtig berufstätig. Seit 09/2018 bis 10/2019 hat er Krankengeld in Höhe von kalendertäglich in Höhe von monatsdurchschnittlich 1.865,15 EUR bezogen.

Die Antragstellerin hat behauptet, inklusive Trinkgelder von monatlich 100 EUR bzw. seit dem 1.11.2018 107 EUR über ein durchschnittliches Monatsnettoeinkommen von 1.130,71 EUR zu verfügen.

II. Die Entscheidung

Das OLG Brandenburg hält die zulässige Beschwerde für unbegründet und führt insofern aus:

Anspruch auf Trennungsunterhalt

1. Die Antragstellerin hat einen aus § 1361 BGB resultierenden Anspruch auf Trennungsunterhalt. Die Bemessung des Unterhaltsbedarfs erfolgt wegen des Maßstabs der ehelichen Lebensverhältnisse entsprechend den auch für den nachehelichen Unterhalt nach § 1578 Abs. 1 BGB geltenden Grundsätzen. Zur Bestimmung des Unterhaltsbedarfs ist vor allem auf die von den Ehegatten erzielten Einkünfte abzustellen, soweit diese die ehelichen Lebensverhältnisse geprägt haben. Die Antragstellerin ist bedürftig, weil sie während der Trennungszeit über ein wesentlich geringeres Einkommen verfügt hat als der Antragsgegner.

2. [Darstellung der – zeitlich gestaffelten – Einkünfte der Beteiligten]

Abzugsposition vom Einkommen des Antragsgegners:

Sky-Vertragsgebühr

a) Das Amtsgericht hat die Sky-Vertragsgebühr zu Recht seit dem Monat Mai 2019 nicht mehr berücksichtigt. Der Antragsgegner hat vorgetragen, der Sky-Vertrag sei auf Wunsch und Veranlassung der Antragstellerin einvernehmlich abgeschlossen worden. Dann bestand nach der Trennung kein Grund, den Vertrag über seine in 04/2019 endende Mindestlaufzeit hinaus aufrecht zu erhalten. Der Einwand, krankheitsbedingt sei er nicht in der Lage gewesen, die Verlängerung des Sky-Vertrages abzuwenden, verhilft seiner Beschwerde nicht zum Erfolg. Dass der – geschäftsfähige – Antragsgegner den Vertrag gleichwohl nicht gekündigt oder sich zu einer Vertragsverlängerung hat überreden lassen, kann er der Antragstellerin nicht entgegenhalten, zumal er keinen konkreten Krankheitsverlauf geschildert hat, der seine Verhinderung im maßgeblichen Zeitraum nachvollziehbar erkennen lassen könnte.

Kosten für Kaninchen

b) Kosten in Höhe von monatlich 120 EUR für zwei vor der Trennung gemeinsam angeschaffte, zwischenzeitlich betagte Kaninchen kann der Antragsgegner dem Unterhaltsanspruch der Antragstellerin ebenfalls nicht als berücksichtigungswürdige Verbindlichkeit entgegenhalten.

Nach § 1361 Abs. 1 S. 1 BGB bestimmt sich das Maß des eheangemessenen Unterhalts nach den „ehelichen Lebensverhältnissen“, insbesondere den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Eheleute. Die Lebensverhältnisse werden im Wesentlichen durch das in der Ehe zur Deckung des Lebensbedarfs verfügbare Einkommen der Eheleute bestimmt. Verfügbar in diesem Sinn ist nur der Teil des Einkommens, der nach Abzug von Steuern und sonstigen gesetzlichen Abzügen, berufsbedingtem Aufwand, Vorsorgeaufwendungen, berücksichtigungswürdigen Verbindlichkeiten, Aufwendungen für Vermögensbildung und Barunterhaltsleistungen für den Kindesunterhalt zur Bestreitung des Lebensbedarfs der Eheleute verwendet werden kann. Dabei ist bei der Bemessung des Trennungsunterhalts ein objektiver Maßstab anzulegen. Entscheidend ist derjenige Lebensstandard, der nach dem vorhandenen Einkommen vom Standpunkt eines vernünftigen Betrachters aus angemessen erscheint. Außer Betracht bleiben – gemessen am verfügbaren Einkommen – sowohl eine zu dürftige Lebensführung als auch ein übermäßiger Aufwand.

Bei den durch das Festhalten an den kostspieligen Tieren entstehenden Aufwendungen handelt es sich – gemessen an den eher beengten wirtschaftlichen Verhältnissen der Beteiligten – um nicht erforderlichen und deshalb unterhaltsrechtlich unbeachtlichen einseitigen Luxus.

Wohnkosten

c) Die durch den Auszug der Antragstellerin für den Antragsgegner gestiegenen Kosten der Unterkunft hat das Amtsgericht zu Recht nicht einmal für eine Übergangszeit als den Selbstbehalt erhöhend anerkannt. Voraussetzung für eine Erhöhung des Selbstbehalts infolge hoher Wohnkosten wäre die Unvermeidbarkeit der Überschreitung des im Selbstbehalt vorgesehenen Betrages von 380 EUR. Der Antragsteller hat nicht vorgetragen, dass es ihm nicht möglich gewesen sein sollte, eine günstigere Wohnung zu finden.

