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Entzug der Fahrerlaubnis bei Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter

Die Regelwirkung des § 69 Abs. 2 Abs. 2 Nr. 2 StGB kann bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter widerlegt werden.

(Leitsatz des Verfassers)

LG Leipzig, Urt. v. 24.6.20229 Ns 504 Js 66330/21

I. Sachverhalt

Trunkenheitsfahrt mit E-Scooter

Der Angeklagte wurde vom AG wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt. und sah davon ab, dem Angeklagten die Fahrerlaubnis zu entziehen und gegen ihn eine Sperre für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis zu verhängen. Der Angeklagte fuhr mit einem E-Scooter, obwohl er infolge vorangegangenen Alkoholgenusses fahruntüchtig war (Blutalkoholkonzentration von 1,50 %o). Schuldspruch und Strafausspruch sind rechtskräftig. Mit ihrer erfolglosen Berufung rügt die StA die unterlassene Entziehung der Fahrerlaubnis.

II. Entscheidung

Kein Regelwirkung bei fahrerlaubnisfreien Kfz?

Der E-Scooter sei eine „Elektrokleinstfahrzeug“ im Sinne der eKFV. Eine Ausnahmeregelung, wie sie § 1 Abs. 3 StVG für das Pedelec enthält, das nicht als Kfz i.S.d. StVG gilt, gebe es für den E-Scooter nicht. Folge sei, dass der E-Scooter als Kfz i.S.d. StVG und des § 69 StGB gilt. Die Regelwirkung aus § 69 Abs. 2 StGB könne durch vom Regelfall abweichende Umstände widerlegt werden. Dies sei hier der Fall. Schon nach Sinn und Zweck des § 69 StGB sei davon auszugehen, dass dieser seinen eigentlichen (ursprünglichen) Anwendungsbereich im Bereich der führerscheinpflichtigen Kfz hat, weil nur dort wegen der nötigen Erteilung einer Fahrerlaubnis überhaupt eine Eignungsprüfung stattfindet. Bei dem E-Scooter sei dies nicht der Fall; er könne führerscheinfrei genutzt werden und sogar von Personen, die gerade das 14. Lebensjahr vollendet haben. Der E-Scooter habe auch in der öffentlichen Wahrnehmung schlicht nichts gemein mit einem führerscheinpflichtigen Kfz, auch nicht mit einem Moped. Dazu mögen Bilder beigetragen haben, die zeigten, wie der damalige Bundesverkehrsminister mit einem solchen E-Scooter durch die Flure seines Ministeriums fuhr. Niemand käme ernsthaft auf die Idee, dort mit einem E-Bike, einem Pedelec, einem Mofa oder gar einem Moped zu fahren und sich dabei (erst recht als Bundesverkehrsminister) auch noch für die Presse fotografieren zu lassen. §§ 69, 69 a StGB sollen die Allgemeinheit vor Kraftfahrern schützen, die sich durch eine Trunkenheitsfahrt als verantwortungslos erwiesen haben. Dabei gehe der Gesetzgeber davon aus, dass derjenige, der sich mit einer BAK von über 1,1 Promille an das Steuer seines (führerscheinpflichtigen) Fahrzeuges setzt, durchaus weiß, dass er eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer darstellt, wenn er in deutlich alkoholisiertem Zustand mit einem Kfz, das erhebliches Gewicht hat und erhebliche Geschwindigkeit erreicht, am Straßenverkehr teilnimmt. Der Schaden, der entsteht, wenn ein Kfz mit einem anderen kollidiert, sei aber offensichtlich und offenkundig nicht zu vergleichen mit dem Schaden, der entstehen könnte, würde ein E-Scooter, der eine maximale Geschwindigkeit von 20 km/h erreicht und ein Gewicht von vielleicht 25 kg aufweist, mit einem Auto kollidieren. Die Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter gefährde primär den E-Scooter-Fahrer, nicht aber andere Verkehrsteilnehmer. Daher spreche manches dafür, dass schon die Regelwirkung als solche in Frage gestellt werden könnte.

Absehen von der Regelwirkung

Jedenfalls sei aber der Umstand, dass es sich bei dem Fahrzeug um ein „Elektrokleinstfahrzeug“ war, maßgeblich heranzuziehen bei der Frage, ob hier nicht jedenfalls eine Ausnahme von der Regelwirkung begründet ist. Es möge hier dahingestellt bleiben, ob schon die Benutzung eines E-Scooters als „Elektrokleinstfahrzeug“ die Regelwirkung entfallen lässt, denn im konkreten Fall träten weitere Umstände hinzu, die diese Regelwirkung letztlich entfallen lassen. Der Angeklagte sei hier mit eine BAK von 1,5 Promille gefahren. Rechtsprechung dazu, ob diese BAK bei einem E-Scooter-Fahrer schon zur absoluten Fahruntüchtigkeit führen würde, liege bislang nicht vor. Die Übertragung der Rechtsprechung zur absoluten Fahruntüchtigkeit des Fahrers eines Pkw, eines Lkw, eines Busses, eines Motorrades oder eines Mopeds auf den Fahrer eines E-Scooters erwecke Bedenken. Kfz hätten ein höheres Gewicht und erreichten eine höhere Geschwindigkeit; sie stellten eine Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer dar, die der Kfz-Führer beherrschen muss, so dass an seine Leistungsfähigkeit, vor allem an seine Fähigkeit, Gefahren zu erkennen und darauf zügig zu reagieren, besondere Anforderungen zu stellen seien im Interesse des Schutzes der anderen Verkehrsteilnehmer. Der E-Scooter sei extrem langsam und sehr leicht; bei einer Kollision erleide primär der E-Scooter und sein Fahrer Schaden. Es möge daher naheliegender erscheinen, für die Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit abzustellen auf die Rechtsprechung zum Fahrradfahrer, doch könne dies dahingestellt bleiben, weil der Schuldspruch in Rechtskraft erwachsen ist. Besondere Umstände bestünden darin, dass der Angeklagte nachts um 3:45 Uhr zu extrem verkehrsarmer Zeit unterwegs gewesen ist. Auf dem Gehweg habe sich niemand befunden. Der Angeklagte sei auf einem Radweg gefahren, der hinreichend breit ist neben den zwei Fahrspuren, die in jede Fahrtrichtung vorhanden sind. Er habe keinerlei Ausfallerscheinungen aufgewiesen. Die Fahrtstrecke sei mit 20 Metern extrem kurz.

