Künstliche Intelligenz ist aus unserer Wirtschaft nicht mehr wegzudenken und gewinnt auch für den Kanzleialltag rapide an Relevanz. Sie bietet vielfältige Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung und Qualitätsverbesserung. Die Einsatzgebiete reichen von der Unterstützung bei rechtlichen Recherchen über Analyse- und Dokumentenmanagement-Systeme, Tools für HR und Marketing bis hin zur Übersetzung von Rechtsdokumenten. Spätestens seit “Frag den Grüneberg”, die KI-Anwendung des wohl bekanntesten juristischen Kommentars, dürfte KI in allen Kanzleien angekommen sein. Immer mehr Anwälte und Anwältinnen interessieren sich für das Potenzial dieser Technologie, um ihre Arbeitsprozesse zu optimieren und ihren Mandanten einen Mehrwert zu bieten. Dabei gilt es, die Chancen der KI-Nutzung verantwortungsvoll und im Einklang mit berufsrechtlichen Vorgaben zu gestalten.
Die KI-Verordnung der Europäischen Union (KI-VO), die am 1. August 2024 in Kraft getreten ist, legt zwar keine direkte Pflicht zur Erstellung von KI-Guidelines fest, impliziert jedoch deren Notwendigkeit, um die Einhaltung der Regelungen sicherzustellen. So gelten seit dem 2. Februar 2025 beispielsweise die KI-Schulungspflichten nach Art. 4 KI-VO, die Betreiber von KI-Systemen verpflichten, sicherzustellen, dass ihr Personal über ausreichende KI-Kompetenz verfügt. Sobald KI im beruflichen Kontext eingesetzt wird, müssen Mitarbeitende also über die entsprechende Kompetenz verfügen. KI-Guidelines können daher sinnvoll sein, um die Einhaltung dieser und weiterer Regelungen der KI-Verordnung zu gewährleisten und die verantwortungsvolle Nutzung von KI in Kanzleien sicherzustellen.
Die KI-Guideline: Leitplanken für den Einsatz
Die KI-Guideline einer Kanzlei kann als Kompass dienen, um die Vorteile von KI auszuschöpfen und damit verbundene Risiken bei der Anwendung zu minimieren. KI-Guidelines können dabei (berufs)rechtliche und ethische Prinzipien, Hinweise zur Datennutzung und Verantwortlichkeiten vereinen. Es ist in jedem Fall individuell zu prüfen, welche Aspekte in einer Kanzlei Teil einer KI-Guideline sein sollten. Die Inhalte können abhängig von der Größe und Organisation einer Kanzlei, den zum jeweiligen Zeitpunkt geltenden Regelungen der KI-VO sowie den konkreten Anwendungsbereichen variieren.
Folgende Aspekte können als Leitplanken für den Einsatz von KI dienen:
Verantwortungsvolle Nutzung von KI-Tools
KI-Modelle können verschiedene Fehler machen, die je nach Anwendungsbereich und Datenqualität variieren. Häufige Fehlerquellen sind Halluzinationen, bei denen überzeugend klingende, aber falsche Informationen generiert werden. KI-Inhalte können auch Verzerrungen (Bias) enthalten, da sie mit voreingenommenen Daten trainiert wurden, und haben oft Schwierigkeiten mit Kontext, Mehrdeutigkeiten und komplexen Berechnungen (KI ist kein Taschenrechner!). Zudem fehlt ihnen eine verlässliche Quellenangabe, was die Verifikation ihrer Antworten erschwert. Vor diesem Hintergrund lässt sich für eine verantwortungsvolle Nutzung in der Kanzlei festhalten:
Kritische Prüfung von Inhalten und Verifizierung von Quellen
Anwälte und Mitarbeitende sollten KI-Ergebnisse vor der Nutzung immer eigenverantwortlich prüfen und kontrollieren. Eine solche Vorgehensweise ist ohnehin absolut empfehlenswert, sie ergibt sich für Anwälte zudem noch aus dem Berufsrecht (§ 43 S. 1 BRAO), das zur gewissenhaften Berufsausübung verpflichtet. Anwälte und Anwältinnen tragen die Verantwortung für die juristischen Inhalte, die sie an Mandanten oder Gerichte weitergeben. Die BRAK verweist in diesem Zusammenhang im Rahmen ihrer Leitlinien zur Nutzung von KI noch auf den Grundsatz der höchstpersönlichen Leistungserbringung. Danach hat ein Rechtsanwalt seine Tätigkeit eigenverantwortlich und im Zweifel persönlich zu erbringen. Dies gelte insbesondere dann, wenn KI-Systeme wie ChatGPT zum Einsatz kommen (BRAK, Hinweise zum Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI), 2024, S. 2).
