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Elektronische Einreichung des Antrags auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses durch einen Rechtsanwalt in elektronischer Form – verfassungskonform?

Mit dem Infobrief Zwangsvollstreckung 1/2022 haben wir uns intensiv mit den Wirrungen und Unwägbarkeiten des Gesetzgebers im Hinblick auf die Umsetzung des elektronischen Rechtsverkehrs in der Zwangsvollstreckung beschäftigt.

Nunmehr möchten wir mit der letzten Ausgabe des Infobriefes Zwangsvollstreckung für das Jahr 2022 auch mit einer wichtigen Entscheidung des LG Hamburg, Beschl. v. 30.5.2022 – 304 T 12/22, im Bereich des elektronischen Rechtsverkehrs in der Zwangsvollstreckung schließen:

Ausgangsfall:

In einem vom LG Hamburg zu entscheidenden Fall ging es darum, dass sich ein Rechtsanwalt auf den Standpunkt gestellt hat, der Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses müsse nicht via beA in elektronischer Form eingereicht werden. Die Papierform wäre ausreichend. Er argumentierte damit, dass der Gesetzgeber für die Gerichtsvollziehervollstreckung gemäß § 753 Abs. 5 ZPO ausdrücklich auf § 130d ZPO verwiesen habe. Ein derartiger Verweis fehle allerdings für die Vorschriften auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses. Die elektronische Einreichung von Vollstreckungsanträgen werde sogar vielmehr durch die Regelungen in §§ 754a, 829a ZPO eingeschränkt. Auch hat sich der Gläubigervertreter auf die Ungleichbehandlung zwischen der Anwaltschaft und der Inkassowirtschaft berufen: Diese dürfen ihre Anträge weiterhin in Papierform einreichen, was zu weitaus weniger Verzögerungen (Monierungen, Zuordnung der Papiertitel zur Akte etc.) führe.

Das LG Hamburg hat die sofortige Beschwerde des Gläubigers zurückgewiesen, jedoch wegen grundsätzlicher Bedeutung die Rechtsbeschwerde zum BGH zugelassen. Die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde hat das LG Hamburg wie folgt begründet:

(Redaktionelle Anmerkung: Die Entscheidungsgründe wurden wörtlich so übernommen.)

Begründung der Zurückweisung:

Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie Form und fristgerecht eingelegt worden.

Sie ist aber unbegründet. Das Amtsgericht hat den Erlass des beantragten Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses zu Recht abgelehnt.

Der Antrag des Gläubigers ist unwirksam und daher unzulässig, denn er wurde nicht in der nach den §§ 130a, 130d ZPO vorgeschriebenen elektronischen Form übermittelt.

1. Zurecht ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass die §§ 130a, 130d ZPO auch ohne expliziten Verweis auf die Anträge nach §§ 828 ff. ZPO unmittelbar anwendbar sind.

Gem. § 130a Abs. 1, § 130d S. 1 ZPO sind u.a. schriftlich einzureichende Anträge als elektronische Dokumente bei Gericht einzureichen. Nur soweit die elektronische Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig (§ 130d S. 2 und 3 ZPO).

Die Einreichung ist eine Frage der Zulässigkeit und daher von Amts wegen zu beachten. Bei Nichteinhaltung ist die Prozesserklärung nicht wirksam. Im Falle der Klage erfolgt eine Abweisung durch Prozessurteil (BT-Drucks 17/12634, S. 27; LG Frankfurt a.M. Versäumnisurteil vom 19.1.2022 – 2-13 O 60/21 m.w.N.).

Dabei gilt § 130d S. 1 ZPO grundsätzlich für alle anwaltlichen schriftlichen Anträge und Erklärungen nach der ZPO (BT-Drucks 17/12634, S. 28). Hierunter fällt auch der Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, denn dieser ist gern. § 2 ZVFV auf einem Formular eigenhändig zu unterschreiben oder mit qualifizierter Signatur zu versehen (Riedel, in: BeckOK ZPO, 44. Ed. 1.3.2022, § 829 ZPO Rn 18a f.; Flockenhaus in: Musielak/Voit, 19. Aufl. 2022, § 829 ZPO Rn 2a). Einer gesonderten Verweisungsnorm nach dem Vorbild des Klarstellungszwecken dienenden § 753 Abs. 5 ZPO (vgl. Seibel in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 753 ZPO Rn 16) für Anträge, die zur Vollstreckung an den Gerichtsvollzieher zu richten sind, bedarf es vor diesem Hintergrund nicht.

2. Anderes folgt nicht aus der Regelung in § 829a ZPO, nach der bei Pfändung und Überweisung einer Geldforderung die Übermittlung der Ausfertigung des Vollstreckungsbescheids entbehrlich ist. Voraussetzung ist u.a., dass die sich daraus ergebende Forderung einschließlich titulierter Nebenforderungen und Kosten nicht mehr als 5.000 EUR beträgt.

