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EuGH erschwert Verfall des Urlaubsanspruchs

Im Mai hatte ein Schlussantrag des EuGH-Generalanwalts Richard de la Tour für Hoffnung bei Arbeitnehmern gesorgt, dass ein Urlaubsanspruch doch nicht so leicht verfallen oder verjähren kann, wie es bislang in deutschen Unternehmen Praxis ist. Der Generalanwalt hatte nämlich dafür plädiert, eine Anfrage des deutschen Bundesarbeitsgerichts (BAG) dahin gehend zu beantworten, dass ein Arbeitgeber aktiv seinen Teil dazu beitragen muss, dass ein Arbeitnehmer bislang nicht in Anspruch genommene Urlaubstage doch noch nehmen kann; insb. müsse der Arbeitgeber auf den offenen Urlaub und die entsprechenden Fristen hinweisen (vgl. dazu und auf die BAG-Vorlage: Anwaltsmagazin ZAP 13/2022, S. 658 f.).

Dieser Argumentation ist der Luxemburger Gerichtshof jetzt gefolgt: Bevor ein Urlaubsanspruch verjähren oder verfallen kann, müsse der Arbeitgeber den betroffenen Arbeitnehmer „tatsächlich in die Lage versetzt haben, diesen Anspruch wahrzunehmen“, entschied der EuGH im September (Urt. v. 22.9.2022 – C-120/21). Hierzu verwiesen die EU-Richter auf Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl 2003, L 299, S. 9) und auf Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Ausgangspunkt ihrer Argumentation ist, dass der Urlaubsanspruch als EU-Grundrecht und Grundsatz des Sozialrechts der Union einen besonders hohen Stellenwert genießt. Deshalb dürfe dieses Arbeitnehmerrecht nur unter „besonders strengen Bedingungen“ eingeschränkt werden; zudem müsse jede nationalgesetzliche Einschränkung den Grundsatz des Wesensgehalts des Arbeitnehmerrechts beachten sowie unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich sein.

Nach dem Herausarbeiten dieser Vorgaben richteten die EU-Richter ihren Blick auf die deutschen Urlaubsregelungen, insb. die die Verjährung bzw. den Verfall regelnden §§ 194 ff. BGB und 7 BUrlG. Diese wurden zwar nicht beanstandet; allerdings, so der EuGH, müsse bei der Anwendung dieser Regelungen immer berücksichtigt werden, dass der Arbeitnehmer als die schwächere Partei des Arbeitsvertrags anzusehen sei: Die Aufgabe, für die tatsächliche Wahrnehmung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub zu sorgen, dürfe deshalb nicht vollständig auf den Arbeitnehmer verlagert werden, während der Arbeitgeber damit eine Möglichkeit erhielte, sich seiner eigenen Pflichten unter Berufung auf einen fehlenden Antrag des Arbeitnehmers auf bezahlten Urlaub zu entziehen.

Daraus folge im Ergebnis, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub am Ende eines Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums nur unter der Voraussetzung verloren gehen könne, dass der betreffende Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit hatte, seinen Anspruch rechtzeitig auszuüben. Den Arbeitgeber träfen somit entsprechende Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten gegenüber den betroffenen Beschäftigten.

Das deutsche BAG muss nun prüfen, inwieweit im vorliegenden Fall der Hinweis- und Aufforderungsverpflichtung nachgekommen wurde. Aus seiner Entscheidung wird sich vermutlich auch ableiten lassen, welche Konsequenzen der Spruch aus Luxemburg ganz konkret für die Wirtschaft hat. Nach Auffassung der Bundesrechtsanwaltskammer wird eine Frage hierbei sein, in welcher Form und wie konkret Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ihre Beschäftigten informieren müssen; eine andere Frage sei, wer darzulegen und zu beweisen habe, wie viel Urlaubsanspruch noch besteht und ob eine entsprechende Unterrichtung erfolgt ist.

[Quellen: EuGH/BRAK]

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