Fiktive Schadensabrechnung: Ermittlung der Berechnungsgrundlagen
Bei fiktiver Schadensabrechnung ist der objektiv zur Herstellung erforderliche Betrag (§ 249 Abs. 2 Satz 1 BGB) ohne Bezug zu tatsächlich getätigten Aufwendungen zu ermitteln. Der Geschädigte ist nicht verpflichtet, zu den von ihm tatsächlich veranlassten oder auch nicht veranlassten Herstellungsmaßnahmen konkret vorzutragen.
BGH, Urt. v. 28.1.2025 – VI ZR 300/24
Leasing: Anspruchmehrheit
Macht ein Leasingnehmer deliktische Schadensersatzansprüche wegen der Beschädigung des von ihm geleasten Fahrzeugs geltend, können zur Begründung sowohl eigene Ansprüche des Leasingnehmers wegen Verletzung seines Besitzrechts als auch in gewillkürter Prozessstandschaft geltend gemachte Ansprüche des Leasinggebers in Betracht kommen. Dabei handelt es sich um unterschiedliche Streitgegenstände. Der Leasingnehmer muss zur Vermeidung einer unzulässigen alternativen Klagehäufung eindeutig zum Ausdruck bringen, wessen Ansprüche er geltend macht.
BGH, Urt. v. 21.1.2025 – VI ZR 141/24
Reiserecht: Unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände
Umstände, die in die Risikosphäre einer Vertragspartei fallen, sind grundsätzlich keine unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände im Sinne von § 651h Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BGB. Ein der Risikosphäre des Reisenden zuzurechnender Grund liegt grundsätzlich vor, wenn der Reisende zur Teilnahme an der Reise nicht in der Lage ist, weil seine Gesundheit ihm dies nicht erlaubt (Bestätigung von BGH, Urt. v. 16.5.2017 – X ZR 142/15, NJW 2017, 2677). Dasselbe gilt, wenn ein begründeter Verdacht auf eine Covid-19-Infektion einer Teilnahme an der Reise entgegensteht.
BGH, Urt. v. 18.2.2025 – X ZR 68/24
Übergabe eines gebrauchten Pkw: Übergabe auf einem Parkplatz
Nach § 932 Abs. 2 BGB ist der Erwerber nicht in gutem Glauben, wenn ihm bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört. Der Vorwurf der grob fahrlässigen Unkenntnis vom fehlenden Eigentum des Veräußerers setzt dabei zunächst das Bestehen einer Pflicht des Erwerbers voraus, sich Kenntnis zu verschaffen. Im Fall des Erwerbs eines gebrauchten Fahrzeugs begründet der Besitz des Fahrzeugs allein noch nicht den für den Gutglaubenserwerb nach § 932 BGB erforderlichen Rechtsschein. Zu den Mindesterfordernissen für einen gutgläubigen Erwerb eines gebrauchten Kraftfahrzeugs gehört in der Regel, dass sich der Erwerber den Kraftfahrzeugbrief bzw. die Zulassungsbescheinigung Teil II vorlegen lässt, um die Berechtigung des Veräußerers zu prüfen. Auch wenn der Veräußerer im Besitz des Fahrzeugs und des Briefs ist, kann der Erwerber bösgläubig sein, wenn besondere Umstände seinen Verdacht erregen mussten und er diese unbeachtet lässt. Eine allgemeine Nachforschungspflicht des Erwerbers besteht nicht.
OLG Celle, Urt. v. 28.2.2025 – 14 U 183/24
Wiedereinsetzung: Glaubhaftmachung
Begehrt eine Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, hat sie einen Verfahrensablauf vorzutragen und glaubhaft zu machen, der ein Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der Nichteinhaltung der Frist zweifelsfrei ausschließt (BGH, Beschl. v. 6.9.2023 – IV ZB 4/23, NJW 2023, 3432 Rn 11 m.w.N.). Der Vortrag, in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten werde vor Büroschluss noch einmal kontrolliert, „ob alle Fristsachen erledigt sind“, impliziert nicht, dass die spezifischen, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an eine wirksame Ausgangskontrolle gestellten Anforderungen erfüllt worden sind; er ist damit nicht geeignet, ein Verschulden der Prozessbevollmächtigten der Partei an der Nichteinhaltung der Frist zweifelsfrei auszuschließen.
