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Gesunde Führung in der Kanzlei – Warum und Wie?

Als Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen sind wir in unserem Arbeitsalltag mit vielen verschiedenen Herausforderungen konfrontiert. Dazu gehört auch, dass wir schon mit dem Berufseinstieg verschiedene Rollen einnehmen müssen. Wir sind fast immer direkt Führungskraft für andere Mitarbeitende und gleichzeitig Mitarbeitende für andere Rechtsanwälte.

Bedenkt man daneben, dass wir häufig eine überdurchschnittlich hohe Arbeitsbelastung haben, lange Arbeitszeiten und täglich mit komplexen rechtlichen Fragestellungen, ständigen Fristen sowie den Problemen anderer, insbesondere unserer Mandanten zu tun haben, verwundert es kaum, dass die Krankheitsfehlzeiten in den letzten Jahren immer weiter angestiegen sind. Burnout, Depressionen und andere stressbedingte Erkrankungen nehmen unter Rechtsanwälten und Rechtsanwältinnen drastisch zu. Angesichts dieser Belastungen rückt nicht nur das Thema Gesundheitsmanagement in den Fokus. Es stellt sich auch die Frage, wie wir als Führungskraft oder Kanzleiinhaber zur eigenen Gesundheit, aber auch der Gesundheit aller Mitarbeitenden – Berufsträger oder nicht – beitragen können.

Warum ist gesunde Führung in der Rechtsbranche wichtig?

Die psychosoziale Belastung in der Branche ist mittlerweile auch durch Studien dokumentiert. Laut aktuellen Erhebungen leiden mehr als ein Drittel der Anwälte in Deutschland an Burnout-Symptomen oder erheblichen Stresssymptomen.

Studienhinweis zum Nachlesen für Interessierte: Jacob, K., Löwe, J., Manz, D., Schindler, D. Strathausen, R. (2022) LLI White Paper. Lawyer wellbeing | Personal Health of Legal Professionals in Times of Disruption, liquid legal institute

Das lässt sich sicherlich auf viele verschiedene Faktoren zurückführen. Einer dieser Faktoren, und zwar ein ganz entscheidender, ist die Führungskultur. Die Führungskraft hat einen erheblichen Einfluss auf das allgemeine Wohlbefinden und insbesondere auf die emotionale Erschöpfung ihrer Mitarbeitenden.

Studienhinweis zum Nachlesen für Interessierte: Montano, D., Reeske, A., Franke, F., & Hüffmeier, J. (2017). Leadership, followers’ mental health and job performance in organizations: A comprehensive metaanalysis from an occupational health perspective. Journal of Organizational Behavior, 38(3), 327-350.

Wie kann es also sein, dass sich die Branche nicht um Führung kümmert? Diese Frage mag dem ein oder anderen nun etwas übertrieben vorkommen, aber lassen Sie mich erklären, warum ich schreibe, dass sich die Branche nicht um Führung kümmert.

Die Rechtsbranche muss sich um Führung kümmern!

Die meisten Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen kommen zur Führungsposition wie die Jungfrau zum Kind. Sie kommt mit der Stellung als Rechtsanwältin in der Kanzlei gegenüber den Serviceeinheiten und Geschäftsstellen oder mit dem Aufstieg in höhere Positionen, in denen ein Team von Rechtsanwälten zu leiten ist. Kaum jemand wird in der Rechtsbranche auf Führungsaufgaben vorbereitet oder lernt etwas darüber. Unser Jurastudium gibt in diesem Bereich nichts her und auch ansonsten stehen fachliche Weiterbildungen im Vordergrund.

Führungsaufgaben werden dann, wenn überhaupt, neben dem daily business übernommen. Die aller wenigsten können sich ausschließlich oder auch nur überwiegend um Führungsaufgaben kümmern. Ganz im Gegenteil! Ein Bericht der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK – STAR 2022) zeigt, dass durch den hohen Mandatsdruck und die zunehmende digitale Erreichbarkeit wenig Zeit für nicht-mandatsbezogene Tätigkeiten bleibt.

Es bleibt also keine Zeit, sich mit Teamführung, Förderung der Mitarbeitenden und strategischem (Personal) Management zu beschäftigen. Das führt dazu, dass es keine gute, insbesondere keine gesunde Führungskultur gibt, was wiederum dazu führt, dass mehr Mitarbeitende krank werden, kündigen, oder hinter ihrem Potenzial zurückbleiben, weil sie sich nicht wohlfühlen. Das bedeutet im Ergebnis, dass noch mehr Arbeit auf noch weniger Schultern verteilt werden muss und noch weniger Zeit für Führungsaufgaben bleibt…

Sie sehen: ein Teufelskreislauf.

