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Überarbeitet, aber glücklich – Das Selbstständigkeits-Paradox

Kennen Sie eigentlich das Selbstständigkeits-Paradox? Es besagt, dass Selbstständige gegenüber Angestellten oft widrigeren Umständen ausgesetzt sind – u. a. durch diverse Verantwortlichkeiten, finanzielle Unsicherheit und ein höheres Arbeitspensum –, sie aber dennoch weitaus zufriedener mit ihrem Arbeitsleben sind. Wie kommt das? Und warum entscheiden sich dennoch nicht mehr Menschen für die Selbstständigkeit?

Selbstständigkeit als Anwalt – Vorteile und Herausforderungen

Selbstständige Anwälte haben gegenüber angestellten Kollegen einen großen Vorteil: die Selbstbestimmung. So können sie beispielsweise

  • ihre Zeit weitestgehend selbst einteilen,
  • aussuchen, welche Mandate sie annehmen und mit wem sie zusammenarbeiten,
  • ihr Arbeitspensum selbst bestimmen und
  • festlegen, ob sie lieber im Büro, zuhause oder an einem anderen Ort arbeiten wollen.

 

Doch Selbstständigkeit birgt auch Risiken, Unsicherheiten und Herausforderungen. Schließlich müssen selbstständige Anwälte

  • Mandate akquirieren,
  • ihre Finanzen und Buchhaltung im Blick behalten und
  • Kanzleimarketing erledigen (lassen).

Das kann für Selbstständige besonders in der Anfangszeit schwierig sein, weil es ihnen an entsprechender Erfahrung, eigenem Netzwerk und unterstützenden Mitarbeitern fehlt. Angestellte Anwälte in Kanzleien hingegen genießen vom ersten Tag des Anstellungsverhältnisses an all das, was selbstständigen Anwälten teils über einen längeren Zeitraum fehlt. Die Kehrseite der Selbstbestimmung ist nämlich u. a.

  • ein Mangel an Sicherheit, Stabilität und regelmäßigem Einkommen,
  • das Fehlen von bezahltem Urlaub und
  • das Fehlen von Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.

Selbstständigkeit ist Typsache

Der vorteilhaften Freiheit stehen also einige handfeste, existenzbestimmende Nachteile bzw. Herausforderungen gegenüber. Warum sind also Selbstständige dennoch meist glücklicher als Angestellte? Die Antwort klingt banal einfach: Selbstständigkeit ist Typsache.

Was für ein Typ oder Charakter jemand ist, das wird großteils im Elternhaus geprägt. Wer in einem Unternehmerhaushalt aufgewachsen ist, schon während des Studiums gejobbt und eigenes Geld verdient hat, hat früh gelernt, sein Leben aktiv zu gestalten. Wer hingegen bis zum 2. Staatsexamen hindurch zu Hause wohnte und stets mit üppigem monatlichen “Taschengeld” ausgestattet wurde, hat derlei Erfahrungen oft nicht gemacht. Eigenes Geld zu verdienen, sich einen Job zu suchen, Arbeit und Studium miteinander in Einklang zu bringen – all das lässt Studenten reifen und formt ihr Mindset.

Doch ebenso prägt es, wenn das Geld bis zum Berufseinstieg “einfach so geflossen ist”. Das führt ggf. schon während Studium und Referendariat zu einem gewissen Lebensstandard (Markenkleidung, Reisen, Auto), den der frisch gebackene Assessor nicht mehr missen möchte. Da bietet sich die Festanstellung natürlich an, denn die Selbstständigkeit würde erst mal viel Arbeit und deutlich weniger Lohn bedeuten. Das Monetäre ist für viele einfach reizvoller.

Bei anderen hingegen haben sich schon früh Charakterzüge geformt, die für das Selbstständigen-Mindset förderlich sind. Sie sind nicht daran gewöhnt, alles vorgesetzt zu bekommen, haben womöglich schon Schicksalsschläge oder schwierige Zeiten durchleben müssen und sind dadurch resilient genug, mit den Herausforderungen einer Selbstständigkeit klar zu kommen. Ein großer Motivator ist, dass sie sich nicht vorstellen können, in nahezu allen Belangen fremdbestimmt zu sein. Sie sind bereit, anfangs finanziell zurückzustecken, dafür aber von Beginn an der eigene Chef zu sein.

Warum sind nicht mehr Menschen selbstständig?

Selbstständige müssen bereit sein, viele Aufgaben und Verantwortlichkeiten zu übernehmen, die in ihrer Unterschiedlichkeit meist deutlich über jene von Festangestellten hinausgehen. Die Bereitschaft, Risiken einzugehen, mit finanzieller Unsicherheit umzugehen, viel zu arbeiten und sich nebenbei noch stets selbst zu vermarkten, haben nicht viele Menschen. Das, was die Selbstständigen besonders schätzen – die Selbstbestimmtheit und Freiheit, nahezu alles nach den eigenen Vorstellungen zu regeln –, ist zudem auch nicht jedermanns Sache. Vielen ist besonders die finanzielle Sicherheit einer Anstellung, der vorgegebene Rahmen und das Eingebundensein in ein Team wichtiger.

Wenn der Lohn Schmerzensgeld ist

Am Ende bleibt festzuhalten, dass jeder seines Glückes Schmied ist. Selbstständigen braucht man das nicht zu sagen. Sie sind meist sehr zufrieden mit ihrem Berufsleben. Umfragen zeigen jedoch Jahr für Jahr, dass ein Großteil der Angestellten unzufrieden sind. Und das, obwohl sie sich freiwillig in das Arbeitsverhältnis begeben und abgewogen haben, dass ihnen der Gehaltsscheck am Ende wichtiger ist als eine komplett freie Gestaltung des Berufslebens. Viele merken jedoch erst nach einigen Jahren oder schlechten Chefs, dass in so manchen Anstellungen das ach-so-tolle Gehalt eher einem Schmerzensgeld gleicht und die Fremdbestimmung ihnen zu schaffen macht. Dann liegt es an ihnen, ihre Situation ernsthaft zu reflektieren und eine “Exit-Strategie” auszutüfteln. Vielleicht führt diese dann in ein anderes Unternehmen, vielleicht aber auch zum eigenen Kanzleischild.

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