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Dokumentenpauschale für den Ausdruck digitaler Dateien?

1. Bei Überlassung von auf digitalen Datenträgern gespeicherten Akten kann deren Ausdruck durch den Verteidiger ohne Vorliegen besonderer Umstände grundsätzlich nicht mit der Dokumentenpauschale vergütet werden. Aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung besteht für eine sachgemäße Bearbeitung einer Rechtssache grundsätzlich kein Erfordernis, eine in elektronischer Form vorhandene Akte auszudrucken.

2. Den Rechtsanwalt, der die elektronische Akte ausdruckt, trifft eine besondere Begründungs- und Darlegungslast, warum dies zusätzlich zu der zur Verfügung gestellten digitalisierten Akte, die eine sachgerechte Bearbeitung bereits ermöglicht, notwendig war, wenn er die zusätzlichen Ausdrucke ersetzt verlangt. (Leitsatz des Gerichts)

OLG Nürnberg, Beschl. v. 25.9.2024Ws 649/24

I. Sachverhalt

Ausdruck auf elektronischer Datei

Der Rechtsanwalt war dem Angeklagten als Pflichtverteidiger beigeordnet. Dem Pflichtverteidiger wurde der vollständige Akteninhalt digital (CDs/DVDs und Einsicht in das Justizportal) zur Verfügung gestellt. Im Rahmen der Vergütungsfestsetzung hat der Rechtsanwalt u.a. die Festsetzung und Anweisung von Kosten für die Kopie der gesamten Akte in Höhe von 1.872,00 EUR für die Anfertigung von 5.240 Schwarzweißkopien und 2.087 Farbkopien beantragt.

Streit um Dokumentenpauschale

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des LG setzte die beantragten Kopierkosten ab. Der Pflichtverteidiger sei seiner Darlegungspflicht zur Frage der Erforderlichkeit der Anfertigung der Ausdrucke im geltend gemachten Umfang nicht nachgekommen. Allein der Hinweis darauf, dass er über keinen Laptop verfüge, das LG auch noch mit der Papierakte gearbeitet habe und bislang in Strafsachen die elektronische Akte noch nicht eingeführt worden sei, reiche nicht aus. Dagegen legte der Pflichtverteidiger Erinnerung ein. Die Rechtspflegerin legte das Rechtsmittel der Strafkammer des LG vor. Das LG hat die geltend gemachten Kopierkosten (Dokumentenpauschale) festgesetzt. Gegen diesen Beschluss legte der Bezirksrevisor bei dem LG Beschwerde ein. Diese hatte beim OLG Erfolg.

II. Entscheidung

Keine Dokumentenpauschale

Nach Auffassung des OLG hat der Pflichtverteidiger keinen Anspruch auf Festsetzung der für das Ausdrucken der vollständigen Akte von den ihm dauerhaft überlassenen Datenträgern entstandenen Gebühren und Auslagen, da der Ausdruck zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache nicht geboten gewesen sei. Der Ausdruck einer in digitalisierter Form (hier auf mehreren CD-ROM) gespeicherten Gerichtsakte falle unter den Gebührentatbestand der Nr. 7000 Ziff. 1 lit. a VV RVG. Danach entstehe eine Dokumentenpauschale für Kopien und Ausdrucke aus Gerichtsakten, soweit deren Herstellung zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten war.

Objektiver Maßstab

Die Frage, ob die Ausdrucke, entsprechendes gelte für die Kopien aus einer Gerichtsakte, zur sachgerechten Bearbeitung erforderlich waren, beurteile sich im Einzelfall nach dem objektiven Standpunkt eines vernünftigen sachkundigen Dritten. Dies sei aus der Sicht zu beurteilen, die ein verständiger und durchschnittlich erfahrener Prozessbevollmächtigter (oder Verteidiger) haben kann, wenn er sich mit der betreffenden Gerichtsakte beschäftigt und alle Eventualitäten bedenkt, die bei der dann noch erforderlichen eigenen Bearbeitung der Sache auftreten können (vgl. BGH NJW 2005, 2317 f.). Es sei also ein objektivierter Maßstab zugrunde zu legen; auf die subjektive Sicht des Rechtsanwalts kommt es nicht an. Gleichwohl steht auch dem gerichtlich bestellten bzw. beigeordneten Rechtsanwalt ein weiter Ermessensspielraum zu (vgl. OLG Celle NJW 2012, 1671; OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 29.3.2012 – 2 Ws 49/12; OLG Köln NStZ-RR 2012, 392). Allerdings müsse der Anwalt das ihm eingeräumte Ermessen auch ausüben (OLG Koblenz, Beschl. v. 16.11.2009 – 2 Ws 526/09; OLG Köln NStZ-RR 2012, 392).

