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Schießen im Straßenverkehr

Zum gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr wegen Schießens. (Leitsatz des Verfassers)

BGH, Beschl. v. 23.4.20244 StR 87/24

I. Sachverhalt

Feststellungen des LG

Das LG hat den Angeklagten u.a. auch wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (§ 315b StGB) verurteilt.

Dazu hat das LG folgende Feststellungen: Am Morgen des Tattages entriss der Angeklagte, der eine scharfe Schusswaffe bei sich führte, der Ehefrau des ebenfalls anwesenden Geschädigten vor ihrem Wohnhaus gewaltsam einen Koffer mit über drei Kilogramm Goldschmuck. Sodann flüchteten der Angeklagte und seine Mittäter mit einem Kraftfahrzeug vom Tatort. Der Geschädigte nahm mit seinem Pkw sogleich die Verfolgung der Täter auf, um seinen Goldschmuck zurückzuerlangen. Auf der vielbefahrenen BAB 4 kam es zu einer Kollision beider Fahrzeuge, indem der Geschädigte auffuhr. Um ihn abzuschütteln, lehnte sich der hinten links sitzende Angeklagte aus dem Fenster des vorausfahrenden Täterfahrzeugs und gab einen Schuss in Richtung des Pkw des Geschädigten ab. Das Projektil traf zunächst die Motorhaube auf der Fahrerseite des Pkws und prallte sodann an dessen Windschutzscheibe ab. Beide Fahrzeugteile wurden hierbei beschädigt. Der Angeklagte gab keinen weiteren Schuss ab, obwohl er die Möglichkeit hierzu gehabt hätte. Die Verfolgungsfahrt endete schließlich in einem Wendehammer im Kölner Stadtgebiet. Im Anschluss vermochte der Geschädigte die Tatbeute zurückzuerlangen.

Die Revision des Angeklagten hatte keinen Erfolg.

II. Entscheidungsgründe

Der Angeklagte habe sich – so der BGH – auch wegen eines vollendeten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr strafbar gemacht.

… nicht § 315b Abs. 1 Nr. 1 StGB

Die Strafkammer habe allerdings zu Unrecht § 315b Abs. 1 Nr. 1 StGB verwirklicht gesehen. Zwar sei das Fahrzeug des Geschädigten infolge der Schussabgabe durch den Angeklagten beschädigt worden. Der Tatbestand des § 315b Abs. 1 Nr. 1 StGB setze aber voraus, dass durch die Beschädigung eines fremden Fahrzeugs die Sicherheit des Straßenverkehrs beeinträchtigt worden sei. Die Beschädigung des Fahrzeugs müsse mithin das Mittel der Gefährdung gebildet haben und dieser also zeitlich und ursächlich vorausgehen (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 26.7. 2011 – 4 StR 340/11 m.w.N.). Erschöpfe sich die Beeinträchtigung hingegen – wie hier – in der Beschädigung des fremden Kraftfahrzeugs, scheidet die Anwendung von § 315b Abs. 1 Nr. 1 StGB aus.

… aber § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB

Nach den Urteilsgründen habe der Angeklagte jedoch den Tatbestand des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB verwirklicht. Dieser Tatbestand könne auch dann erfüllt sein, wenn die Tathandlung (hier: Abgabe des Schusses) unmittelbar zu einer konkreten Gefahr oder Schädigung (Sachschäden am Kraftfahrzeug des Geschädigten) führt. Dies gelte allerdings nicht uneingeschränkt. Nicht jede Sachbeschädigung oder auch Körperverletzung im Straßenverkehr sei tatbestandsmäßig im Sinne des § 315b StGB. Vielmehr gebiete der Schutzzweck insoweit eine restriktive Auslegung der Norm, als unter einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder für fremde Sachen von bedeutendem Wert nur verkehrsspezifische Gefahren verstanden werden dürfen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschl. v. 30.8.2022 – 4 StR 215/22; Urt. v. 9.12.2021 – 4 StR 167/21 m.w.N.; Urt. v. 4.12.2002 – 4 StR 103/02, BGHSt 48, 119, 124). Dies sei der Fall, wenn die konkrete Gefahr jedenfalls auch auf die Wirkungsweise der für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte (Dynamik des Straßenverkehrs) zurückzuführen ist (u.a. BGH, Beschl. v. 30.8.2022 – 4 StR 215/22; Urt. v. 9.12.2021 – 4 StR 167/21 m.w.N.; Urt. v. 4.12.2002 – 4 StR 103/02).

… denn Stirnseite des Pkw getroffen

Nach diesen Maßgaben könne die Verurteilung wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr bestehen bleiben. Anders als in den bisher entschiedenen Fällen, in denen der BGH ohne eingetretenen „Beinahe-Unfall“ eine verkehrsspezifische Gefahr durch Pistolenschüsse auf Kraftfahrzeuge verneint habe (vgl. BGH, Beschl. v. 30.8.2017 – 4 StR 349/17; Beschl. v. 16.7.2015 – 4 StR 117/15; Beschl. v. 4.11.2008 – 4 StR 411/08), habe der vom Angeklagten abgegebene Schuss nicht die Seitenfläche, sondern die Stirnseite des vorwärts bewegten fremden Pkws getroffen. Bei der Schadensentstehung hat die Dynamik des Straßenverkehrs hier zumindest dadurch gefahrerhöhend gewirkt, dass im Auftreffen des Projektils zu dessen kinetischer Energie – anders auch als bei einem stehenden Fahrzeug als Ziel – jene Bewegungsenergie hinzukam, die mit der gegenläufigen Bewegung der Trefferfläche an dem nachfolgenden Kraftfahrzeug des Geschädigten verbunden war (vgl. auch zu Steinwürfen BGH, Urt. v. 9.12.2021 – 4 StR 167/21 m.w.N.). Dieser synergistische Effekt begründe ungeachtet der hohen Eigendynamik des auftreffenden Projektils unter den festgestellten Umständen die erforderliche, aber auch ausreichende innere Verbindung der eingetretenen konkreten Gefahr mit der Dynamik des Straßenverkehrs (vgl. allgemein BGH, Urt. v. 4.12.2002 – 4 StR 103/02, BGHSt 48, 119, 124 f.). Den Feststellungen könne zudem entnommen werden, dass dem Kraftfahrzeug des Geschädigten ein bedeutender Schaden drohte und der Angeklagte auch insoweit vorsätzlich handelte.

III. Bedeutung für die Praxis

Unterschiede herausarbeiten

Die Entscheidung zeigt noch einmal anschaulich, auf welche Einzelheiten man als Verteidiger in vergleichbaren Fällen achten muss. Es gilt, diese Unterschiede herauszuarbeiten.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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