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Experten uneins über virtuelle Eigentümerversammlungen

Wohnungseigentümerversammlungen sollen künftig ausschließlich virtuell stattfinden, wenn 75 % der Eigentümer dies so wollen. Dies sieht ein derzeit vorliegender Gesetzentwurf „zur Zulassung virtueller Wohnungseigentümerversammlungen, zur Erleichterung des Einsatzes von Steckersolargeräten und zur Übertragbarkeit beschränkter persönlicher Dienstbarkeiten für Erneuerbare-Energien-Anlagen“ (vgl. BT-Drucks 20/9880) vor. Mit dem Entwurf soll auch der Einsatz von sog. Balkonkraftwerken (d.h. Solarpaneelen, die den neu erzeugten Strom direkt in eine Steckdose der Wohnung abgeben können) durch Eigentümer und Mieter erleichtert werden; er soll in den Katalog der sog. privilegierten Maßnahmen aufgenommen werden.

Ob diese geplanten Neuerungen sinnvoll sind, war unter den eingeladenen Experten anlässlich einer Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages Mitte Februar aber sehr umstritten. Während mehrere Sachverständige das Vorhaben als notwendigen Schritt in die digitale Zukunft lobten, hatten andere erhebliche Bedenken, dass in Zukunft viele Wohnungseigentümer, darunter insbesondere ältere Menschen, aus der Eigentümerversammlung faktisch ausgegrenzt werden könnten. Letzteres befürchtete etwa die Vertreterin des Vereins „Wohnen im Eigentum“. Sie sah durch die technischen Voraussetzungen einer virtuellen Versammlung die „große Gefahr der Ausgrenzung älterer, schwerhöriger oder technik- beziehungsweise bildungsfernerer Eigentümer“. Statt einer „Förderung der Gemeinschaft“ der Eigentümer werde durch das Gesetz die Spaltung der Wohnungseigentümergemeinschaften befördert. Die Expertin verwies auf die Möglichkeit einer hybriden Versammlung; ein Rechtsanspruch darauf würde ihre Unterstützung finden.

Ähnlich sah es ein Richter vom Anwaltsgerichtshof in Berlin. Durch den Zwang zu einer virtuellen Versammlung würden viele Wohnungseigentümer von der Verwaltung ihres wichtigsten Wirtschaftsgutes ferngehalten, befürchtete er. Für den damit verbundenen „großen Demokratieverlust“ sei ein ausreichender Grund nicht erkennbar. Der Überlegung der Bundesregierung, dass sich Wohnungseigentümer ohne eine erforderliche Technik oder „Digitalkompetenz“ durch Verwandte oder Freunde unterstützen lassen könnten, vermochte der Experte nicht zu folgen. Eine solche Unterstützung durch Dritte würde regelmäßig einen Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit darstellen.

Auf diese Aspekte machte auch ein eingeladener Rechtsanwalt aufmerksam. Der Entwurf der Bundesregierung verabschiede sich „von zwei zentralen, absolut herrschenden Rechtsgrundsätzen im Zusammenhang mit Eigentümerversammlungen“, befand er. Der eine sei, dass das Recht des einzelnen Eigentümers an der Teilhabe am Entscheidungsfindungsprozess in der Eigentümerversammlung zum Kernbereich elementarer Mitgliedschaftsrechte des Wohnungseigentums gehöre und grundsätzlich unentziehbar sei; der zweite betreffe die grundsätzliche Nicht-Öffentlichkeit der Wohnungseigentümerversammlung. Letztere bezwecke, dass die Versammlung von fremden Einflüssen frei bleibe und außenstehende dritte Personen die Meinungsbildung nicht beeinflussen sollten.

Andere Experten sahen das Gesetzesvorhaben weniger kritisch. So nannte der Geschäftsführer des Verbandes der Immobilienverwalter Deutschlands den Entwurf „kurz, knapp und gut“. Die virtuelle Versammlung erleichtere die Zusammenarbeit, sei preiswerter, umweltfreundlicher, barrierefrei und effektiver, da Anfahrtswege entfielen. Auch der Präsident von Haus & Grund Deutschland begrüßte das geplante Gesetz als einen „konsequenten und zumindest mittelfristig auch notwendigen Schritt in die digitale Zukunft“. Bedenken hinsichtlich solcher Eigentümer, die nicht über die technischen Möglichkeiten oder das Verständnis zur Teilnahme an einer rein virtuellen Eigentümerversammlung verfügten, könnten seiner Meinung dadurch ausgeräumt werden, dass eine virtuelle Versammlung nur durch einstimmigen Beschluss zugelassen wird; dies habe auch der Bundesrat empfohlen, so der Experte.

Vermittelnd äußerte sich auch der Vertreter der Bundesrechtsanwaltskammer, der von einer sinnvollen Ausgestaltung sprach, die gleichzeitig die Präsenzversammlung als Regelfall beibehalte. Unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten sowie mit Blick auf den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit der Versammlung müsse aber ein geeigneter Kommunikationsweg gewählt werden, der es den Mitgliedern der Wohnungseigentümergemeinschaft praktikabel ermögliche, ihre Rechte wahrzunehmen. Seiner Meinung nach sollte die Gesetzesbegründung deshalb im weiteren Gesetzgebungsverfahren die Anforderungen an die einzusetzende Software näher umreißen.

Die geplanten Erleichterungen beim Einsatz von Steckersolargeräten stießen bei den Sachverständigen auf weitgehende Zustimmung. Begrüßt wurde insbesondere, dass durch den Einsatz solcher unkomplizierten Geräte bis zu 30 % Energieeinsparung in den Haushalten möglich würde. Vereinzelt kritisiert wurde allerdings, dass der Gesetzentwurf in einigen Punkten sehr vage geblieben sei, etwa was einschränkende Vorgaben durch Vermieter angehe. Dadurch bestehe die Gefahr, dass der Anspruch des Mieters entwertet und die Energiewende verzögert werde.

[Quelle: Bundestag]

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