Aufgabe früherer Rechtsprechung wegen …

Man folge nunmehr der Auffassung (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 3.4.2018 – 2 Ws 1/18, OLG Rostock, Beschl. v. 4.8.2024 – 20 Ws 193/14), dass bei Überlassung von auf digitalen Datenträgern gespeicherten Akten deren Ausdruck ohne Vorliegen besonderer Umstände grundsätzlich nicht mit der Dokumentenpauschale vergütet werden könne und gebe die im Beschl. v. 30.5.2017 (2 Ws 98/17, AGS 2018, 73) vertretenen gegenteiligen Meinung auf. Das begründet das OLG wie folgt:

… fortschreitende Digitalisierung

Aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung bestehe für eine sachgemäße Bearbeitung einer Rechtssache grundsätzlich kein Erfordernis, eine in elektronischer Form vorhandene Akte auszudrucken. In Zivil- und Familiensachen sei im Freistaat Bayern und vielen anderen Bundesländern die elektronische Gerichtsakte bereits seit längerem eingeführt. In Strafsachen können die Akten gemäß § 32 Abs. 1 S. 1 StPO elektronisch geführt werden; ab 1.1.2026 sei dies verpflichtend. Bei einigen Staatsanwaltschaften und Gerichten im Freistaat Bayern laufen Pilotprojekte und die Regeleinführung der elektronischen Gerichtsakte bei den Bayerischen Gerichten habe begonnen. Hieraus ergebe sich, dass der Umgang mit elektronischen Akten mittlerweile Alltag im gerichtlichen und anwaltlichen Berufsleben geworden sei, so dass es für eine sachgemäße Bearbeitung einer Rechtssache durch einen Rechtsanwalt grundsätzlich nicht mehr erforderlich sei, eine in elektronischer Form vorhandene Akte auszudrucken. Dass die elektronische Aktenführung für Rechtsanwälte nicht verpflichtend sei, ändere daran nichts. Ob die Akten, wie im vorliegenden Fall, auf einem elektronischen Speichermedium (etwa CD-ROM) zum dauernden Verbleib oder durch die Möglich zum Download und lokaler Speicherung auf einem Speichermedium des Rechtsanwalts zur Verfügung gestellt werden und ihm damit jederzeit und an jedem Ort ein vollständiger Zugriff auf die Akten möglich ist, sei dabei unerheblich.

Keine Ausnahme im Einzelfall

Aus den vom Verteidiger zur Begründung des Aktenausdrucks vorgetragenen Umstände ergab sich nach Auffassung des OLG nicht, dass im vorliegenden Einzelfall ein vollständiger oder teilweiser Ausdruck der Akten erforderlich gewesen sei. Den Rechtsanwalt, der die elektronische Akte ausdruckt, treffe eine besondere Begründungs- und Darlegungslast, warum dies zusätzlich zu der zur Verfügung gestellten digitalisierten Akte, die eine sachgerechte Bearbeitung bereits ermöglicht, notwendig war, wenn er die zusätzlichen Ausdrucke ersetzt verlangt (OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 3.4.2018 – 2 Ws 1/18, OLG Rostock, Beschl. v. 4.8.2024 – 20 Ws 193/14). Da die elektronische Aktenbearbeitung mittlerweile zum Alltag gehöre und damit ein gezielter Zugriff auf bestimmte Informationen gerade bei umfangreichem Verfahrensstoff erheblich erleichtert werde, sei es dem Verteidiger zuzumuten, sich zunächst mit Hilfe der elektronischen Akte in den Sachverhalt einzuarbeiten und erst auf dieser Grundlage zu entscheiden, ob und wenn ja in welchem Umfang ein Aktenausdruck aus besonderen Gründen für die weitere Verteidigung zusätzlich in Papierform benötigt werden.