Ethische Nutzung durch Nicht-Diskriminierung
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die ethische Nutzung von KI-Systemen durch die Vermeidung von unbewussten Vorurteilen (unconscious Bias). KI-Systeme können bestehende Vorurteile verstärken, wenn sie auf voreingenommenen Daten trainiert werden Beispielsweise könnte ein KI-gestütztes Programm zur Unterstützung bei der Bewerberauswahl Männer systematisch bevorzugen, wenn es mit historischen Daten trainiert wurde, in denen Frauen seltener in Führungspositionen vertreten waren. Daher sollten KI-Guidelines klare Regelungen zur Kontrolle und Korrektur solcher Voreingenommenheiten enthalten. Zudem sollte die KI-Guideline sicherstellen, dass die Entscheidungsprozesse transparent sind und dass die Verantwortung für die Ergebnisse klar zugeordnet werden kann.
Benennung von Verantwortlichkeiten
KI-Guidelines sollten Verantwortlichkeiten in der Kanzlei für das Thema KI festlegen, auch für Rückfragen von Mitarbeitenden. Hierfür sollte die Kanzlei idealerweise einen KI-Beauftragten oder den/die Managing Partner benennen, die für die Koordination und Überwachung der KI-Aktivitäten verantwortlich sind. Auch Mitarbeitende der IT-Abteilung können in ein Team von Verantwortlichen eingebunden werden.
Datenschutz und Vertraulichkeit
Viele KI-Modelle speichern oder analysieren Eingaben, was ein Risiko für die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht (§ 43a Abs. 2 S. 1 BRAO) und den Datenschutz (DSGVO) darstellt. Daher ist es wichtig, keine Mandanteninformation in offene KI-Tools wie ChatGPT einzugeben, um Verstöße gegen die Verschwiegenheitspflicht zu vermeiden. Ebenso sollten ohne weitere Vorkehrungen keine personenbezogenen Daten im Sinne der DSGVO verwendet werden. Sofern eine KI Informationen zu bestimmten Mandanten oder personenbezogene Daten nutzen soll, sollte das entsprechende KI-System zuvor einer kanzleiinternen Prüfung unterzogen werden. Hierbei können die im Anschlusspunkt genannten Kriterien Berücksichtigung finden.
Vorgehen bei der Einführung neuer KI-Tools bzw. der Prüfung von Bestands-Tools
Eine KI-Guideline sollte Spielregeln formulieren für die Zulässigkeit des Einsatzes von KI-Tools – das betrifft insbesondere KI-Lösungen die mandatsbezogene oder personenbezogene Daten verarbeiten. Die Integration von KI-Tools in den Kanzleialltag erfordert einen strukturierten Ansatz, um potenzielle Risiken zu minimieren und die Einhaltung relevanter Vorschriften sicherzustellen. KI-Integrationen sollten nur nach einer sorgfältigen Prüfung und Genehmigung durch die Kanzleileitung bzw. die KI-Verantwortlichen genutzt werden dürfen. Folgende Schritte sollten beim Einsatz von KI-Tools beachtet werden:
- Verantwortlichkeiten festlegen: Zunächst ist zu bestimmen, wer für die Prüfung und Genehmigung neuer KI-Tools kanzleiintern verantwortlich ist. Eine klare interne Zuständigkeit gewährleistet eine geordnete Entscheidungsfindung und Risikomanagement.