Nutzt der Unterhaltspflichtige die Ehewohnung weiter, kann er dem Unterhaltsberechtigten die Hälfte der diesbezüglichen Aufwendungen entgegenhalten, wenn es sich um eine „aufgedrängte“ Wohnsituation handelt, solange eine Chance auf Wiederherstellung der Ehe besteht. Denn beide Ehegatten haften für die Miete der von ihnen gemeinsam angemieteten Ehewohnung grundsätzlich gemeinsam, d.h. im Innenverhältnis jeweils zur Hälfte. Trennen sie sich und zieht ein Ehegatte aus und übernimmt der in der Wohnung verbleibende Ehegatte im Rahmen einer aus Anlass der Trennung getroffenen Vereinbarung die Wohnung alleine, haftet er nach Ablauf der mietvertraglichen Kündigungsfrist alleine für den Mietzins.

Das Einkommen der Antragstellerin:

Arbeitsplatzwechsel

Zutreffend hat das Amtsgericht auch das von der Antragstellerin nach der Trennung tatsächlich erzielte Einkommen zugrunde gelegt und nicht fiktive, am bis Ende 2017 erzielten Verdienst orientierte Einkünfte. Denn von einer durch den Arbeitsplatzwechsel unterhaltsbezogen leichtfertigen Verringerung des Einkommens durch den Arbeitsplatzwechsel ist nicht auszugehen. Unterhaltsbezogen leichtfertig handelt, wer seine Bedürftigkeit selbst schuldhaft herbeiführt. Erforderlich ist insoweit ein leichtfertiges, vom üblichen sozialen Standard abweichendes Verhalten, bei dem sich die zugrunde liegenden Vorstellungen und Antriebe auch auf die Bedürftigkeit als Folge dieses Verhaltens erstrecken müssen (sogenannte unterhaltsbezogene Leichtfertigkeit). Leichtfertig in diesem Sinn handelt, wer seine Arbeitskraft oder sein Vermögen, also die Faktoren, die ihn in die Lage versetzen, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten, auf sinnlose Art aufs Spiel setzt und einbüßt. Der Unterhaltsberechtigte muss sich unter grober Nichtachtung dessen, was jedem einleuchten muss, oder in Verantwortungslosigkeit und Rücksichtslosigkeit gegen den Unterhaltspflichtigen über die als möglich erkannten nachteiligen Folgen für seine Bedürftigkeit hinweggesetzt haben.

Diese Voraussetzungen erfüllen die Arbeitsplatzwechsel der Antragstellerin nicht. Sie hat unwidersprochen vorgetragen, sie habe die bis Ende 2017 durchgehende Leistung von 11-Stunden-Schichten aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr weiter fortsetzen können. Nach dem Umzug zu ihrer Mutter habe sie den Wechsel in eine wohnortnahe Filiale ihres Arbeitgebers vollzogen. Ausweislich der vorgelegten Entgeltabrechnungen haben sich Einkommenseinbußen lediglich hinsichtlich der Provisionen ergeben, die die Antragstellerin nach ihrem unbestrittenen Vortrag aber nur bei überobligatorischem Einsatz hat erzielen können, wenn sie nämlich das Vierfache ihres monatlichen Bruttolohnes an monatlichen Einnahmen erzielt hat.

Keine unterhaltsbezogene Leichtfertigkeit

Eine unterhaltsbezogene Leichtfertigkeit lässt sich hieraus nicht herleiten. Sie hat sich aus Gründen des Arbeitsweges und damit verringerten Aufwandes für den Wechsel in eine wohnortnähere Filiale entschieden, und nach der Trennung keine überobligatorischen Arbeitsleistungen mehr erbracht. Arbeitsvertraglich waren Einkommenseinbußen damit nicht verbunden, lediglich im Hinblick auf monatlich um etwa 50 EUR verringerte Trinkgelder. Mit der Abkehr von der auf die Dauer konkret gesundheitsbeeinträchtigenden Leistung von Überstunden hat sie weder ihre Arbeitskraft aufs Spiel gesetzt oder ist vom sozialen Standard abgewichen, noch vermag der Senat ihr Verantwortungs- oder Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Antragsgegner vorzuwerfen.

Der weitere Wechsel ihres Arbeitsplatzes mit ihrem Umzug nach Ansbach zum 1.10.2019 erfüllt ebensowenig die Kriterien der Leichtfertigkeit, zumal er ausweislich des Änderungsvertrages sogar mit einer Steigerung des Bruttogrundlohnes einhergegangen ist.

III. Der Praxistipp

Die vorliegende Entscheidung des OLG Brandenburg vom 16.5.2022 beschäftigt sich ebenfalls mit dem Themenkreis der „unterhaltsrechtlichen Leichtfertigkeit“, allerdings auf Seiten der Unterhaltsgläubigerin.

Das OLG Brandenburg definiert „leichtfertiges Handeln“ in diesem Sinne als auf sinnlose Art aufs Spiel setzen und Einbüßen seiner Arbeitskraft oder seines Vermögens, also der Faktoren, die ihn in die Lage versetzen, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten.

Ausgehend von dieser Annahme nimmt der Senat eine umfassende Betrachtung und Abwägung der erzielten Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit der Unterhaltsgläubigerin vor, rechtfertigt den Arbeitsplatzwechsel und lehnt konsequenterweise die unterhaltsbezogene Leichtfertigkeit des Handelns der Unterhaltsgläubigerin ab.

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