Künstliche Intelligenz – es gibt kaum ein Thema, das aktuell so sehr für Faszination und gleichzeitig für ein wenig Unbehagen sorgt. Was bedeutet es, wenn KI immer tiefer in die Welt der Justiz und Rechtsdienstleistungen eindringt? Ist sie der oft beschworene „Gamechanger“, der die Branche revolutionieren könnte?
Dieser Beitrag, der ursprünglich als Kolumne in der ZAP – Zeitschrift für die Anwaltspraxis (Ausgabe 02/2025, S. 57 f.) erschien, lädt Sie ein, genau das zu hinterfragen. Mit einem Augenzwinkern und dennoch mit gebotener Ernsthaftigkeit führt der Text durch die spannende Frage, wie weit KI uns schon begleitet – von Reallaboren bis zur Digitalisierung ganzer Prozesse. Eines wird klar: Die Zukunft der Justiz wird digitaler, innovativer und, wenn wir es richtig anpacken, auch effizienter.
Lesen Sie selbst, was Expertin Ilona Cosack dazu sagt:
KI als Gamechanger?
Keine Angst – noch ist die Gerichtssprache überwiegend deutsch (§ 184 GVG), obwohl es durchaus schon seit Jahren englischsprachige Verhandlungen bei einigen Kammern gibt. Wie aber sieht es mit der AI (Artificial Intelligence) aus, die als KI (Künstliche Intelligenz) auch bei uns in aller Munde ist? Ist sie wirklich ein „Gamechanger“? Und: Sind Sie manchmal auch „lost“ bei all den Begriffen, die in diesen Zusammenhängen auftauchen?
Klar ist: KI gibt es nicht erst seit vorletztem November, als mit dem LLM (nein, nicht dem „Master of Laws“, sondern mit dem „Large Language Model“) ChatGPT auch die Juristenwelt aus dem Dornröschenschlaf erwachte. So wurde eifrig „gepromptet“ (ein Prompt ist eine Anweisung an die KI, einen bestimmten Sachverhalt aufzubereiten) und diskutiert, ob, wie und wann die KI auch Einzug in die Anwalts- und Justizwelt hält und welche Auswirkungen das nach sich zieht.
Zur Beruhigung aller, denen es beim Lesen dieser Zeilen mulmig wird: Nein – zumindest nach heutigen Erkenntnissen – wird KI die Anwaltschaft noch nicht ersetzen und auch der menschliche Richter wird noch nicht vom oft zitierten „Robo-Judge“ ausgewechselt. Dennoch wurde bereits darüber diskutiert, ob und wie rechtliche Entscheidungen durch KI möglich wären. Ein Beispiel: Durch KI wird ein Sachverhalt geklärt und ein Entscheidungsentwurf vorbereitet. Die Beteiligten erklären, bevor sich ein menschlicher Richter damit befasst, ob sie mit einer derartigen Entscheidung einverstanden sind, sodass die Entscheidung gar nicht mehr durch den menschlichen Richter getroffen würde. Solche Szenarien klingen wie Szenen aus Science-Fiction-Filmen und sind heutzutage noch unvorstellbar. Aber was ist 2025 realistisch?
Werfen wir einmal einen Blick in die aktuelle Zukunftswerkstatt der Justiz
Auf der Herbstkonferenz der Justizministerinnen und Justizminister am 28.11.2024 in Berlin wurde es konkret: Mit TOP 2 stand die Untersuchung der Machbarkeit einer bundeseinheitlichen Justizcloud ganz oben. Als gemeinsames Ziel (seit März 2023) wurde festgehalten: „Eine digitale Justiz auf der Höhe der Zeit, eine moderne Justiz, die der Lebenswirklichkeit der Menschen gegenwärtig und auch in Zukunft gerecht wird und eine Justiz, die mit hoher Qualität arbeitet und eine hohe Akzeptanz und hohes Vertrauen in der Gesellschaft genießt.“ (vgl. JumikoTOP-2-Bund-Laender-Digitalgipfel—Justizcloud_Gemeinsame_Erklaerung.pdf)
Weiterhin ist zu lesen: „Die Justiz stellt sich hiermit auch zukunftssicher auf für kommende Anforderungen wie die Realisierung einer bundeseinheitlichen Beweismittelcloud, zentrale Online-Dienste der Justiz und den Einsatz von KI-Anwendungen.“ Dabei soll mit dem Aufbau einer bundeseinheitlichen Justizcloud möglichst im Jahr 2025 mit einer Vorbereitungsphase begonnen werden, sobald Mittel aus der Digitalisierungsinitiative des Bundes bereitgestellt wurden.