§ 829a ZPO dient der Vereinfachung und Beschleunigung des Zwangsvollstreckungsverfahrens unter bestimmten Voraussetzungen. Die Vorschrift hat keine Einschränkung des Anwendungsbereichs von § 130d ZPO zum Gegenstand (Flockenhaus in: Musielak/Voit, 19. Aufl. 2022, § 829a ZPO Rn 1; Riedel in: BeckOK ZPO, 44. Ed. 1.3.2022, § 829a ZPO Rn 8, Herget in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 829a ZPO Rn 2), was sich bereits aus dem Wortlaut der Norm ergibt: „Im Fall eines elektronischen Antrags zur Zwangsvollstreckung aus einem Vollstreckungsbescheid“.

Soweit der Gläubiger geltend macht, dass § 829a ZPO Gläubiger in der Zwangsvollstreckung ungleich behandelt, trifft dies zu. Indes ist diese Ungleichbehandlung gerechtfertigt. Mit der Regelung geht neben dem Entfallen der Vorschusspflicht (§ 12 Ab. 6 S. 2 GKG) eine beschränkte Überprüfung der Vollstreckungsvoraussetzungen einher, sodass der Gesetzgeber den Anwendungsbereich zum Schutz der Schuldner wertmäßig begrenzt hat (siehe BT-Drucks 16/10069, S. 34; Flockenhaus in: Musielak/Voit, 19. Aufl. 2022, § 829a ZPO Rn 2). Soweit der Gesetzgeber diese Grenze bei dem Betrag von 5.000 EUR gezogen hat, ist weder vorgebracht noch sonst ersichtlich, dass dieser Betrag verfehlt ist.

3. Ebensowenig ist die Pflicht zur elektronischen Antragsübermittlung aus § 130d ZPO wegen des mit der Zuordnung des papierförmigen Titels bei Gericht verbundenen Mehraufwands teleologisch zu reduzieren.

Es fehlt schon an der hierfür erforderlichen planwidrigen Regelungslücke. Ausweislich der Gesetzesbegründung gilt § 130d nicht nur für das Erkenntnisverfahren im ersten Rechtszug, sondern grundsätzlich für alle anwaltlichen schriftlichen Anträge und Erklärungen nach der ZPO (BT-Drucks 17/12634, S. 28). Dass die Einführung der elektronischen Dokumentenführung innerhalb einer – ggf. auch längeren – Übergangszeit durch die Parallelität papierförmiger und elektronischer Dokumente Mehraufwand bei der Verfahrensbearbeitung nach sich ziehen werde, lag dabei offen zu Tage und war dem Gesetzgeber bewusst. Zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten hat er sich jedoch entschieden, dies in Kauf zu nehmen. Soweit dieser Mehraufwand auch eine Verzögerung der Zwangsvollstreckung nach sich zieht, hat das Amtsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass nach § 12 Abs. 6 GKG ohnehin der Gerichtskostenvorschuss zunächst anzufordern oder dem Antrag zuzuordnen ist. Nach dem in § 12 Abs. 6 S. 2 ZPO normierten Verzicht auf den Vorschuss im Anwendungsbereich der Vereinfachungsvorschrift in § 829a ZPO spricht auch die Gesetzessystematik gegen die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke.

4. Schließlich ist eine teleologische Reduktion nicht zur verfassungskonformen Auslegung der Vorschrift dahingehend geboten. Zwar können Gläubiger, die von einem Rechtsanwalt vertreten werden, nach § 130d ZPO seit dem 1.1.2022 keine Vollstreckungsanträge in Papierform einreichen während Gläubiger, die von einem Inkassodienstleister vertreten werden dies weiterhin können.

Hieraus folgt jedoch kein ungerechtfertigter Eingriff in die Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1, Art. 12 GG. Dabei hat die Kammer schon Zweifel daran, dass § 130d ZPO wesentlich Gleiches ungleich behandelt. Dass die Vorschrift nur Rechtsanwälte, nicht aber Inkassodienstleister verpflichtet, lässt sich auf deren Funktion als Organe der Rechtspflege zurückführen, die mit besonderen Rechten und Pflichten ausgestattet sind. So sind Rechtsanwälte, nicht aber Inkassodienstleister, an die sicheren Übermittlungswege des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs angebunden. Die ZPO bringt der Rechtsanwaltschaft bereits auf normativer Ebene erhebliches Vertrauen entgegen (vgl. § 88 Abs. 2 ZPO), mit dem im Gegenzug auch Vorteile einhergehen. So steht nur Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten die Nutzung des vereinfachten Vollstreckungsverfahrens nach § 829a ZPO offen.