BGH, Beschl. v. 25.2.2025 – VI ZB 36/24
Tankbetrug: Vollendung/Versuch
Die Annahme der Tatvollendung in Fällen eines sog. Tankbetruges setzt voraus, dass der Täter durch (konkludentes) Vortäuschen seiner Zahlungsbereitschaft bei einem Tankstellenbeschäftigten einen Irrtum hervorruft, der anschließend zu der schädigenden Vermögensverfügung (Einverständnis mit dem Tankvorgang) führt. Hierfür ist die Feststellung erforderlich, dass der Tankvorgang vom Personal überhaupt bemerkt wurde. Fehlt eine entsprechende Feststellung, ist mangels Irrtumserregung nur ein versuchter Betrug gegeben.
BGH, Beschl. v. 21.1.2025 – 6 StR 676/24
Entziehung der Fahrerlaubnis: Langer Zeitablauf
Liegt die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat bereits länger (hier: mehr als 15 Monate) zurück, kann es an dem nach für eine vorläufige Entziehung § 111a StPO notwendigen vorläufigen Sicherungsbedürfnis fehlen. Wenngleich eine Fahrerlaubnis auch noch mit Erhebung der Anklage oder später vorläufig entzogen werden kann, sind mit zunehmender zeitlicher Distanz zwischen Tatgeschehen und dem Zeitpunkt des vorläufigen Entzuges der Fahrerlaubnis erhöhte Anforderungen an die Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs und dem Schutz der Allgemeinheit einerseits und dem Interesse des Fahrerlaubnisinhabers an der uneingeschränkten Nutzung seiner Fahrerlaubnis andererseits zu stellen.
LG Koblenz, Beschl. v. 3.4.2025 – 3 Qs 16/25
Geschwindigkeitsüberschreitung: Vorsatz
Die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h auf einer BAB um mindestens 45 km/h ist als zumindest „bedingt“ vorsätzlich zu qualifizieren. Dass dem Betroffenen der Umfang einer Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 45 km/h ggf. nicht exakt bekannt war, steht der Annahme von (bedingtem) Vorsatz nicht entgegen. Denn die Differenz zwischen erlaubter und tatsächlich gefahrener Geschwindigkeit ist in diesem Fall so erheblich, dass jeder Kraftfahrer merken musste, dass er nicht nur zu schnell, sondern erheblich zu schnell fuhr.
OLG Brandenburg, Beschl. v. 14.2.2025 – 1 ORbs 280/24
Beweisverwertungsverbot: Keine Speicherung von Rohmessdaten
Dem Bundesgerichtshof wird die Sache zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt: Unterliegt das Ergebnis einer mittels standardisiertem Messverfahren erfolgten Geschwindigkeitsmessung aufgrund einer mit den Grundsätzen eines fairen rechtsstaatlichen Verfahrens i.S.v. Artikel 2 Abs. 1 i.V.m. Artikel 20 Abs. 3 GG unvereinbaren Beschränkung der Verteidigung im Ordnungswidrigkeitenverfahren einem Beweisverwertungsverbot, wenn die zur Messwertbildung erfassten und verarbeiteten Daten (sog. Rohmessdaten) nicht gespeichert werden, obwohl dies technisch möglich wäre und anhand der Daten die Messwertbildung und der Messwert innerhalb der Verkehrsfehlergrenze überprüft werden könnten, andere, gleichermaßen zuverlässige Verteidigungsmittel zur Überprüfung des Messwertes nicht zur Verfügung stehen und der Betroffene der Verwertung des Messergebnisses unter Hinweis auf die fehlende Möglichkeit zu dessen Überprüfung widerspricht.
OLG Saarbrücken, Beschl. v. 10.4.2025 – 1 Ss (OWi) 112/24
Messung mit Provida 2000 modular: Toleranzwert
Erfolgt die Geschwindigkeitsbestimmung mittels des Messgerätes ProVida 2000 modular durch eine Zeit-/Wegstreckenmessung und eine manuelle Berechnung der Geschwindigkeit durch nachträgliche Auswertung des Videomaterials, sind die spezifischen Toleranzwerte für Zeit- (plus 0,1 % der gemessenen Zeit vermehrt um 0,02 s) und Wegstreckenmessungen (abzüglich 4 % des gemessenen Wegs, mindestens aber 4 m) anzuwenden.
