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Anwaltliche Kritik an jüngsten EU-Sanktionen

Die beiden Anwaltsorganisationen Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) und Deutscher Anwaltverein (DAV) haben scharfe Kritik an dem von der Europäischen Union Anfang Oktober gegen Russland verabschiedeten Achten Sanktionspaket geübt. Mit Schreiben an das Bundesjustizministerium und Presseerklärungen forderten sie die Politik auf, für die Sicherung von Rechtsstaatlichkeit und uneingeschränkter Berufsausübungsfreiheit der Anwaltschaft einzustehen.

Am 6. Oktober hatte der Rat der EU ein neues Sanktionspaket gegen die Russische Föderation verabschiedet. Erstmals umfasst dieses auch ein Verbot zur Erbringung bestimmter Rechtsdienstleistungen. Untersagt wird darin u.a. die Rechtsberatung von russischen Institutionen; während z.B. die Vertretung vor Gericht weiterhin möglich bleibt, verbietet die EU-Vorschrift künftig die Rechtsberatung in nichtstreitigen Angelegenheiten.

Die BRAK hält den Schritt der EU einerseits für nachvollziehbar, kritisiert andererseits die konkrete Ausgestaltung „aufs Schärfste“. Zwar stelle die ungerechtfertigte militärische Invasion in einen souveränen Staat einen inakzeptablen Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit in Europa, aber auch auf die internationale Staatengemeinschaft dar. Die ukrainische Nation und das ukrainische Volk verdienten den größtmöglichen Schutz der internationalen Rechtsordnung. Dessen ungeachtet sei es aus Sicht der BRAK keinesfalls gerechtfertigt und verfassungsrechtlich überaus bedenklich, dass nunmehr die rechtliche Beratung von in Russland niedergelassenen juristischen Personen, Organisationen und Einrichtungen wesentlich eingeschränkt werden solle. Dies verstoße gegen rechtsstaatliche Grundsätze und dürfe in Deutschland schon aus verfassungsrechtlichen Gründen keine Anwendung finden.

Daran änderten auch die in den Regelungen niedergelegten Ausnahmefälle nichts. Einerseits enthielten diese zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe; zum anderen sei es nicht hinnehmbar, dass im Grunde genommen verbotene Rechtsberatung im Einzelfall und unter bestimmten Bedingungen von Behörden genehmigt werden könne. BRAK-Präsident Rechtsanwalt und Notar Dr. Ulrich Wessels fand hierfür klare Worte: „Schon Art. 12 GG gebietet die Sicherung Berufsausübungsfreiheit! Es muss allein die Entscheidung jeder Rechtsanwältin und jedes Rechtsanwalts sein, ob sie oder er ein Mandat annehmen oder es – beispielsweise aus moralischen Gründen – ablehnen möchte.“ Das Sanktionspaket steht nach Auffassung von Wessels auch in klarem Widerspruch zur anwaltlichen Berufsordnung (BORA): „Jedermann hat das gesetzlich verankerte Recht, sich in Rechtsangelegenheiten aller Art durch einen Rechtsanwalt seiner Wahl beraten und vor Gerichten, Schiedsgerichten oder Behörden vertreten zu lassen. Die BORA sichert überdies keineswegs nur die Freiheit der Berufsausübung, sondern darüber hinaus auch die Teilnahme am Recht. Die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaates wird in ihren Grundfesten erschüttert, sollte es bei den nun auf den Weg gebrachten Regelungen bleiben.“

Auch der Deutsche Anwaltverein übte scharfe Kritik an den EU-Maßnahmen. Er sieht darin eine „besorgniserregende Tendenz, die anwaltliche Tätigkeit und damit den Zugang zum Recht zu erschweren“. Die Entscheidung, ein Mandat anzunehmen oder abzulehnen, müsse allein der Anwältin oder dem Anwalt überlassen sein, erklärte Rechtsanwalt Stefan von Raumer, Vizepräsident DAV. „Der Angriffskrieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine ist aufs Schärfste zu verurteilen. Das aber zum Anlass zu nehmen, die Rolle der Anwaltschaft zu schwächen, ist ein falsches Signal und schadet der Rechtsstaatlichkeit. Es obliegt nicht der EU zu entscheiden, welche Mandate angenommen werden dürfen. Der Zugang zum Recht muss für jedermann gewährleistet bleiben.“ Die Aufteilung der anwaltlichen Tätigkeit in unterschiedlich schützenswerte Vertretung und Beratung, die der Rat der EU in den letzten Verordnungen gegen Russland vorgenommen habe, schlage „eine fatale Richtung“ ein. Beides gehöre zum Beruf der Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen – eine anwaltliche Tätigkeit zweiter Klasse gebe es nicht.

[Quellen: BRAK/DAV]

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