Beitrag

Keine Abkoppelung des Haushaltsführungsschadens vom Reallohn

1. Bei der fiktiven Berechnung eines Haushaltsführungsschadens kann ein Nettostundenlohn von 8,00 EUR nicht ohne Erläuterung der tatsächlichen Grundlagen dieser Schätzung angenommen werden.

2. Als Bezugsgröße kommt der im maßgeblichen Zeitraum geltende Mindestlohn als Untergrenze des Bruttolohns in Betracht, auf dessen Basis sodann im Rahmen der vorzunehmenden Abschläge der Nettostundenlohn ermittelt werden kann, wobei der Tatrichter das Abstellen auf den Mindestlohn als taugliche Schätzungsgrundlage gesondert begründen muss.

3. Der in § 21 JVEG bestimmte Stundensatz im Rahmen der Zeugenentschädigung für eine entfallene Haushaltsführungstätigkeit ist keine taugliche Grundlage für die Bestimmung des Stundenlohns bei einem Haushaltsführungsschaden. (Leitsätze des Verfassers)

BGH, Urt. v. 5.11.2024VI ZR 12/24

I. Sachverhalt

Kürzung des fiktiven Lohns beim HFS von 12 auf 8 EUR durch Berufungsgericht

Die Parteien haben nach einem Verkehrsunfall über die Höhe des zu erstattenden Haushaltsführungsschadens im Rahmen einer fiktiven Abrechnung gestritten. Das Amtsgericht hatte den Stundenlohn über einen Zeitraum im Jahr 2016 bei 12,00 EUR angesetzt und dieser Betrag war durch das Landgericht mit dem Hinweis auf eine fiktive Abrechnung von 12,00 EUR auf 8,00 EUR gekürzt worden.

II. Entscheidung

Tatrichter muss den konkreten Stundensatz begründen

Dem BGH haben allerdings die Begründungen für die Ermittlung des Stundenlohns pauschal mit 8,00 EUR nicht genügt und er hat das landgerichtliche Urteil aufgehoben. Insbesondere hat er es nicht für ausreichend erachtet, dass nur pauschal auf eine an die ständige Rechtsprechung des OLG München für den damaligen Zeitraum mit einem Betrag von 8,00 EUR verwiesen wurde. Der Tatrichter müsse vielmehr die tatsächlichen Grundlagen seiner Schätzung und ihrer Auswertung darlegen und damit einen bestimmten Stundensatz auch im Rahmen einer fiktiven Abrechnung begründen. Anzugeben wäre insbesondere, wie der Tatrichter auf diesen Betrag gekommen ist und beispielsweise auf Basis welchen Bruttostundenlohns eine Schadensschätzung in dieser Größenordnung vorgenommen wird.

Mindestlohn als Untergrenze mit Abschlag auf „Bruttowert“

Dabei müsse der Tatrichter auch den gesetzlichen vorgeschriebenen Mindestlohn zumindest „im Hinterkopf“ behalten. Zwar wäre in der Tat zu bedenken, dass dieser einen Bruttostundenlohn darstellt, während im Rahmen der fiktiven Berechnung des Haushaltsführungsschadens lediglich der Nettostundenlohn zugrunde gelegt werden könnte. Dies ändert jedoch nichts daran, dass der in dem maßgeblichen Zeitraum geltende Mindestlohn die Untergrenze des Bruttolohns bildet, auf dessen Grundlage sodann die Ermittlung des für die Schätzung maßgeblichen Nettolohnes erfolgen kann. Wenn der Tatrichter aber nun (lediglich) auf den Mindestlohn abstellt, muss er dies auch näher begründen und dabei insbesondere auch Bezug auf die jeweils betroffene Haushaltsführungstätigkeit und die damit verbundenen Schwierigkeiten und Anforderungen nehmen.

§ 21 JVEG stellt keine taugliche Schätzungsgrundlage da

Anders als die Revision zugunsten der Klägerseite angeführt hätte, dürfte allerdings nicht auf eine Zeugenentschädigung nach § 21 JVEG bei der Bemessung des Haushaltsführungsschadens abgestellt werden. Denn diese verfolgt schon nicht den Zweck, einen entstandenen Schaden vollständig, aber nicht übermäßig zu kompensieren. Die Bemessung der Höhe einer Zeugenentschädigung ist durch den Gesetzgeber derart pauschal geregelt, dass sie nicht den Besonderheiten des Einzelfalls gerecht werden kann.

III. Bedeutung für die Praxis

Zu beachten: Netto-Lohn bei fiktiver Abrechnung

Der BGH stellt mit dieser Entscheidung sicher, dass die Berechnung des Haushaltsführungsschadens nicht abgekoppelt vom Reallohn erfolgen kann. Der jeweils maßgebliche Mindestlohn bietet mithin eine entsprechende Grenze, die als Mindestanforderung bei der Bestimmung des Haushaltsführungsschadens zu beachten ist – wobei der Tatrichter dabei auch berücksichtigen muss, wenn ein Haushaltsführungsschaden lediglich auf fiktiver Basis geltend gemacht wird und dann nur der Nettolohn heranzuziehen ist. Dies führt regelmäßig zu entsprechenden Abzügen, die als Schätzungsgrundlage auch ohne weiteres 30 % vom Bruttolohn als Vergleichsmaßstab betragen können (vgl. OLG Stuttgart, Urt. v. 13.12.2005 – 1 U 51 / 05).

Da der BGH vom Tatrichter jetzt eine konkrete Begründung bei der Bestimmung des anzusetzenden Stundenlohns verlangt, zugleich aber § 21 JVEG als Schätzungsgrundlage und Vergleichsmaßstab ausscheidet, steht zu erwarten, dass der reale Mindestlohn von vielen Tatrichtern bei der Heranziehung einer Untergrenze in Betracht gezogen wird. Dies kann je nach den Anforderungen für die Tätigkeiten im Haushalt auch mit weiteren Aufschlägen auf den „Mindestlohn“ verbunden sein. Folgende erste Einschätzung für eine solche „Untergrenze“ wäre dann möglich:

Jahr

Mindestlohn Brutto

Ca. Betrag Netto = Untergrenze

2025

12,82 EUR

9 EUR

2023

12 EUR

8,40 EUR

2022

9,82 EUR

6,87 EUR

2020

9,35 EUR

6,54 EUR

2015

8,50 EUR

5,95 EUR

Ein möglicher Aufschlag kann sich sodann auch neben den Anforderungen an die Tätigkeit aus regionalen Besonderheiten und Preisunterschieden ergeben. Wenn z.B. das OLG Celle im Jahr seiner Entscheidung mit 2019 für die Jahre davor (wie hier also auch 2016) einen fiktiven Netto-Stundenlohn von 8 EUR akzeptiert hat, wäre dies ein Aufschlag auf den Mindestlohn (umgerechnet auf Netto-Basis von ca. 6 EUR) von gut 25 % (OLG Celle, Urt. v. 26.6.2019 – 14 U 154 / 18).

RA/FA VersR Michael Nugel, Essen

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…