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Die ersten 100 Tage als angestellter Anwalt in einer neuen Kanzlei

Warum der Start über Ihre Karriere entscheiden kann

Sie werden nie wieder so viel in eine Richtung bei einem Arbeitgeber bewegen können, wie in ihren ersten 100 Tagen. Bedenken Sie hierbei jedoch, dass das Pendel Ihres Erfolges in beide Richtungen ausschlagen kann. Damit für Sie die Zukunft in der neuen Kanzlei rosig ist und bleibt, haben wir Ihnen ein paar hilfreiche Gedanken zusammengestellt, die sicherstellen, dass Sie einen bleibend positiven Eindruck ab Tag 1 hinterlassen.

 

Die Bedeutung der ersten 100 Tage

Die ersten 100 Tage in einer neuen Kanzlei sind mehr als eine reine Einarbeitungszeit. Die reine Fachlichkeit spielt sogar nur eine begrenzte Rolle. Ihr Auftreten reicht weit darüber hinaus. Sie sind in einer Prüfungsphase – für sich selbst, jedoch vor allem auch für die Kanzlei.

Sie werden beobachtet: Wie treten Sie auf? Wie gehen Sie mit Mandanten, Kollegen und Partnern um? Wie schnell verstehen Sie Strukturen, Abläufe, Erwartungen?
Ihr Verhalten in diesen 100 Tagen legt den Grundstein für Ihr Standing – und entscheidet, ob Sie als Mitläufer oder als Potenzialträger wahrgenommen werden.

 

Erwartungen und unausgesprochene Regeln

Offiziell gibt es Arbeitsverträge, Organigramme und Aufgabenlisten. Der interessante Part ist aber, dass es vor allem darum geht, was Ihnen meist nicht gesagt wird. Denn inoffiziell gibt es Codes und Spielregeln, die nirgends stehen.

Wer sie nicht (er-)kennt, riskiert Reibungsverluste, die nicht sein müssen.

Beispiele:

  • Welche Partner gelten als Macher – und welche blockieren?
  • Wie werden Mandate verteilt – offiziell nach Fach, inoffiziell nach Vertrauen?
  • Wann gilt es, präsent zu sein – und wann ist Zurückhaltung klüger?

 

Wer diese ungeschriebenen Regeln früh versteht, vermeidet Fehler und baut schneller Vertrauen auf.

 

Fachliche Performance – aber richtig

Natürlich zählt Ihr juristisches Können. Aber Achtung: Examensergebnisse beeindrucken nur kurz, meist sind sie nur Eintrittsqualifikation, denn jeder Ihrer Kollegen verfügt entsprechende Noten. Bilden Sie sich also nicht zu viel darauf ein. Denn ab jetzt müssen Sie liefern – und zwar so, dass Ihr Output anschlussfähig ist.

Das bedeutet:

  • Saubere Arbeit: keine Flüchtigkeitsfehler.
  • Struktur: so aufbereiten, dass Partner es sofort nutzen können.
  • Pragmatismus: Lösungen, die Mandanten effektiv weiterbringen – nicht nur theoretische Exkurse. Exzellenz allein reicht nicht. Sie müssen zeigen, dass Sie im Team und für Mandanten funktionieren.
  • Effizienz: Fast der wichtigste Punkt der Erwartungen und das i-Tüpfelchen zur Effektivität: optimieren Sie niemals Nachkommastellen! Was Sie erstellen, muss inhaltlich passen und mit dem hierfür nötigen Aufwand passieren. Sie werden nicht für die „Schönheit der Arbeit“ bezahlt, sondern für Leistung, die physikalisch als Arbeit pro Zeit definiert ist.

 

Kommunikation und Wirkung

Juristische Arbeit ist das eine, Wirkung nach innen und außen das andere. Sie müssen lernen, sich von Anfang an in der Kanzlei sichtbar zu machen – jedoch ohne aufdringlich zu sein.

Das beginnt bei internen Meetings: präzise Beiträge statt Dauerreden. Bei Fragen – und Sie werden sicher viele haben – sollten Sie sich immer eins zuerst fragen: „Kann ich das auch selbst herausfinden?“. Wenn die Punkte außerhalb Ihrer Kenntnis bleiben, dann sammeln Sie die Punkte und arbeiten diese gesammelt mit einem kompetenten Ansprechpartner ab. Bitte stellen Sie auch jede Frage nur einmal. Wiederholungen sind für alle Beteiligten ermüdend, zeitraubend und rücken Sie in ein Licht, in welchem Sie nicht stehen möchten. Selbst wenn der Ansprechpartner direkt neben Ihnen sitzt – gilt: Überlegen Sie was Sie sagen wollen und ob Sie das nicht etwa selber lösen könnten. Unnötige Anfragen sollten folglich minimiert werden.