TOP 3 wird noch konkreter: die Einrichtung von KI-Reallaboren für Justiz und Rechtsdienstleister
Auch bei diesem TOP wird betont, „dass die Nutzung von KI-Anwendungen in der Justiz für unterstützende Tätigkeiten großes Potenzial bietet und der Einsatz von KI ein wichtiger Baustein ist, um die Justiz angesichts immer komplexer werdender Verfahren und knapper werdender Ressourcen zukunftsfest zu gestalten.“ Dabei sollen KI-Reallabore Unternehmen dabei unterstützen, innovative KI-Systeme zu entwickeln und auf dem Markt einzuführen. Schon in einem Jahr soll der E-Justice-Rat (unter Einbindung von BNotK und BRAK und ggf. Heranziehung von Expert:innen) prüfen, wie Reallabore für Justiz und Rechtsdienstleister eingerichtet werden können und welche Anforderungen an diese zu stellen sind.
Interessant ist, dass mit Rechtsdienstleistern nicht nur die Anwaltschaft, sondern auch Legal-Tech-Unternehmen adressiert werden. Diese arbeiten heute schon mit KI, um große Datenmengen in Massenverfahren (Fluggastrechteverfahren, Dieselklagen etc.) zu bewältigen.
In Bayern und Niedersachsen wurde ein Forschungsprojekt zum Reallabor „Basisdokument“ bereits abgeschlossen, welches sich mit dem „Elektronischen Basisdokument für den Parteivortrag im Zivilprozess“ befasst. Anstelle von Schriftsätzen wurde hier ein Jahr lang an den Landgerichten Hannover, Landshut, Osnabrück und Regensburg erprobt, „ob alle Verfahrensbeteiligten davon profitieren, wenn der Sach- und Streitstand in einem digitalen Basisdokument übersichtlich und frei von Wiederholungen abgebildet wird und welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen.“ Einer der Initiatoren, Prof. Christian Wolff vom Lehrstuhl für Medieninformatik an der Universität Regensburg, sagte in einem Interview: „Wir werden weiter forschen, insbesondere dazu, wie in Zukunft KI integriert werden könnte.“
Etwas versteckt unter TOP I. 14 findet sich ein Beschluss: „Digitalisierung des Zivilprozesses und der Zwangsvollstreckung voranbringen – Teilnahmepflicht am elektronischen Rechtsverkehr ausweiten.“
Hinter diesem Titel verbirgt sich jedoch nicht das sehnsüchtig erwartete Titelregister, um die Zwangsvollstreckung zu beschleunigen, sondern die Aufforderung, Banken, Versicherungen und große Unternehmen zur Teilnahme am ERV zu verpflichten. Und die Erinnerung an den Bundesminister der Justiz, „eine Regelung zur vollständigen Abschaffung des elektronischen Empfangsbekenntnisses vorzulegen.“ Nach dieser Regelung würde nicht mehr die Kenntnis des Dokuments durch den oder die Anwält:in als Fristbeginn zählen, sondern die Entscheidung würde – unabhängig vom Datum der Kenntnisnahme – ab dem dritten Tag nach dem auf der automatisierten Eingangsbestätigung ausgewiesenen Tag als zugegangen gelten.
Wie können sich Kanzleien (unabhängig von der Kanzleigröße) zukunftssicher aufstellen? Was kann KI aktuell leisten?
Eines vorweg: KI wird durch Daten trainiert. Je mehr Daten, desto besser die Qualität. Und auch Aktualität ist erforderlich (vgl. auch als eine erste Orientierungshilfe den Leitfaden der Bundesrechtsanwaltskammer „Hinweise zum Einsatz von künstlicher Intelligenz“, abrufbar unter BRAK_Leitfaden_mit_Hinweisen_zum_KI-Einsatz_Stand_12_2024.pdf).
Fazit: KI als Gamechanger?
Ja, denn in der Zukunftswerkstatt der Justiz und auch bei allen Rechtsdienstleistern, egal ob Anwaltschaft oder Legal-Tech-Unternehmen, wird KI auf Dauer Einzug halten. Entscheidend ist, wie wir damit umgehen. Nutzen wir KI als Hilfsmittel und bleiben dennoch kritisch in der Anwendung, dann kann KI auch den Personalmangel kompensieren.
Lesetipp: Wer nach noch mehr Einblicken in die digitale Transformation sucht, sollte unbedingt auch den „Digitalreport“ von Frau Prof. Dr. Marie Herberger in derselben ZAP-Ausgabe lesen. Sie knüpft an ihren letztjährigen Report an und beleuchtet einerseits die rechtlichen Fragen der Digitalisierung – von geltendem bis zu künftigem Recht – und widmet sich andererseits praxisnahen Instrumenten, die juristische Workflows revolutionieren können. Ein besonders spannendes Thema für alle, die wissen möchten, wie Digitalisierung nicht nur diskutiert, sondern tatsächlich angewendet wird. |