Was ist gesunde Führung?

Wie Sie vielleicht schon meinen letzten Beiträgen entnommen haben, ist es mir wichtig, neben dem Problemaufriss auch immer Lösungsvorschläge mit an die Hand zu geben. Daher möchte ich Ihnen ein Modell zur gesunden Führung vorstellen.

Im Bereich der gesunden Führung ist Dr. Anne Katrin Matyssek eine führende Expertin. Ihre Ansätze, wie in ihrem Buch „Gesund in Führung!“ beschrieben, zielen darauf ab, Gesundheit und Wohlbefinden im Arbeitskontext nachhaltig zu fördern.

Selbstfürsorge

Sie geht davon aus, dass eine gesunde Führung auf mehreren Ebenen ansetzt und sowohl die Selbstfürsorge der Führungskräfte als auch die Unterstützung der Mitarbeitenden umfasst. Führungskräfte sollten also zuerst ihr eigenes Wohlbefinden und ihre eigene Gesundheit sichern, um als Vorbilder und stabile Unterstützer Mitarbeitende agieren zu können

Beispiel: Als Partner einer Kanzlei integrieren Sie regelmäßige Pausen in Ihren Arbeitsalltag und sorgen für ausreichend Ausgleich i.S.v. Freizeit- und sozialen Aktivitäten, sowie Schlaf. Durch dieses Verhalten werden Sie sich nicht nur selbst ausgeglichener fühlen, sondern sind auch Vorbild für Ihr Team und signalisieren, dass Selbstfürsorge wichtig, akzeptiert und gewollt ist.

Kommunikation

Hierauf aufbauend, bedeutet gesundheitsorientierte Mitarbeiterführung, Führung, die ein positives und gesundes Arbeitsklima und offene Kommunikation fördert. Hierfür bedarf es nach diesem Ansatz keinen großen strukturellen Änderungen.

Beispiel: Sie schaffen eine offene Kommunikationskultur, indem Sie Ihre Mitarbeitenden regelmäßig nach ihrem Wohlbefinden befragen, (vor allem auch positives) Feedback geben und ehrliches Feedback für sich selbst erfragen. Sie zeigen aufrichtiges Interesse an den individuellen Bedürfnissen der Mitarbeitenden und gehen auf diese ein. Das können z.B. flexible Arbeitszeiten sein, das kann z.B. ein JobRad anstelle des Bahntickets oder ein Abo für ein Fitnessstudio, oder glutenfreie oder vegane Optionen in Ihrer Kantine sein.

Selbstreflexion

Besonders wichtig ist, dass Führungskräfte regelmäßig das eigene Verhalten reflektieren, um es zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.

Beispiel: Sie reflektieren dabei über Fragen wie: „Wie habe ich in letzter Zeit in Stresssituationen reagiert?“, „Habe ich ausreichend Anerkennung für die Leistungen meiner Mitarbeitenden gezeigt?“, „Beachte ich deren Wünsche?“, „Wie drücke ich leistungsunabhängig Wertschätzung aus?

Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM)

Daneben sollte ein betriebliches Gesundheitsmanagement eingeführt und etabliert werden. Gesundheit muss fest in die Organisationskultur integriert werden. Das bedeutet vor allem, dass es die Maßnahmen des BGM nicht nur gibt, sondern, dass Führungskräfte aktiv daran teilnehmen und so auch Mitarbeitende dazu motivieren teilzunehmen.

Negativbeispiel: In der Kanzlei wird regelmäßig ein Resilienz-Training angeboten. Wer daran teilnimmt, erntet aber abschätzige Kommentare, sodass das Training immer schlechter besucht wird.

Die Vorteile gesunder Führung

Werden diese Grundsätze beachtet, stärkt gesunde Führung das Wohlbefinden und die Resilienz der Mitarbeitenden, reduziert Fehlzeiten und fördert die Produktivität. Mitarbeitende, die sich in einer unterstützenden und wertschätzenden Umgebung bewegen, sind engagierter und weniger anfällig für stressbedingte Erkrankungen wie Burnout.

Hinweis zum Nachlesen für Interessierte: Rigotti, T., Holstad, T., & Otto, K. (2014). Rewarding and sustainable health-promoting leadership. In Gesunde Führung: Ein Handbuch für die Praxis (S. 15-34). Springer.

Herausforderungen bei der Umsetzung

Die Umsetzung einer gesunden Führungskultur in Kanzleien bringt allerdings spezifische Herausforderungen mit sich. Diese sind teilweise in den Strukturen und der Arbeitskultur der Rechtsbranche verankert. Um hier eine erfolgreiche Transformation zu schaffen, müssen Kanzleien, diese Herausforderungen in den Blick nehmen und gezielt angehen.