Eine mit § 130d ZPO einhergehende Ungleichbehandlung der Anwaltschaft wäre – auch im Lichte des verfassungsrechtlich verankerten Grundrechts auf Berufsfreiheit aus Art. 12 GG – aber jedenfalls verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Die weitreichende Nutzungspflicht für elektronische Dokumentenübermittlung soll der einheitlichen Umstellung auf den elektronischen Rechtsverkehr Vorschub leisten. Insoweit ist zunächst die weitreichende Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers zu berücksichtigen. Dass mit der Nutzungspflicht unter gewissen Umständen auch Nachteile verbunden sein, führt damit noch nicht unmittelbar zu einem verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigenden Grundrechtsverstoß. Es ist zudem nicht ersichtlich, dass über die Verzögerung, die mit Zuordnung oder Anforderung des Gerichtskostenvorschusses hinaus mit der Parallelität elektronischer und papierförmiger Einreichung tatsächlich schwerwiegende Verzögerungen oder sonstige Benachteiligung des Gläubigers eintreten, wegen der die mit der Vorschrift angestrebte Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs gegenüber der mit ihr verbundenen Benachteiligung nicht mehr angemessen ist.

Anmerkung zu dieser Entscheidung:

Es ist in der Tat schade, dass das LG Hamburg den Dilettantismus des Gesetzgebers im Bereich des elektronischen Rechtsverkehrs im Bereich der Zwangsvollstreckung im Ergebnis so hinnimmt und letztlich versucht schön zu reden. Schlichtweg falsch ist jedoch die Feststellung des LG Hamburg dahingehend, dass angeblich der Anwaltschaft im Bereich des elektronischen Rechtsverkehrs in der Zwangsvollstreckung auch Vorteile gegenüber Inkassounternehmen einhergehen. Es ist spätestens seit der Einführung des § 753a ZPO zum 1.1.2021 selbstverständlich auch den Inkassounternehmen möglich, das vereinfachte Vollstreckungsverfahren nach § 829a ZPO zu nutzen. Insoweit läuft das Argument des LG Hamburg ersichtlich leer und es befremdet, wenn das LG Hamburg in einer Entscheidung vom 30.5.2022 offenbar die Vorschrift des § 753a ZPO nicht kennt, welche immerhin 1,5 Jahre zuvor in Kraft getreten ist.

Auch kommt es unserer Meinung nach für den Grundrechtseingriff weniger darauf an, dass Anwälte und Inkassodienstleister unterschiedlich behandelt werden. Tatsächlich benachteiligt ist doch im Ergebnis der Gläubiger. Der nämlich ist womöglich allein dadurch schlechter gestellt, dass er sich vertrauensvoll an einen Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege wendet und allein deshalb womöglich ein nachrangiges (!) Pfandrecht gegenüber einem anderweitigen Gläubiger nur begründen kann, weil dieser von einem Inkassounternehmen vertreten wird. Das nämlich kann den Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vollständig und zusammen mit den Vollstreckungsunterlagen beim Vollstreckungsgericht einreichen. Dieser Antrag wird möglicherweise schneller erlassen und kann damit schneller an den Drittschuldner zugestellt werden. Auf diese untragbare Situation, für welche es auch keine nachvollziehbare, geschweige denn sinnhafte Begründung des Gesetzgebers gibt, geht das LG Hamburg – leider – mit keinem Wort in der Beschlussbegründung ein.

Erfreulicherweise hat jedoch das LG Hamburg die Rechtsbeschwerde zum BGH zugelassen und es darf gehofft werden, dass der Gläubiger diese auch eingereicht hat, um Rechtssicherheit zu schaffen. Zumindest aber wird erreicht, dass der Gesetzgeber im Bereich des elektronischen Rechtsverkehrs in der Zwangsvollstreckung ordentlich und vor allem praxistauglich nachbessert.

Soweit bekannt, evaluieren im Moment die Gerichte die Sinnhaftigkeit der Vorschrift des § 829a ZPO und es wird überlegt, ggf. weitere Vollstreckungstitel (bisher nur Vollstreckungsbescheid möglich) mit einzubinden. Wir hoffen inständig, dass nun einmal der Mut aufgebracht wird, sowohl die Bezeichnung der Vollstreckungstitel als auch die Forderungshöhe ersatzlos in den §§ 754a, 829a ZPO zu streichen, da somit praktisch sämtliche Probleme des elektronischen Rechtsverkehrs in der Praxis behoben wären. Das Scheinargument des Gesetzgebers, wonach aufgrund der Deckelung der Forderungshöhe der Schuldner geschützt werde, ist doch schon deshalb obsolet, weil sowohl die Vorschrift des § 829a ZPO als auch die Vorschrift des § 754a ZPO es dem Vollstreckungsorgan vorbehält, bei Zweifel am elektronisch übermittelten Titel das Original des Titels anzufordern. Insoweit sollte der Gesetzgeber auch Vertrauen seinen eigenen Vollstreckungsorganen, namentlich den Rechtspflegern und Gerichtsvollziehern entgegenbringen. Und schließlich wird in der gesamten Diskussion übersehen, dass auch der Schuldner die Möglichkeit hat, die jeweilige Vollstreckungsmaßnahme mit der Erinnerung gemäß § 766 ZPO anzugreifen. Mehr Schutz ist nach diesseitigem Verständnis wahrlich nicht angezeigt.

Insoweit darf man auf Einsicht im Jahr 2023 hoffen. Wir werden jedenfalls berichten!

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