Einwand: Kein Laptop, hilft nicht

Der Einwand des Verteidigers, nicht über einen Laptop zu verfügen, greife nicht durch. Die fehlende Ausstattung des Verteidigers mit einem Laptop stelle keinen tragfähigen Grund für den Ausdruck der Akte dar (Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Nr. 7000 VV Rn 97 m.w.N.). Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte seien gemäß § 5 BORA verpflichtet, die für ihre Berufsausübung erforderlichen sachlichen, personellen und organisatorischen Voraussetzungen vorzuhalten, wozu mittlerweile auch die technische Ausstattung zur Bearbeitung elektronischer Akten gehöre.

Vereinfachung für Rechtsanwalt zählt nicht

Auch dass es ein Rechtsanwalt als praktikabler oder einfacher empfinde, bei der Besprechung mit seinem Mandanten Anmerkungen auf den Papierausdrucken anbringen zu können, stelle aus Sicht eines verständigen und durchschnittlich erfahrenen Verteidigers keinen Grund dar, der den Ausdruck der Akte erforderlich macht. Zum einen sei auch in einem elektronischen Dokument das Anfertigen von Anmerkungen möglich. Zum anderen könne der Verteidiger bei Besprechungen gleichwohl Anmerkungen in Papierform erstellen und sich die dazugehörige Blattzahl der Akte vermerken. Sollte im Einzelfall der Ausdruck einzelner Aktenteile, etwa von Protokollen von Zeugenaussagen, erforderlich sein, rechtfertige dies jedenfalls nicht den Ausdruck der gesamten Akte mit über 7.000 Seiten. Gründe dafür, dass der Ausdruck einzelner Aktenteile erforderlich gewesen sei, habe der Verteidiger nicht vorgebracht, so dass auch eine teilweise Kostenerstattung nicht in Betracht komme.

Waffengleichheit

Der Ausdruck der dem Verteidiger überlassenen elektronischen Akte stelle auch aus Gründen der Waffengleichheit keine zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache grundsätzlich erforderliche Aufwendung dar. Die Arbeit mit einer Papierakte sei der mit einer elektronischen Akte nicht überlegen. Vielmehr können die elektronische Suchfunktion oder das Anbringen von elektronischen Lesezeichen die Aktenarbeit gerade in umfangreichen Verfahren vereinfachen.

III. Bedeutung für die Praxis

Inzwischen wohl herrschende Meinung in der Rechtsprechung

Die Entscheidung liegt auf der Linie der dazu inzwischen in der Rechtsprechung weitgehend vertretenen Auffassung (s. außer den oben angeführten Entscheidungen: BGH, Beschl. v. 12.9.1919 – 37 BGs 293/19, StraFo 2022, 445 = AGS 2022, 446; OLG Celle, StraFo 2016, 175 = JurBüro 2016, 240 = Nds.Rpfl 2016, 162 = NStZ-RR 2016, 160; OLG Braunschweig, RVGreport 2016, 97 = Nds.Rpfl. 2015, 332 = JurBüro 2016, 82; OLG Rostock, RVGreport 2014, 471 = JurBüro 2014, 637 = AGS 2014, 553; JurBüro 2015, 22; LG Osnabrück Nds.Rpfl 2015, 159 = JurBüro 2015, 246; SG Ulm, Beschl. v. 12.7.2024 – S 13 SF 2602/23 E, JurBüro 2024, 419 = AGS 2024, ¢¢¢). Die Gerichte gehen auch übereinstimmend davon aus, dass bei der Beantragung von Aufwendungen nach Nr. 7000 Ziff. 1 Buchst. a VV RVG die Darlegungs- und Beweislast für die Notwendigkeit der Ausdrucke auf Datenträger überlassener Gerichtsakten bei dem Rechtsanwalt liegt. Hier ist also der Verteidiger gefordert, der die ggf. sehr umfangreichen Akten durchsehen und daraufhin prüfen muss, was ggf. ausgedruckt werden muss. Dazu muss er dann im Rahmen der Kostenfestsetzung vortragen (s. z.B. auch OLG Celle, a.a.O.), warum ausnahmsweise der Ausdruck erforderlich war (dazu jüngst LG Köln, Beschl. v. 24.10.2024 – 104 Ks 76/23, AGS 2024, ¢¢¢). Da stellt sich dann wahrscheinlich häufig die Frage, ob der Zeitaufwand lohnt und/oder ob man die dafür erforderliche Zeit nicht gewinnbringender einsetzen kann.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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