Beim Mandantenkontakt wie mit den Kollegen gilt: zuhören, Fragen stellen, Vertrauen schaffen. Wer nur still Mandate bearbeitet, bleibt unsichtbar. Wer kommuniziert, wird wahrgenommen. Fragen Sie gleich proaktiv was (Scope) von Ihnen erwartet wird und wie das Ergebnis aussehen soll. Für welche Themenfelder sind Sie künftig verantwortlich? Dies zeigt eine aktive Auseinandersetzung mit der Erwartung, die an Sie gestellt wird und macht Ihnen frühzeitig klar, was Sie erreichen müssen.

 

Netzwerke und Beziehungen

Die ersten 100 Tage sind die beste Zeit, um Beziehungen aufzubauen – bevor sich Schubladen verfestigen.

  • Suchen Sie Kontakt zu Kollegen, die schon länger da sind. Seien Sie freundlich, offen interessiert, beherzigen Sie aber eines unter allen Umständen: Integrität und Loyalität. Kaum etwas ruiniert Ihren Ruf gründlicher als Tratschen. Seien Sie wie ein Schwamm: Saugen Sie auf aber geben Sie nichts weiter!
  • Lernen Sie die Kanzleikultur von innen kennen – wer entscheidet, wer vernetzt, wer blockiert. Gibt es ggf. Partner, die sich größer machen als sie wirklich sind? Gibt es isolierte oder Leuchttürme, graue Eminenzen, die unsichtbar alles steuern? Fragen Sie neutral über Themenfelder und größere Mandate und Sie werden meist schnell brauchbare Informationen erhalten.
  • Knüpfen Sie möglichst rasch Mandantenkontakte, sobald es möglich ist. Gerade diese frühen Beziehungen können Jahre später entscheidend sein – für Mandatszuweisungen, Karriereschritte oder spätere Partnerentscheidungen. Kaum etwas wirkt besser auf Ihre Reputation in der Kanzlei, als das Lob eines Mandanten ggü. einem Partner.

 

Typische Fehler in den ersten 100 Tagen

Viele Associates tappen in dieselben Fallen:

  • Zu passiv: Warten, dass Aufgaben kommen. Angebotene Themen ablehnen.
  • Zu forsch: Sich profilieren wollen, bevor man die Spielregeln kennt.
  • Zu fachlich fixiert: Nur auf Rechtliches sehen und die Kanzleipolitik ignorieren.
  • Zu unsichtbar: Fleißarbeit leisten, aber keine eigene Spur hinterlassen.
  • Zu komplex: Bedenken haben, statt umzusetzen, Probleme suchen statt Lösungen, grundsätzlich negativen Vektor haben.
  • Zu arrogant: Ausschließlicher Fokus auf die Anwälte, sonstiges Personal ignorieren oder von oben herab behandeln.

 

Die Fülle der Ansätze mag herausfordernd erscheinen, doch es ist leichter als Sie vielleicht danken. Als Daumenregel können Sie sich fragen, wie ein perfekter neuer Kollege für Sie aussehen müsste, der zu Ihnen passt, wenn die Kanzlei Ihre wäre. Welche Charaktereigenschaften bräuchte eine solche Person für Sie? Meist ist das gar nicht so weit von der Realität entfernt.

 

Strategie für die ersten 100 Tage

Wie gehen Sie konkret vor? Eine mögliche Struktur:

Woche 1–2:

Beobachten, zuhören, die Kultur verstehen. Nehmen Sie sich bewusst zurück und lernen Sie die Kanzlei wie ein „Insider von außen“ kennen.

Welche informellen Hierarchien gibt es? Wer wird gehört, auch wenn er keinen Titel trägt? Was ist offiziell geregelt – und was läuft inoffiziell?

Nutzen Sie jede Gelegenheit, möglichst viele Kollegen persönlich kennenzulernen – vom Partner bis zur Assistenz. Ein freundliches Gespräch an der Kaffeemaschine wirkt deutlich nachhaltiger als ein allzu formales „Vorstellungsgespräch“.