Verhältnismäßigkeit

Zuletzt halte es das Gericht wegen des Übermaßverbotes auch für geboten, bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter im besonderen Maße zu berücksichtigen, welche Folgen die Entziehung des Führerscheines hätte. Zum einen ergäbe sich bei Anwendung des §§ 69, 69 a StGB die durchaus groteske Situation, dass der Angeklagte wegen des Fehlverhaltens mit dem E-Scooter zwar kein Auto mehr fahren, aber weiterhin mit einem E-Scooter unterwegs sein dürfte. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass weite Teile der Bevölkerung auf den Führerschein und die Nutzung ihres führerscheinpflichtigen Fahrzeugs angewiesen seien. Ihnen ist durchaus bewusst, dass sie die Entziehung der Fahrerlaubnis riskieren, wenn sie im betrunkenen Zustand mit dem Auto (also einem führerscheinpflichtigen Kfz) fahren und dabei „erwischt“ werden. Anderes gelte aber, wenn es sich um ein führerscheinfreies Fahrzeug handelt, dass sogar Personen ab 14 Jahren nutzen dürfen.

III. Bedeutung für die Praxis

Mäßig begründet, Ergebnis vertretbar

Hier war erkennbar das gewünschte Ergebnis (das durchaus im konkreten Fall vertretbar erscheint, u. 3) Vater des Gedankens. Das LG mäandert mit den letztlich selben Argumenten einmal quer durch den Tatbestand des § 316 StGB (Grenzwert beim E-Scooter; offengelassen von BGH DAR 2021, 397 = VRR 7/2021, 18 = StRR 9/2021, 23 [jew. Burhoff]), Anwendungsvoraussetzung der Regelwirkung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB (alle oder nur fahrerlaubnispflichtige Kfz), dem Absehen von der indizierten Regelwirkung im Einzelfall und allgemeinen Verhältnismäßigkeitserwägungen hin und her. Bezeichnenderweise findet sich auch keine einzige Fundstelle aus der vorhandenen Rechtsprechung. Und ob der Hinweis auf den früheren Bundesverkehrsminister Scheuer ein juristisch valides Argument darstellt…

Im Einzelnen:

Legaldefinition

1. Aus der Legaldefinition des Kfz in § 1 Abs. 2 StVG und dem Umstand, dass E-Scooter in der Ausnahmevorschrift des § 1 Abs. 3 StVG nicht aufgeführt sind, ergibt sich auch für diese die Anwendbarkeit des § 69 Abs. 1 und 2 StGB (a.A. AG Wuppertal DAR 2022, 155 m. Anm. Lauterbach, VRR 3/2022, 26 [Lauterbach]). Eine Beschränkung der Regelwirkung auf fahrerlaubnispflichtige Kfz ist dieser Vorschrift nicht zu entnehmen.

OLG Zweibrücken

2. Für die bußgeldrechtliche Trunkenheitsfahrt nach § 24a StVG hat das OLG Zweibrücken (NStZ 2022, 493 = zfs 2021, 650 = VRR 8/2021, 25 [Deutscher]) festgestellt, dass der Art des geführten Kfz (E-Scooter) für die abstrakte Gefahr, die von einer Trunkenheitsfahrt für die Sicherheit des Straßenverkehrs ausgeht, keine derart bestimmende Bedeutung zukommt, dass dieser Umstand allein schon die Indizwirkung des Regelbeispiels nach §§ 25 Abs. 1 Satz 2, 24a StVG entfallen lässt. Gleiches lässt sich im Grundsatz auch für § 69 StGB sagen. Das BayObLG (NZV 2020, 582 m. Anm. Lamberz = NStZ 2020, 736 = DAR 2020, 576 = VRR 10, 2020, 15 / StRR 1/2021, 35 [jew. Deutscher] hält daher bei dem alkoholisierten Führer eines E-Scooters die Annahme eines Regelfalls nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB für die Entziehung der Fahrerlaubnis für zulässig.

3. Die Regelwirkung wird daher nicht durch die Nutzung eines E-Scooters als solchem widerlegt. Eine Widerlegung ist aber im Einzelfall mit den hier vom LG angeführten Argumenten zum Maß der konkreten Gefährlichkeit (kurze Fahrtstrecke, Tatzeit, Tatort) durchaus möglich.

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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