Diese sind allerdings nicht unüberwindbar. Ich darf Ihnen zuletzt für die aus meiner Sicht größten Herausforderungen ein paar Denkanstöße und Gedankenexperimente mitgeben. Sie werden sehen, dass es einige Ansatzpunkte gibt, die in ihrer Umsetzung gar nicht so aufwändig sind, aber große Effekte haben werden.

Partnerstruktur ohne Kompetenzen für Geschäftsführung

Rechtsanwaltskanzleien sind im Gegensatz zu anderen Unternehmen meist partnerschaftlich organisiert, was dazu führt, dass sich im Verantwortungsbereich verschiedener Partner unterschiedliche Subkulturen herausbilden. Ein übergeordnetes Wertekonzept mit einer daran ausgerichteten Arbeits- und Führungskultur ist, wenn es überhaupt besteht, häufig nur ein netter Hinweis auf der Webseite.

Ein möglicher Lösungsansatz hierfür könnten Taskforces, Arbeitskreise oder Teams mit mehr als nur Zuständigkeiten, sondern Entscheidungs- und Umsetzungskompetenzen im Bereich Kanzleiwerte, Arbeits- und Führungskultur, Teambuilding sowie zur Erarbeitung und Etablierung fester Strukturen zur Umsetzung der entsprechenden Ideen sein. Wichtig: Für diese Aufgaben wird ein Zeitkontingent zur Verfügung gestellt und die entsprechenden Personen werden vom daily business freigestellt.

Hohe Arbeitsbelastung und „Always-on“-Mentalität

In der Rechtsbranche sind lange Arbeitszeiten und Erreichbarkeit außerhalb regulärer Arbeitszeiten normal und akzeptiert. Der hohe Erwartungsdruck wird durch digitale Kommunikationstechnologien noch verstärkt. Diese „Always-on“-Mentalität führt zu einer mentalen und physischen Erschöpfung, die es besonders schwer macht, gesundheitsfördernde Maßnahmen im Arbeitsalltag zu etablieren.

Worüber man mal nachdenken könnte, sind feste Zeiten für „digital detox“. Führungskräfte können als Vorbilder Grenzen setzen, indem sie keine E-Mails nach Feierabend senden oder auf Anfragen nicht sofort reagieren. Home-Office-Tage und flexible Arbeitszeiten sollten daneben mittlerweile eine Selbstverständlichkeit sein, um Belastungen durch zusätzliche Arbeitswege (Stichwort: lange Arbeitszeiten) und Ablenkungen zu reduzieren.

Widerstand gegen Veränderungen

Traditionell sind viele Kanzleien noch geprägt von eher konservativen Führungsstilen. Veränderungen werden oft als unnötig, bedrohlich oder sogar störend empfunden, weil sie erst für Unruhe sorgen, bevor die positiven Aspekte überwiegen.

Hier können Aufklärung, Fortbildungen, Führungskräfte Coachings und Workshops, die den Zusammenhang zwischen Gesundheit, gesteigerter Produktivität und Mitarbeiterbindung verdeutlichen, helfen. Zudem können „Pilotprojekte“ für gesunde Führung erste Erfahrungen liefern und zeigen, dass solche Maßnahmen die Kanzleikultur bereichern, ohne die Effizienz zu beeinträchtigen.

Risikovermeidung

In der Rechtsbranche herrscht überwiegend eine Kultur der Risikovermeidung. Das hilft in der Mandatsarbeit häufig ungemein, führt jedoch dazu, dass viele Kanzleien lieber auf kurzfristige Stabilität setzen und Innovationen vermeiden, die möglicherweise zu einem vorübergehenden Mehraufwand führen. Investitionen in eine gesunde Führungskultur, deren positive Effekte oft erst langfristig sichtbar werden, werden daher eher zurückgestellt.

Ideal wäre ein langfristiger Strategieplan, der gesundheitsfördernde Maßnahmen als strategisches Ziel definiert. Dieser sorgt für Planbarkeit. Veränderungen dürfen schrittweise eingeführt werden.

Gesunde Führung ist kein „nice to have“ sondern ein „must have“

Abschließend sei gesagt: Gesunde Führung ist kein „Nice-to-have“ (mehr). Sie muss als wesentlicher Bestandteil der Kanzleistrategie verankert werden. Um den vollen Nutzen zu entfalten, ist es wichtig, dass Kanzleien gesundheitsfördernde Maßnahmen und Führungskonzepte aktiv in ihren Arbeitsalltag integrieren.

Dies beginnt – um den Kreis zu schließen – bei der Sensibilisierung der Führungskräfte für die Bedeutung ihrer Aufgaben als Führungskraft.

 

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