Zusatztipp: Fragen Sie nicht zuerst nach Ihrem eigenen Vorteil. Gerade „Neue“, die den Fokus zu sehr auf Selbstoptimierung legen, erhalten schnell „einen Stempel“, der nicht vorteilhaft ist.

Woche 3–4:

Erste Akzente setzen. Jetzt ist die Zeit, fachlich zu glänzen – aber mit Bedacht. Arbeiten Sie sauber, klar strukturiert und – nach Möglichkeit – so, dass Partner oder Senior Associates Ihre Ergebnisse sofort verwenden können.

Kommunikation ist dabei entscheidend: keine Rede-Kaskaden, sondern präzise Beiträge. Machen Sie sichtbar, dass Sie mitdenken – nicht nur abarbeiten. Bieten Sie gezielt Unterstützung an, wenn Sie merken, dass jemand überlastet ist. Damit beweisen Sie Teamgeist, ohne sich anzubiedern.

Monat 2:

Beziehungen stärken und Feedback einholen.

Spätestens jetzt geht es um Bindung. Pflegen Sie Kontakte zu Mandanten, wenn Sie Gelegenheit dazu haben. Zeigen Sie, dass Sie mehr sind als eine „Schreibtischkraft“.
Fragen Sie aktiv nach Feedback – bei Partnern, Kollegen, Mentoren. Signalisieren Sie damit, dass Sie lernen und wachsen wollen. Und hören Sie wirklich zu, auch wenn es unbequem wird.

Monat 3:

Eigene Ideen platzieren und Verantwortung übernehmen.

Nach zwei Monaten haben Sie genug Einblick, um mehr als nur auszuführen. Wagen Sie es, eigene Gedanken einzubringen – sei es zur Mandatsbearbeitung, zu Prozessen oder zu kleinen Verbesserungen im Alltag.

Wählen Sie Ihre Themen mit Bedacht: Es geht nicht darum, das Kanzleimanagement auf den Kopf zu stellen, sondern darum, durchdachte Impulse zu geben, die Nutzen stiften.

Übernehmen Sie erste Verantwortung – für kleine Projekte, eigenständige Mandatsarbeit oder die Betreuung eines internen Themas. Zeigen Sie damit: Sie sind gekommen, um zu bleiben – und um die Kanzlei voranzubringen.

So wächst aus „neuer Mitarbeiter“ Schritt für Schritt ein klarer Player mit Potenzial.

 

Der psychologische Faktor

Nicht zu unterschätzen: die innere Haltung.

Die ersten 100 Tage sind auch ein Test für Ihr Selbstvertrauen.

Fühlen Sie sich klein, wirken Sie auch klein. Lassen Sie sich nicht durch unsachliche Kommentare aus der Bahn werfen. Auch heute kann es – insbesondere in kleineren Kanzleien – noch passieren, dass unprofessionelle Äußerungen vorkommen. Dahinter steckt vielleicht eine komplexe Person. Bleiben Sie ein offener Mensch. Treten Sie souverän auf, werden Sie als gleichwertiger Gesprächspartner wahrgenommen.

Balance ist der Schlüssel: bescheiden genug, um zu lernen – selbstbewusst genug, um ernst genommen zu werden. Wenn Sie nach innen strahlen, strahlt das aus und Sie werden andere mit Ihrer Stimmung anstecken!

 

Fazit

Die ersten 100 Tage in einer neuen Kanzlei sind ein sehr begrenztes Zeitfenster für Ihre Positionierung. Sie entscheiden, ob Sie sich am geschlossenen Fenster die Nase plattdrücken oder auch zu übermütig aus diesem herausfallen. Am besten stehen Sie aber mit breiten Schultern am Fenster, genießen den Ausblick und atmen kräftig ein. Denn Sie entscheiden, wie Sie gesehen werden, wie Ihre Karriere Fahrt aufnimmt – und ob Sie von Anfang an die richtigen Weichen stellen.

Wer sie aktiv gestaltet, legt die Basis für Partnerschaftsoptionen, Mandatsverantwortung und ein starkes Standing.

Wer sie verstreichen lässt, läuft Gefahr, jahrelang im Mittelmaß zu verharren.

Kurz: Machen Sie aus den ersten 100 Tagen Ihre Bühne – und nutzen Sie sie klüger als die meisten.

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