OLG Zweibrücken, Beschl. v. 12.2.2025 – 1 ORbs 2 SsBs 50/24
Fahrverbot: Absehen
Von einem Regelfahrverbot kann jedenfalls unter Anwendung des § 4 Abs. 4 BKatV und damit einhergehender Erhöhung der Geldbuße abgesehen werden, wenn zwischen der Anlasstat und der Verurteilung ein anderes zweimonatiges Fahrverbot vollstreckt wurde (entgegen BayObLG, NStZ-RR 2021, 351)
AG Dortmund, Urt. v. 6.3.2025 – 729 OWi-256 Js 159/25 -16/25
Wiedereinsetzung: Verteidigerverschulden
Beruht eine Entscheidung, die ein Rechtsmittel als unzulässig verwirft, auf einer – nicht erkennbar – unvollständigen oder falschen Aktenlage, ohne dass jene unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zustande gekommen ist, ist ausnahmsweise eine nachträgliche Aufhebung bzw. Abänderung anerkannt. Auch in der Fallgestaltung des dem Angeklagten nicht zuzurechnenden Verteidigerverschuldens für die Fristversäumung kommt es für die Wahrung der Wochenfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO zwischen Wegfall des Hindernisses und Antragseingang auf die Kenntnis des Angeklagten selbst an. Jedoch kann ausnahmsweise ein fehlender Vortrag hierzu unschädlich sein, wenn weder die dargestellte Sachlage noch der Akteninhalt irgendeinen Anhalt dafür bieten, wie der Angeklagte vor seinem Verteidiger Kenntnis von der Fristversäumung erlangt haben könnte.
BGH, Beschl. v. 12.2.2025 – 4 StR 529/24
beA/technische Unmöglichkeit: Ausnahme von der Glaubhaftmachung
Die von § 32d Satz 4 Hs. 1 StPO vorgeschriebene Glaubhaftmachung ist nicht erforderlich, wenn der Grund der vorübergehenden technischen Unmöglichkeit im Sinne von § 32d Satz 3 StPO gerichtsbekannt oder allgemeinkundig ist.
OLG Stuttgart, Beschl. v. 19.2.2025 – 1 Ws 44/25
Belehrung: Tatverdacht, Beweisverwertungsverbot, Widerspruch
Ein zur Belehrung des Betroffenen verpflichtender starker Tatverdacht hinsichtlich einer Drogenfahrt besteht auch dann, wenn der Betroffenem Zeitpunkt der Durchführung eines des Drogenschnelltests zwar stark nervös ist und starkes Lidflattern aufweist, da das aus Sicht des kontrollierenden Beamten auch andere Gründe haben kann als den Konsum von Drogen. Ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach § 136 Abs. 1 S. 2 StPO löst ein Verwertungsverbot nur dann aus, wenn der verteidigte Betroffene einer Verwertung des unter Verstoß gegen diese Bestimmung gewonnenen Beweismittels bis zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt widersprochen hat.
OLG Brandenburg, Beschl. v. 10.2.2025 – 1 ORbs 284/24
Einstellung des Bußgeldverfahrens: Auslagenentscheidung
Scheut das Gericht eine von ihm selbst für erforderlich gehaltene Sachaufklärung und stellt das Verfahren gem. § 47 Abs. 2 OWiG ein, kann das Ermessen hinsichtlich der Auslagenentscheidung willkürfrei regelmäßig nur dahingehend ausgeübt werden, dass es bei der grundsätzlichen Regelung des § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG zu verbleiben hat.
LG Frankfurt am Main, Beschl. v. 25.3.2025 – 5/9 Qs OWi 20/25
Fahrtenbuchauflage: Aussageverweigerung
Ein sog. „doppeltes Recht“, nach einem Verkehrsverstoß im Ordnungswidrigkeitenverfahren die Aussage zu verweigern und zugleich trotz fehlender – bzw. unzureichender – Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers auch von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben, besteht nicht.
OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 6.2.2025 – 3 M 4/25
Mehrere Ermittlungsverfahren: Erstreckung; Begriff der Angelegenheiten
Voraussetzung dafür, dass der Pflichtverteidiger neben den Gebühren im führenden Verfahren weitere Gebühren für Tätigkeiten in hinzuverbundenen Verfahren erhält, ist, dass er in letzteren vor der Verbindung tatsächlich tätig geworden ist. Seine dahingehende Tätigkeit muss einen konkreten Verfahrensbezug dergestalt aufweisen, dass sie auf einen hinreichend nach Tatort und Tatzeit abgrenzbaren Tatvorwurf bezogen ist. Für die Bestimmung des Begriffs der selben Angelegenheit im Sinne von § 15 Abs. 2 RVG ist maßgebend, wie die Strafverfolgungsbehörden die Sache behandeln. Dass aus organisatorischen oder statistischen Gründen zunächst separat geführte Verfahren eines Beschuldigten zu einem späteren Zeitpunkt zusammengeführt und dann einheitlich bearbeitet werden, begründet keine kostenrechtlich eigenständigen Angelegenheiten der Ursprungsverfahren.
OLG Koblenz, Beschl. v. 19.2.2025 – 6 Ws 651/24