- Prüfung und Freigabe von KI-Tools: Vor der Implementierung neuer KI-Tools ist eine umfassende Prüfung und formelle Freigabe erforderlich. Dies umfasst insbesondere Datenschutz-, Cybersecurity- und Compliance-Aspekte sowie die Risikoeinstufung nach der KI-VO. Bei der Risiko-Klassifizierung nach der KI-VO sind folgende Fälle zu prüfen und gesondert zu betrachten:
- Seit dem 2. Februar 2025: Verbotene Praktiken nach Art. 5 KI-VO
- Ab dem 2. August 2027: Hochrisiko KI-Systeme nach Art. 6 KI-VO
- Datenweitergabe kontrollieren: Ein Risiko bei der Nutzung von KI-Tools in Anwaltskanzleien besteht in der unkontrollierten Weitergabe von Mandantendaten an Drittanbieter oder Cloud-Dienste. Um dies zu vermeiden sollte vor der Implementierung eines KI-Tools geprüft werden, ob der jeweilige Anbieter eine DSGVO-konforme Verarbeitung personenbezogener Daten gewährleistet. Zudem sollte sichergestellt werden, dass keine Daten automatisch über KI-Schnittstellen weitergegeben werden, ohne dass eine ausdrückliche Genehmigung oder Kontrolle erfolgt.
- Schriftliche Vereinbarung zur Geheimhaltung: Sofern mandatsrelevante Daten durch KI verarbeitet werden und die Kanzlei hierbei einen Dienstleister heranzieht (zB Cloud-Services mit KI) sollte mit diesem eine schriftliche Vereinbarung gemäß § 43e BRAO zur Geheimhaltung abgeschlossen werden.
- Herausforderungen bei Dienstleistern außerhalb der EU: Bei KI-Anbietern aus dem Ausland sollte darauf geachtet werden, dass der dortige Geheimnisschutz nach § 43e Abs. 4 der BRAO mit dem Schutz in Deutschland vergleichbar ist. Vor diesem Hintergrund wären Anbieter mit Serverstandorten in Deutschland oder Europa bevorzugt zu berücksichtigen. Dies erhöht auch die Wahrscheinlichkeit für einen hohen Datenschutzstandard. In anderen Fällen sind möglicherweise besondere Schutzmaßnahmen erforderlich.
Weiterbildung & KI-Kompetenzen
Ein weiterer Bestandteil einer KI-Guideline in Kanzleien ist ein Hinweis auf Möglichkeiten zur Weiterbildung und Kompetenzentwicklung der Mitarbeitenden. Die KI-Guideline sollte hierzu klare Vorgaben enthalten, dass beim Einsatz von KI-Tools sicherzustellen ist, dass alle Mitarbeitenden über das notwendige Wissen verfügen. Dies kann durch interne Workshops, E-Learning-Kurse oder externe Fortbildungen erreicht werden. Ein Ziel sollte dabei sein, dass alle Mitarbeitenden KI-generierte Inhalte kritisch hinterfragen und bewerten können. Soweit vorhanden, können an dieser Stelle der KI-Guideline Hinweise auf konkrete weiterführende Ressourcen und Materialien in der Kanzlei erfolgen (Checklisten, Schulungsmodulle etc.).
Ressourcenschonende KI-Nutzung
Der Einsatz von KI kann hohe Umweltbelastungen durch Energie- und Wasserverbrauch verursachen. So zeigt etwa eine aktuelle Studie aus 2025 von Wissenschaftlern der UC Riverside und UT Arlington, dass eine ChatGPT-Anfrage etwa 500 ml Wasser verbraucht – eine enorme Menge. Daher ist ein bewusster und nachhaltiger Umgang mit KI-Technologien notwendig. Um unnötigen Ressourcenverbrauch zu vermeiden, sollten die Mitarbeitenden in einer KI-Guideline darauf hingewiesen werden, KI nur dort einsetzen, wo sie einen klaren Mehrwert bietet.
Fazit: KI als Chance begreifen
Künstliche Intelligenz bietet ein enormes Potenzial, um juristische Arbeitsprozesse effizienter zu gestalten und die tägliche Arbeit in Kanzleien zu unterstützen. Gleichzeitig bringt die KI-Nutzung rechtliche, ethische und ökologische Herausforderungen mit sich, die nicht unterschätzt werden dürfen. Eine gut durchdachte KI-Guideline gibt den Mitarbeitenden Sicherheit und Orientierung, indem sie eine verantwortungsvolle KI-Nutzung fördert während typische Risiken minimiert werden. Als Leitlinie für die KI-Nutzung in der Kanzlei kann gelten: KI ist ein Werkzeug, kein Ersatz für anwaltliche Expertise. KI kann unterstützen, analysieren und optimieren – doch die finale Bewertung und Entscheidung muss immer beim Menschen liegen.